Binnen weniger Wochen hat sich das kleine Österreich zum Extremisten unter den EU-Staaten gemausert. Das arme hilfsbereite Land, so die treuherzige Selbsteinschätzung, dürfe nicht länger zum Handkuss kommen. Flüchtlingshorden aus dem Süden überlaufen uns. Die gilt es zu stoppen. Festung bauen, Grenzen zu, der Notstand droht. Lasset uns fürchten! Aktuell weigert sich Österreich, Flüchtlinge aus der Türkei direkt zu übernehmen.
Man habe schon genug, ließ das Innenministerium sinngemäß ausrichten. Inzwischen hat sich Wien zum Rädelsführer der ost- und südosteuropäischen Staaten aufgeschwungen. Neuösterreich spielt altösterreichische Großmacht. Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) gilt etwa in Kroatien als Retter Europas. Aber nicht nur der junge konservative Außenminister hat Blut geleckt. Auch die Sozialdemokraten haben in puncto Scharfmacherei aufgeholt. Man will da nicht das Nachsehen haben. Vor allem der neue Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil (SPÖ) erweist sich als das rechte Geschütz der burgenländischen Landespartei in der Bundesregierung. Es herrscht eine Politik der rigiden Flüchtlingsabwehr. Die Schrauben werden immer fester angezogen. Man betreibt Bekämpfung der Symptome auf dem schmalen Rücken der Vertriebenen.
Auch mit Soldaten
Asylrecht ist etwas für Schönwetter, heute leben wir in Zeiten seiner sukzessiven Sistierung. Nicht der globale Kapitalismus schaffe Krisen, nein, die Flüchtlinge schaffen sie. Der absolut unselige Begriff der „Flüchtlingskrise“ legt nahe, dass es kein Problem gäbe, sobald jene von der Bildfläche verschwänden. Die autoritäre Flüchtlingsabwehr ist der größte gemeinsame Nenner der Wiener Koalition aus Sozialdemokraten und Konservativen. Hier kann man, was man sonst nicht mehr kann – Einigkeit demonstrieren.
Der allerneueste Vorstoß besteht darin, an der Brenner-Grenze zu Italien ein sogenanntes Grenzmanagement zu installieren, was meint, mit baulichen Maßnahmen (Zäune und Registrierzentren) gegebenenfalls die Grenze komplett abzudichten. Begonnen wurde damit Anfang des Monats. Der ÖVP-Präsidentschaftskandidat Andreas Khol spricht von einem „Scheunentor am Brenner“, das einen „Sog erzeugt“. Laut Doskozil gehe es nunmehr darum, „Gesetze auf Vorrat“ zu beschließen, um gegebenenfalls einsatzfähig zu sein. Man muss jetzt „in die Offensive gehen“, so der Heeresminister, Tirol dürfe nicht zum „Warteraum“ für Flüchtlinge werden. Massive Grenzkontrollen am Brenner sind daher in Zukunft wahrscheinlich, auch mit Soldaten, so Doskozil vollmundig in einem Interview. Überhaupt sollen Militärs die EU-Außengrenze sichern und somit konsequent vor den Migranten bewahren.
Ein Selbstmissverständnis?
Am liebsten würde Österreich gleich auf italienischem Hoheitsgebiet die Flüchtlinge abfangen dürfen. Nicht nur Italien wehrt sich gegen diverse Zumutungen, auch der zuständige EU-Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos geht davon aus, dass ein solcher Grenzbalken Schengen endgültig ad absurdum führe. Die Brenner-Autobahn ist eine der wichtigsten europäischen Transitstrecken. Doch nicht einmal dass man die Wirtschaft vergrätzt, indem man den Binnenverkehr der Waren erschwert, scheint diese Politik zu stören. Sie ist zum Selbstläufer geworden.
Um Begründungen kümmert man sich wenig. „Koalition ist zum Notstand entschlossen“, lautete gerade eine Titelschlagzeile der republikseigenen Wiener Zeitung. Zweifelsfrei ist die Extremsituation Ausgeburt einer extremen Fantasie. Indes, wenn das schon der Notstand ist, was ist dann der Notstand? Dass innere Ordnung und öffentliche Sicherheit bedroht sind, ist ein Notstandsargument für Notstandsbeschlüsse, aber wenn sie es so sehen will, wer soll die Regierung aufhalten?
Die FPÖ sicher nicht. Und auch die Gesellschaft, vor allem das, was man Zivilgesellschaft nennt, wirkt seit Monaten wie paralysiert. Widerstand gegen diesen Kurs gibt es kaum. Hat es diese Willkommenskultur überhaupt gegeben, fragt man sich mittlerweile. War das eine mediale Blase? Ein Selbstmissverständnis? Ganz auszuschließen ist das nicht. Wenngleich die Solidarität im Herbst nicht aufgesetzt schien, dürfte sie mit der Stimmung einer satten Mehrheit wenig gemein haben. Die ist von der aktuellen Politik regelrecht begeistert.
