„Lasst mich in Ruhe bitte, ich muss was schreiben“, sage ich den Kindern, dabei arbeite ich gar nicht. Ich müsste tatsächlich was schreiben, aber ich sitze einfach am Rechner rum und surfe im Netz. Ich nenne es: „sich inspirieren lassen“. Die Kinder gehen nach nebenan und schalten den Fernseher ein. Das heißt, auch sie lassen sich inspirieren. Manchmal muss man einfach mal eine Pause machen. Es ist Tag fünf, seitdem die Kitas und Schulen geschlossen sind. Ich habe überall Muskelkater. Arme, Beine, Bauch, alles tut ein bisschen weh. Und auch im Rücken zieht es. Das kommt vom ständigen Aufräumen, Herumlaufen, Wegsortieren, Einkäufe schleppen.
Am Anfang war auch ich panisch und habe uns Vorräte angelegt. Am Anfang war es schlimm. Mein Konto leerte sich schnell, ich musste mir Geld leihen, sicherheitshalber. Außerdem fühlte ich mich verlassen. Der Kindsvater und ich sind schon lange getrennt, aber ausgerechnet jetzt ist er nicht in der Stadt. Wir hatten uns die Betreuung der Kinder im wöchentlichen Wechsel geteilt und ab jetzt würde ich auf unbestimmte Zeit mit den Kindern allein sein. Allein mit den Kindern und der Verantwortung. In meiner Panik fühlte ich mich dem Druck nicht gewachsen. Aber in diesen Zeiten will ich auch eigentlich gar nicht, dass die Kinder wochenweise bei ihrem Vater sind, weil ich nicht weiß, wie ernst er das Konzept der sozialen Distanz nimmt. Ich hätte keine Lust, mich deswegen mit ihm zu streiten. Also ist es sogar besser, dass er gerade nicht in der Nähe ist.
Ich bin also ab jetzt auf unbestimmte Zeit allein für die Kinder zuständig. Tag und Nacht, von früh bis spät. Abends telefoniere ich mit Freunden, aber die Kinder müssen noch lernen, mich dabei in Ruhe zu lassen. Ich kann mit dem Telefonieren nicht warten, bis sie im Bett sind. Weil wir nicht mehr um halb sieben aufstehen müssen, leben wir jetzt endlich mal in unserem Biorhythmus. Das heißt, die Kinder gehen halb zwölf ins Bett und ich noch viel später. Die Schule schickt Lehrpläne per Mail. Aber wir sind noch zu gar nichts gekommen.
Ich muss schreiben, ich habe Aufträge. Endlich zahlt sich meine Berufswahl mal aus. Dazu kommt das Einkaufen, der tägliche Spaziergang, die Haushaltsführung. Alle Tätigkeiten gehen ineinander über. Ich tippe einen Satz und schneide danach der Kleinen ein Auge aus einer Illustrierten für eine Collage aus, ich koche und mache mir dabei Notizen, ich schalte den Staubsauger aus, weil die Große mich nach der Bedeutung eines Wortes fragt, auf das sie beim Lesen gestoßen ist. Ich bin heilfroh, in keiner Beziehung mehr zu sein. Wenn mein Ex und ich jetzt zusammengesperrt wären, gäbe es Streit. Er säße am Rechner und täte, als gäbe es uns nicht, Hausarbeit und Kinderbetreuung würden (wie jetzt) allein an mir hängen.
Jetzt macht mir das nichts aus, aber wenn er da wäre, dann würde ich mich deswegen ständig ungerecht behandelt fühlen und er würde mich beschwichtigen und genervt sein und trotzdem nicht mehr machen und dann würden wir uns streiten und die Kinder würden das mitbekommen und die Stimmung wäre ausweglos schlecht. Aber so ist alles okay. Ich habe viel zu tun, aber alles ist zu schaffen. Es ist eine ständige Mühsal, die Wohnung bei laufendem Betrieb in Ordnung zu halten. Die Tage sind voll bis zum Rand, die To-do-Listen endlos und jeden Tag kommt etwas dazu. Aber das macht gar nichts. Wir haben Zeit. Auch die Kinder spüren das. Ich habe nicht das Gefühl, dass ihnen im Moment etwas fehlt. Sie bauen sich gigantische Welten, verwenden nach und nach ihr gesamtes Spielzeug. Im Moment fehlt uns nichts. Für mich gilt: Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, und das ist auch gut so.
Kommentare 6
nun ja,
das fehlen innerfamilialer stör-quellen
wird nicht als mangel empfunden. :-)
Sie ist nicht da, die Kinder auch nicht - herrlich!
Nein, nicht bei mir. Das Haus ist groß genug. Sohnemann2 habe ich heute erst 1x zum Frühstück kurz gesehen, Sohnemann 1 noch garnicht. Schläft nach dem Nachtdienst. Ich habe leicht reden. Außerdem freut es mich, mich in der engen Küche ganz nah an Frauchen vorbeizudrücken...
Irgendwas muß ich anders gemacht haben. Aber ich komm nicht drauf...
"Außerdem freut es mich, mich in der engen Küche ganz nah an Frauchen vorbeizudrücken...
Irgendwas muß ich anders gemacht haben. Aber ich komm nicht drauf..."
Applaus, Applaus!
Dem Artikel kann ich nur beipflichten auch wenn ich ohne Kinder so eine Situaation nicht nachvollziehen kann. Ich selbst habe schon vor Corona in meinem Zimmerchen gehaust und bin nur zum Mindestlohn-Schaffen raus. Auf Dauer mit jemanden zusammenzuleben mit dem man streitet würde ich auch nicht packen. Und das dann noch mit Kindern.. Jetzt ist die beste Gelegenheit zum Helden zu werden, indem man zuhause bleibt und die physische Distanz wahrt.
Der Respekt und die dringende Verbesserung der finanziellen Lage und der Arbeitszeiten von Alleinerziehenden, Pflegern, Verkäufern aber auch Busfahrern und Paketboten sollte das Gebot der Stunde sein. Ich als Gescheiterter kann da nur den Hut davor ziehen, wie Alleinerziehende das alles mit ihrem Job vereinbaren.
"Jetzt ist die beste Gelegenheit zum Helden zu werden, indem man zuhause bleibt und die physische Distanz wahrt."Das sind so die Sätze, wo ich denke: brainwashed?
Wieso brainwashed? Erstmal sollte dieser Satz auch als Satire bezeichnet werden, insbesondere für einen wie mich, der schon vor Corona ein Eigenbrötler war. Und es ist doch immer besser, zuhause zu bleiben, auch wenn die politischen Eingriffe in die demokratischen Grundrechte natürlich eklatant sind. Aber ich möchte niemanden anstecken und mit meinen 27 Jahren kann die Krankheit symptomlos verlaufen, soweit vertraue ich den Virologen schon