Manchmal schicken Daniel und ich uns Fotos von unserer Arbeit: Ich am Schreibtisch oder vor einem Studio, er auf einem Fahrrad oder im Auto. Manchmal schreiben wir uns sogar gegenseitig Briefe. Ich weiß, wie es sich anfühlt, diese aus dem Postkasten zu holen. Daniel weiß, wie es sich anfühlt, sie reinzuwerfen: Er arbeitet als Brief- und Paketzusteller. Das ist gerade im Dezember ein Knochenjob. Doch statt ihn wie einen Helden des Alltags zu behandeln, werden Kunden oft patzig. Im Freitag packt Daniel aus.
der Freitag: Daniel, woran denkst du, wenn du den Begriff „New Work“ hörst?
Daniel: Ich kann damit nicht viel anfangen. Vielleicht bedeutet es eine softere Ansprache und dass man die Ausbeutung nicht mehr so spürt? Digitalisierung von Arbeitsprozess
den Begriff „New Work“ hörst?Daniel: Ich kann damit nicht viel anfangen. Vielleicht bedeutet es eine softere Ansprache und dass man die Ausbeutung nicht mehr so spürt? Digitalisierung von Arbeitsprozessen? Keine Ahnung.Wie kamst du zu dem Job, in dem du aktuell arbeitest?Ich habe versucht zu studieren, und ich war nicht schnell genug und habe dann angefangen zu arbeiten, als Kommissionierer in einem großen Lager. Erst war das ein Studentenjob mit 20 Stunden die Woche. Dann wurde es zu meinem Vollzeitjob. Ich habe Bestellungen zusammengestellt, Lebensmittel aus Regalen in Kisten gepackt, das alles am Fließband. Die Arbeit war in Ordnung. Sie hat mir meine Miete und mein Leben bezahlt, es war zwar körperlich sehr anstrengend, aber die Bezahlung war passabel dafür, dass ich ungelernt war.Du hast dann aber den Job gewechselt. Warum?Ich war nach fünfzehn Jahren durch die immer gleichen Bewegungen körperlich kaputt: Rückenschmerzen, Muskelkater, Schmerzen in den Händen und blaue Flecken. Es war Schichtarbeit – ich bin mit den Arbeitszeiten irgendwann nicht mehr zurechtgekommen.Jetzt bist du Brief- und Paketzusteller. Ist das besser?Ja, na ja. Das ist auch ein Knochenjob. Und es ist ein anderer Druck da.Wer macht dir den Druck?Im Moment vor allem die Jahreszeit. Das Weihnachtsgeschäft und die damit verbundenen Paketmengen.Ab wann wird die Arbeit anstrengender?Mitte November bis in den Januar rein.Wie sieht dein Arbeitstag aus?Ich stehe um Viertel nach fünf auf, versuche in Ruhe zu frühstücken. Gegen Viertel nach sechs fahre ich mit dem Fahrrad los, um kurz vor sieben bin ich bei der Arbeit. Dann wird sortiert, ich lade Briefe und Pakete ins Auto ein. Zwei Jahre bin ich mit dem Fahrrad gefahren – aber jetzt bin ich mittlerweile oft froh, dass ich mit dem Auto unterwegs bin. Gerade im Winter.Warum bist du nicht mehr mit dem Rad unterwegs?Es werden immer mehr Bezirke mit dem Fahrrad aufgelöst. Ich glaube, das nennt man Arbeitsverdichtung.Was ist das Anstrengendste an deinem Job?Ich bin nach der Arbeit oft arg müde und kann dann nicht mehr viel machen, das nervt mich. Manchmal gibt es auch Kunden, die sich beschweren. Sie beschweren sich, wenn ein Paket einen Tag zu spät gekommen ist. Oder wenn ich irgendwo stehe und jemand gerade deshalb nicht aus seiner Einfahrt kommt. Dinge, über die man sich beschwert, wenn man es eilig hat.Du hast es auch selber oft eilig.Ja. Und ich bin ja auch schnell wieder weg.Wie reagierst du auf solche Beschwerden?Komplett ignorant. Es ist mir nicht egal, aber ich mache ja meine Arbeit. Die Leute müssen mir nicht meinen Job erklären. Manche Beschwerden sind ja auch nur Vorurteile, so was wie „Ah, die Post wieder“. Ich glaub, Leute stellen sich den Job anders vor, als er ist.Wie denn?Ich glaube, sie stellen sich den Job entspannter vor. Wenn ich an einem Haus bin und ein Paket bringe, sieht die Person ja nicht die Strecke, die ich schon hatte oder die ich noch fahren muss.Wie ist denn der perfekte Kunde deiner Meinung nach? Oder gibt es so was gar nicht?Doch. Der perfekte Kunde hat einen Ablagevertrag auf seinem Grundstück. Mit dem hat man keinen Kontakt. Oder eine Person, die mir mal fünf Euro in die Hand drückt. (lacht)Passiert das manchmal?Manchmal ja. Aber eher zwei Euro. Und letztens eine Dose Ravioli.Was würdest du verändern, wenn du Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wärst?Subunternehmertum sollte vielleicht verboten werden. Das könnte ein Anfang sein, von oben nach unten zu verteilen. Leute, die gleiche Arbeit machen, sollten das Gleiche verdienen – und das bindend. Dann wird das Ausbeutungsverhältnis vielleicht etwas angenehmer für die Beschäftigten und nicht mehr so prekär.Und was noch?Ein bisschen mehr Geld, ein bisschen mehr Zeit. Oder umgekehrt.Wie viel Geld hast du aktuell auf deinem Konto von deinem Job?1.900 Euro ungefähr.Was wäre gerecht?400 Euro mehr vielleicht. Die Arbeitszeiten finde ich okay. Klar, ein bisschen kürzer wäre gut. Was mich schlaucht, ist die Arbeit am Samstag. Aktuell arbeite ich fast jeden Samstag. Ich hab selten mal zwei Tage am Stück frei, das ist anstrengend und macht sehr müde.Ist das der Job, den du bis zur Rente machen möchtest?Ich weiß gar nicht, ob es den Job in der Form überhaupt noch gibt, bis ich in Rente gehe. Papier ist ja nicht die Zukunft. Aber ja, ich würde das schon machen bis zur Rente. Ich weiß nur nicht, ob mein Körper das schafft.Einen Tag nach unserem Gespräch schreibt mir Daniel: „Kann ich noch eine Songzeile erwähnen?“ Sein Opa sei relativ früh nach Renteneintritt gestorben, sein Vater auch. Er denke oft über diese Zeile der englischen Punkband Crass nach: „Do they owe us a living? Of course they do.“Placeholder authorbio-1