Kommentare 8
"... Laut Doskozil gehe es nunmehr darum, „Gesetze auf Vorrat“ zu beschließen, um gegebenenfalls einsatzfähig zu sein. ..."
Diese Formulierung läßt darauf schließen, dass die Regierung Österreichs ihre Aufgabe so versteht, angesichts klarer Lageeinschätzungen und daraus resultierender möglicher Szenarien, prognostisch aktiv zu werde. Eine solche Einstellung, unabhängig vom Thema, wünschte ich mir auch bei der Bundesregierung. Deren Handeln ist wesentlich durch Reaktion oder hilfloses Flügelschlegen angesichts "überraschender" Entwicklungen gekennzeichnet.
Eine verantwortungsvolle Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik, die es auch in EU-Europa nicht gibt, müsste die auswärtige NATO-Politik, Geo-, Wirtschafts- und Rohstoffpolitik beenden. Und damit einen Beitrag für -internationale- gleichwertige Gesellschafts-, Wirtschafts- und Handelsbeziehungen leisten. Doch hierfür fehlen in den imperialistischen VSA-EU-Staaten- und Militärbündnissen alle sozial- und gesellschaftspolitischen Voraussetzungen.
Mann/Frau lebt nur einmal! Folglich gibt es keine Alternative zur Flucht- und Völkerwanderung nach [VSA und] EU-Europa!
Organisierte marxistische und sozial-revolutionäre Befreiungs- und Arbeiterbewegungen, -in den Welt- und Herkunftsregionen-, existieren derzeit kaum bzw. nicht mehr!
Angenommen es kämen ~100000 oder mehr über den Brenner und sitzen in Österreich in der Falle, weil Bayern zu ist, Schweiz, Tschechien und Ungarn zu sind, was dann?
Der "Notstand" würde spätestens dann eintreten, wenn die Hilsorganisationen die Sache personell nicht mehr bewältigen, alle Notunterkünfte voll sind, die Leute in Zelten überwintern müssen.
Dass Österreich dieses Problem nicht lösen kann und deshalb mit einer Brennerschließung an Südtirol bzw Italien delegiert, ist nur zwingend das Resultat des nationalen Egoismus der meisten EU-Mitgliedsstaaten.
Nun, ich kann der Analyse überwiegend zustimmen - vor allem was die "Notstandsgesetze" auf Vorrat betrifft.
Natürlich ist kein Notstand gegeben - weder in der EU, noch in DE noch bei uns - denn lt. die letzten Ziffern jener AsylwerberInnen die auch einen Antrag stellten (und das ist entscheidend) liegen EU-weit bei ca. 450.000 - unter 1 PROMILLE der EU-Bevölkerung!
Merkels kann eines am Besten von allen PolitikerInnen die ich kenne: sie hat überhaupt kein Rückgrat, und wie man sich so seit Jahren international behauptet..., dass wären viele soziologisch und psycholigische Studien wert ;-)
Sie schwankt von der Willkommesskultur innerhalb von Wochen in einen 180gradige Kehrtwendung ist längst eine Getriebene ihrer eigenen, völlig irrealen Politik geworden. Schmeichelinterviews bei Anne Will bestätigen dies ja nur.
Österreichs Hilfsbereitschaft, ja ich war auch oft am Westbahnhof um einen kleinen Beitrag zu leisten, ist ungebrochen - nur ist es eben so wie der Autor korrekt schreibt: es wird von rechts - die FPÖ braucht bei uns gar nicht mehr aktiv zu werden und liegt bei 32-35% - also 10 Prozentpunkte jeweils vor Rot und Schwarz einzeln betrachtet - mit der Angst der Überfremdung seit 2 Jahrzehnten eine sehr erfolgreiche ... Politik gemacht.
Die Groko "musste" (satirisch gemeint) einen Rückwärtssalto einlegen, bei dem sie nun glaubt, auch ein paar Stimmen einfangen zu können, indem sie die FPÖ noch übertrifft (Notstand auf Vorrat). Leider - eher aber Gottseidank!!! - hat sich dies nicht bestätgit, denn sie konnten keine Stimmen in den Umfragen dazugewinnen.
Das Ganze hat aber eine große politische Dimension: die Vorbereitung auf eine neue Blau/Schwarze Koalition um die Roten endlich wieder loszuwerden. Kurz ... hat hier vieles in dieser Richtung getan - und wenn man die Zeitungen etwas querliest, dann kann jeder auch nicht so innenpolitisch versierte Leser, diese starke Tendenz herauslesen - ja förmlich riechen ...
