Keiner wächst für sich allein

Euro Nach der IWF-Jahrestagung hat sich die deutsche Regierung in der Person des Finanzministers zum Verbleib Griechenlands in der Eurozone bekannt - koste es, was es wolle
Gruppenbild mit First Lady – IWF-Direktorin Christine Lagarde
Gruppenbild mit First Lady – IWF-Direktorin Christine Lagarde

Foto: Kazuhiro Nogi/AFP/Getty-Images

In Tokio, auf der Weltbühne der IWF- und Weltbank-Jahrestagung, hatte Wolfgang Schäuble einen großen Auftritt. Zunächst war er der Prügelknabe, stehen doch deutsche Spardiktate nicht mehr hoch im Kurs. IWF-Chefin Lagarde hat für Weisheiten nach schwäbischer Hausfrauenart nur noch begrenztes Verständnis. Nicht anders halten es renommierte Instanzen von der OECD bis zur Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Auch sie sagen: Der deutsche Sparrigorismus reitet die Eurozone immer tiefer in den Schlamassel und bedient eine weltweite Depression.

Da macht es sich gut, wenn Schäuble statt Nein auch mal Ja sagt und beteuert, Griechenland werde nicht aus dem Euro verstoßen, ein Staatsbankrott vermieden. Mit anderen Worten: Deutschland wird das nicht zulassen, koste es, was es wolle. So gestärkt, konnte der Finanzminister wieder in den üblichen Verweigerungsmodus zurückschalten: Einen Zahlungsaufschub von zwei Jahren und den Forderungsverzicht öffentlicher Gläubiger gibt es nicht.

Wäre der Fall Griechenland von Anfang an mit Intelligenz und Entschlusskraft behandelt worden, gäbe es ihn nur als peripheres Problem. Wir stecken nicht in einer „Eurokrise“, sondern schreiben das fünfte Jahr der schwersten Krise für die kapitalistische Finanzökonomie seit 1929. Deshalb hat Lagarde Recht, wenn sie das Ganze in den Fokus nimmt: Alle Zeichen stehen, wenn auch nicht auf Sturm, so doch auf Depression.

Europa befindet sich im Abschwung, die Fahrt geht immer schneller Richtung double-dip – das erneute Eintauchen in den Sumpf aus Rezession und Wachstumsminus –, das die Briten dank der genialen Sparpolitik ihrer liberal-konservativen Regierung schon jetzt erleben.

Über die Aufregung um den Dauerbrenner Euro sind die USA, Japan und Großbritannien fast vergessen worden, alles Länder, die jahrzehntelang stramm neoliberal regiert wurden und tiefer im Schuldensumpf stecken als alle anderen, Griechenland ausgenommen. Lagardes Vergleich des jetzigen Schuldenniveaus mit dem zu Kriegszeiten ist angemessen und wäre noch richtiger, würde sie die enorme Privatverschuldung von Haushalten, Unternehmen und Finanzbranche in ihr Krisenszenario einbeziehen. Diese Überschuldung ist der Grund für die angezogene Kreditbremse der Banken und den Investitionsstreik der produzierenden Wirtschaft. Dort wird rationalisiert, aber nicht expandiert. Wozu auch bei einem Weltmarkt, der von Überkapazitäten strotzt? Und da hat die IWF-Direktorin wieder Recht: Die Krisenagenda in der Eurozone und anderswo sei „bedenklich unvollständig“.

Bleibt die Frage, die in Tokio nicht beantwortet wurde: Wo und wie man aus der Weltkrise herauswächst, da man sich nicht heraussparen kann? Diees versucht haben – Wachstumsphänome aus der zweiten Reihe wie Mexiko, Indonesien und die Türkei – nähern sich wie Schäuble dem Ende ihres Küchenlateins. Im real existierenden Kapitalismus gilt nun mal: Keiner wächst für sich allein. Leider war der Ruf, in den am Ende alle einstimmten, der alte und falsche nach mehr Reformen im Zeichen des Fetischs „Wettbewerbsfähigkeit“. Die Grenzen dieses Dogmas werden die deutschen Exportweltmeister 2013 erfahren. Die Prognose gilt, solange sie auf eine fromm-schwäbische Denkungsart eingeschworen bleiben.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden