Frankfurt – meine Hood!

Streaming Jenni Zylka respektiert die krasse neue Netflix-Serie „Skylines“. Spoiler-Anteil: 9%
Ausgabe 41/2019

Bestimmt macht es Spaß, zur Begrüßung die Brustkörbe heftig aneinanderrasseln zu lassen. Sonst würden das diese „Respekt, Bruder!“-Typen, die Drei-Tage-Bart-Patronen, die Rap-Video-Figuren nicht andauernd tun. Skylines, die neueste deutsche Eigenproduktion von Netfllix, setzt in einem Nest von Klischees an: Frankfurt/Main, Gangsta-Rap-Musik, mächtige Kerle mit Markensneakers, Mänteln und Migrationshintergrund, die permanent „manspreaden“ und sich ihren Undercut beim Friseur trimmen lassen, während sie Mann-zu-Mann-Absprachen tätigen.

Doch Frankfurts Rap-Milieu, das weiß und nutzt der in Berlin geborene Showrunner der Serie, Dennis Schanz, ist vor allem eine Welt wie viele andere Serienwelten. Seine nur auf den ersten Blick schablonenhaft anmutende Geschichte nutzt durch Videos, Vorurteile und das Verhalten der Szene selbst etablierte Bilder – um mit ihnen (nach Brecht) die „Ballade von der belebenden Wirkung des Geldes“ zu singen: Ein enorm talentierter, unbeleckter Rap-Beat-Produzent namens „Jinn“ (Edin Hasanovic) kommt in Kontakt mit dem erfolgreichsten Plattenlabel der Stadt, das sich, was passt besser, Skylines nennt. Während Jinn zunächst mit dem vergleichsweise kleinen Dilemma zu kämpfen hat, seinen besten Kumpel und Rap-Kollegen „Tonic“ beim Aufstieg in den Gangsta-Olymp hinter sich lassen zu müssen, kulminieren bald viel düsterere Angelegenheiten: Es geht um Drogenhandel, organisiertes Verbrechen, um Vertrauens- und Kieferbruch – eben um kriminelle Mauscheleien, die Labelchef Kalifa (Murathan Muslu) und seinen aus dem Knast heimgekehrten Bruder Aldan (Erdal Yildiz) entzweien.

Und weil Frankfurt mit seiner Kulisse aus nächtlich glitzernden Hoch(finanz)-häusern und der Allgegenwart des Kapitals sich dazu prächtig anbietet, bekommen auch Jinns Vater, der Banker Raimund (Richy Müller), sowie Jinns Schwester Lily (Anna Hermann) und die Polizistin mit Vergangenheit, Sara (Peri Baumeister), zu spüren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Egal, ob im Geld- oder Musikbusiness.

Skylines sieht zwar über weite Strecken aus, als ob die hessische Schwester der latent misogynen Neuköllner Clan-Opera 4Blocks sich mit einem Bad-Banks-Finanzmakler gepaart hätte. Doch hinter der ein wenig zu dunklen, zu eintönigen und zu typischen Ästhetik aus Studio, Keller und Skyscraper-Interieur inklusive bulliger Typen steckt ein spannendes und in der Figurenzeichnung beeindruckend mehrschichtiges Drama. Ein Drama voller sich langsam entwickelnder, nicht nur sexueller, aber zärtlicher Beziehungen, etwa zwischen Jinn und der aggressiven Rapperin und Schlägerin Zilan (Carol Schuler), aus der Jinn mit einer großen selbstverständlichen Portion männlicher Sensibilität eine neue Seite herausholt. Oder zwischen zwei alten Freunden beziehungsweise Freundinnen inner- und außerhalb der Szene, die sich im Zuge der Ermittlungen wiederfinden. Den in dieser machodominierten Welt nicht immer ganz unkompliziert darzustellenden Genderaspekt behandeln Autor Schanz und seine Regisseure Max Erlenwein und Soleen Yusuuf mit durchdachter Ungezwungenheit: Die Skylines-Frauenfiguren sind keine Protagonistinnen, denen man männliche Merkmale anhängt wie einen falschen Drei-Tage-Bart. Noch müssen sie sich um Poledance-Stangen wickeln oder die Helden nach deren üblichen Schlägereien verbinden: Sara, Label-CEO Celine (Lisa-Maria Potthoff), Lily und Zilan existieren in der Serienwelt als interessante und stimmige, handlungstreibende Charaktere.

Schanz, der gemeinsam mit der Produktionsfirma „Komplizen Film“ durch Skylines das erste Serienprojekt verwirklicht, nutzt in seiner Konzeption zudem die Ernsthaftigkeit, mit der auch die echte Szene sich feiert, und setzt die serieneigenen Beats plus einige Frankfurter Gastrapper größtenteils stimmungsvoll ein. Und während im Vorspann der Rapper Haftbefehl im Brustton der Überzeugung „Die Banken kratzen an den Wolken / Ich mich am yarrak / Wie komm ich an Euros? / Welcome to 069“ schreit, wird wieder mal klar: Das, was sämtliche Rap-Szenen aus allen Städten und Ländern verbindet, ist ein unbedingter Lokalpatriotismus für die eigene Hood, die selbstredend nicer, krasser, litter und more real ist als die restlichen Faker. Auch wenn sich ab und an ein bisschen gemütlich gebabbeltes Hessisch in die harten Rhymes zu mischen droht.

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