Hallo, ich bin eine Serie!

Was läuft Alle reden vom Content, aber wie entscheidend ist es, welche in Minuten messbare Form er hat? Über „Game of Thrones“, „Bloodline“ und Länge. Spoiler-Anteil: 3 Prozent
Ausgabe 37/2017
Die einst recht stabile Zeit-Form von Filmen und Serien löst sich zunehmend auf
Die einst recht stabile Zeit-Form von Filmen und Serien löst sich zunehmend auf

Foto: Science Photo Library/Imago

Länge wird zwar in Minuten gemessen, hat aber mehr mit dem Gefühl zu tun. Weshalb die Sachlichkeit von Kommentaren wie „Das war mindestens zehn Minuten zu lang“ stets skeptisch zu bewerten ist. Wie lang einem als Zuschauer ein Film oder eine Serie wird, sagt meist mehr über den Betrachter aus als über das Betrachtete. Oder etwa nicht? Auch wenn man dem Reflex widersteht, vom idealisierten Früher zu reden, als Filme 90 Minuten dauerten und Serien feste Sendeplätze hatten, muss man zugestehen, dass „Länge“ sich heutzutage immer weniger vorhersehen lässt. Alle reden vom content, aber wie entscheidend ist es, welche in Minuten messbare Form er hat?

Die jüngste Staffel von Game of Thrones etwa: Mit nur sieben statt der üblichen zehn Folgen zog sie die wirklich selten gewordene Klage nach sich, sie sei zu kurz! Zu gedrängt seien die Ereignisse, zu schnell bewegten sich die Figuren von da nach da, zu viel Handlung werde „verbrannt“. Dabei, rein in Minutenzahlen gemessen, war die Staffel gar nicht so viel kürzer: Statt der zuvor üblichen neun waren es diesmal insgesamt knapp sieben Stunden und zwanzig Minuten. Einerseits fehlten 100 Minuten und damit in etwa eine Spielfilmlänge.

Andererseits war die letzte Folge der Staffel, das Finale The Dragon and the Wolf mit seinen 79 Minuten, fast ein Spielfilm. Wird das nun so weitergehen? Wird die achte und dann wirklich schlussendliche Staffel von Game of Thrones womöglich aus sechs Spielfilmen bestehen, einer epischer als der andere? Und wird diese „Formalie“ den Charakter der Serie verändern, so wie er diesmal in der siebten Staffel spürbar war? Weg von der Feinzeichnung der Figurenentwicklung hin zum Action-Spektakel als Schwerpunkt jeder Folge und damit zur vermeintlich „cineastischen“ Form?

Um es einmal nicht im Bedenkenträgerton des habituellen Kulturpessimisten zu formulieren: Noch nie gab es so viel Freiheit im Bezug auf die Länge einer filmischen Erzählung. Wo im Kino von mehreren Seiten Grenzen gesetzt werden – schließlich lässt sich für einen Film immer nur ein Ticket verkaufen, auch wenn der Überlänge hat –, lösen sich bei den Serien mit den Streaming-Möglichkeiten die äußeren Beschränkungen auf.

Und das nicht nur im Hinblick darauf, welche Länge die einzelnen Episoden haben, sondern auch dahingehend, wie viele davon eine Staffel ausmachen. Wenn es dafür Regeln im deutschen Fernsehen gab, sind sie mir entfallen; im amerikanischen immerhin galt noch bis vor kurzem, dass die Serien der großen, frei empfangbaren Sender um die 22 Folgen pro Staffel umfassten, während die der Kabel- und Bezahlsender jeweils so um die zehn Episoden dauerten. Ausnahmen bestätigten die Regel, aber der Rahmen der Programmplätze gewährte wie im Kino einen gewissen äußeren Zwang.

Auf Netflix und Amazon Prime muss niemand mehr an Programmplätze und nicht mal mehr an Werbepausen denken, zwei Faktoren, die vom Fernsehkritiker einst oft angeführt wurden, um das Genre TV-Serie des vorauseilenden Gehorsams vor dem Diktat des Kapitalismus zu überführen.

Die Freiheit von solchen Zwängen fühlt sich interessanterweise nun oft weniger wie Freiheit und mehr wie Unsicherheit an: Sowohl Netflix-Serien wie Ozark und Bloodline als auch die über Marvel-Comic-Helden wie Daredevil, Jessica Jones und Luke Cage halten sich grob an das Format des „Qualitätsfernsehens“ mit seinen circa zehn Folgen von jeweils unter einer Stunde Laufzeit. Bei Amazon-Serien wie The Man in the High Castle und Bosch ist das nicht anders.

Es ist wie ein grobes Signal: Hallo, ich bin eine Serie, weil aufgeteilt in so und so viele Folgen von so und so viel Minuten. In sich aber sind die einzelnen Serien völlig anders und uneinheitlich organisiert: Nicht nur, dass sie sich in puncto „horizontales versus vertikales Erzählen“ unterscheiden, sie folgen eigentümlichen Gesetzen des Spannungsbogens. Manchmal dauert es vier, fünf Folgen, bevor sie zum Thema finden (Bloodline), manchmal geht es wie im Sprint los (Ozark) und verlangsamt sich dann. Und nur selten weiß man bei Folge fünf, sechs, sieben, wie lange es dauern wird bis zum Ende, und was das überhaupt sein wird. Sie sind irritierend, die neuen Freiheiten, die alte Formen und Erwartungen verabschieden, aber die nächste Reglementierung kommt bestimmt. Bis dahin sei das Chaos genossen, es wird, frei nach Brecht, die schönste Zeit gewesen sein.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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