Andererseits - und da ist Deutschland vor allem aber Bayern gefordert - ist Österreich ein Durchzugsland nach Skandinavien und Deutschlang. Macht Bayer die Grenze zu, dann haben wir Probleme die Menschen dorthin zu bringen, wohin sie wollen.
Die heutigen BP-Wahlen - im Gegensatz zu DE wird er direkt von den Menschen gewählt, eine gute Sache - spiegeln indirekt dieses "Angstlagerdenken" wider. Jene 3 KandidatInnen die sich um die Stichwahl streiten dürften (ob es eine Überraschung gibt, darf ernsthaft bezweifelt werden) sind alle entweder neoliberal (Van der Bellen), reaktionär und rechts (Khol) oder erzkonservativ (Frau Griss). Auch wenn sie sich ein "menschenfreundliches, liberales Mascherl" für die TV-Shows umgehängt haben - ändert dies nichts an ihrer generellen Grundhaltung.
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Die EU - und das wird hier gar nicht angesprochen - ist der w a h r e VERSAGER, wer denn sonst?
Ein auf Frieden ausgerichtetes "Projekt", das seit Jahren (Lampedusa) Menschen ersaufen lässt ... .wo keinerlei Solidarität im Aufteilen der vom Krieg flüchtenden Menschen besteht ... und wo man selbst weiter in einem völkerrechtswidrigen Krieg genau die Länder in Grund und Boden bombt ... hat doch jede Glaubwürdigkeit auf ein humanes Zusammenleben aller Völker verspielt!
Dass - wieder mal führt Deutschland Europa an, nicht wahr ... - man sich dann auch noch mit der Mitgift von zig-Mrd,. mit einem Despoten und Schurken wie Erdogan ins politische Bett legt - allen voran Merkel herself ... - ist ein Beweis, wie wenig allen PolitikerInnen, egal ob auf EU- oder nationaler Ebene, wirklich an den Menschen liegt - von denen sie (zum Teil) gewählt wurden.
Was würde es bewirken, wenn man die 6 Mrd. (oder mehr) die man Erdogan überweist - einfach in einen Infrastrukturaufbau in Syrien, bei den Kurden, in Libyien usw. i n v e s t i e r e n würde? Blöd - das geht nichtm, weil man ja dort gerade das Land zerbombt . . . . im Kampf gegen den "Terrorismus" ?!?!
Bizarr, armselig, menschenunwürdig.
Zu nächst ein glückwunsch an Franz Schandl für diesen text - chapeau!
Dass jedoch seine formulierung von den "gesetzen auf vorrat" auch noch abgefeiert und als ausgeburt "klarer lagebeurteilung" hochgejubelt wird, übersteigt die grenze des erträglichen.
Damit würde nämlich staatlicher willkür tür und tor geöffnet. Mensch stelle sich vor, die GROKO in d-land beschliesst mit ihrer 80-prozent-mehrheit vorauseilend ein ganzes bündel an "notstandsgesetzten", dass eine spätere regierung (die eine 50,01 prozent-mehrheit hat, oder gar eine minderheitsregierung - unter duldung der AfD ist), nur noch inkraft zu setzen braucht. Der rechts-konservative polizeistaat hätte seine perfekte form gefunden!
Vielleicht sollte die GROKO auch gleich daran gehen, ein paar präventive verfassungsänderungen zu beschliessen, die dann je nach beliben aus der schublade gezogen werden!?
Welch eine schwarze utopie - BRENNABO2013 - ich gratuliere...
Es ist merkwürdig wie sich Österreich als Macht etabliert über die Flüchtlingskrise.
Aus der website der Bundesregierung, Bundesamt für Migration und Flüchtlinge:
http://www.bamf.de/DE/Migration/AsylFluechtlinge/Asylrecht/asylrecht-node.html
"Notsituationen wie Armut, Bürgerkriege, Naturkatastrophen oder Perspektivlosigkeit sind damit als Gründe für eine Asylgewährung ausgeschlossen."
Wenn einige Länder wie die BRD aus welchen Gründen auch immer pauschal Bürgerkriegsflüchtlingen Asyl gewähren möchte, z.B. weil sie kein ordentliches Einwanderungsgesetz hinbekommen, aber doch gerne Billigarbeitskräfte haben möchten, dann müssen die anderen europäischen Länder das doch nicht unbedingt unterstützen. Klar, den Menschen in Not muß man als reiches Land helfen, aber deswegen alle zu Einwanderern durch die Hintertür zu machen, ist vielleicht nicht der Weisheit letzter Schluß.
Mit Ihrer ablehnenden Haltung gzu prognostischem Handeln wären Feuerwehren, THW, Krankenhäuser, Flughäfen, ... ohne Notfallpläne.
Das wäre katastrophal.
Genau wie in der Politik. Wir erleben das gerade hautnah und dramatisch.