Es war einmal und es ist noch nicht so lange her, da hatten die Grünen die Idee, so richtig zu feiern am Bundestagswahlabend 2021. Und zwar in der baden-württembergischen Landesvertretung, weil da zuerst Geschichte geschrieben worden ist mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik – und dann Geschichte geschrieben werden sollte mit der ersten grünen Kanzlerin. Die fürs zweite Kapitel vorgesehenen Seiten bleiben leer. Die Wahlparty rund um die Live-Übertragungen, die der SWR mit viel Aufwand von Stuttgart nach Berlin verlegte, blieb eine reichlich träge Veranstaltungen. Kein Wunder, dass sich sogar Siegerinnen, wie die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, Spitzenkandidatin im Südwesten, zügig wieder ins Willy-Brandt-Haus verabschiedete – nicht ohne zu hinterlassen, dass sich aus den Plus- und den Minusbalken an diesem Abend nur ein Gestaltungsauftrag ablesen lässt, der von Olaf Scholz.
Vom grünen Hausherrn am Tiergarten wird allerdings schon seit ein paar Tagen ganz etwas anderes erzählt. Winfried Kretschmann – das ist nicht neu – hält nicht besonders viel vom sozialdemokratischen Finanzminister, vor allem seit den Verhandlungen über den CO2-Preis, und liebäugelt eher mit einer Jamaika-Koalition. Auf jeden Fall werden bereits zarte Bande zur FDP geknüpft, ganz unabhängig davon, ob Scholz oder doch der – angesichts der Zahlen – große Verlierer Armin Laschet zu Gesprächen lädt. Die Suche nach grün-gelben Gemeinsamkeiten soll verhindern, dass SPD und/oder Union die beiden Kleineren am Tisch gegebenenfalls zum eigenen Vorteil gegeneinander ausspielt.
Noch in der Nacht sollte deshalb der eine oder andere Nagel mit Kopf gemacht werden. Kretschmann sitzt offiziell in keinem Gremium seiner Partei, trotzdem wird er bei den Sondierungsgesprächen und danach den Koalitionsverhandlungen Richtung und Tonlage entscheidend mitbestimmen. „Unser Auftrag ergibt sich aus den Verhältnissen“, sagt er in die laue Septembernacht. Maßstab für die Regierungsbildung sei der Kampf gegen den Klimawandel und was erreicht werden könne, um die Erwärmung der Erde deutlich unter zwei Grad zu halten. Für den Ministerpräsidenten ist das derart dringlich, dass sogar die Zeit dräng. „Jeder Monat zählt“, bis Weihnachten zu verhandeln könne er sich „schon mal gar nicht vorstellen".
Wie sollen Grüne und Liberale zusammen kommen?
Dennoch bleibt – gerade wenn Baden-Württemberg zum Maßstab gemacht wird – völlig unklar, wie Grüne und Liberale zusammenkommen könnten. Lautsprecher letzterer ist der immer auf Offensive gebürstete FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag Hans-Ulrich Rülke. Der wusste vor den ersten Hochrechnungen, dass die Grünen auf Bundesebene „einen urlinken Kompass“ hätten und „keinen Moment zögern würden, eine Vermögenssteuer einzuführen“. Von dieser ihrer linken DNA könne sich auch der baden-württembergische Landesverband nicht emanzipieren. Als die Balken dann hochfuhren, sattelte der frühere Studienrat zügig um in der Hoffnung, sogleich wieder in die Offensive zu kommen. Rülke verlangt, dass die anderen möglichen Partner den Liberalen entgegenkommen, um auf Bundesebene mit ihnen zu regieren, und nicht andersrum. Seine Forderungen: keine Steuererhöhungen und keine Änderungen an der Schuldenbremse. Nach der Wahl ist vor den Verhandlungen. Und die Landesvertretung ist jenes Pfaster, auf dem sie, siehe Christian Lindner 2017, auch noch in allerletzter Minute scheitern können.
Kommentare 11
wie wärs mit klima/umweltschutz zu lasten der armen? da würde sich grüne und gelbe programmatik wunderbar vereinen lassen.
Alle vier Jahre verlieben sich zwei Neoliberale bei der #Bundestagswahl.
Mit Masken die breite Bevölkerung in Bus und Bahn. Nur die Eliten leisten sich dann die ElektroSUVs und Solargleiter.
und dann bitte mit cdu/csu die regierung stellen. diese wurst-demokratie ist einfach nur anödend, es gibt linke mehrheiten. aber immer rechte regierungen. übrigens war spd/grün unter schröder auch rechts. am besten gefällt mir, wie die wählerschaft von den medien mit dem argument der verschenkten stimme zu der sog. bürgerlichen linken getrieben werden, die sie dann doch verarschen und nach der wahl ich so gar nicht mehr an ihre weichgespülten linken positionen erinnern können.
kanns nicht noch mehr sein... für die richtigen... versteht sich....
sich so gar
Welches Klimaziel haben Kretschmann und seine Koalitionen aufgestellt oder sogar erreicht?
Warum herrscht das große Schweigen über Kretschmanns Klimaziele?
Warum ist Kretschmann nur ein einflussreicher Strippenzieher, aber als öffentlich wirksamer Politiker auf Bundesebene fast bedeutungslos? (Er versucht erst gar nicht, das breite Publikum auf der bundespolitischen Bühne zu überzeugen?)
Als Stratege lag Kretschmann bereits mit der Ausrichtung der Grünen auf Schwarz-Grün falsch! Das war eine Ursache des lahmen Wahlkampfs.
Guten Morgen,
Das sind sehr gute Fragen @philipp9x.
Die Landesgrünen BaWü haben ihre landespolitischen Strategien nicht an den notwendigen Klima-Aktionen und der Dringlichkeit eines sozial-ökologischen Adaptionsprozess ausgerichtet, sondern an einem vermeintlichen (und bürokratischen) ‚Harmonie‘-Verständnis mit dem Koalitionspartner CDU.
Ähnliches gilt für die Grünen in Hessen.
Dieses 'Erfolgsmodell' wurde dann wohl – aus Mangel an Alternativen, oder warum? – von der Bundesebene übernommen.
Das 'Harmonie-Motiv' wird in der Presse etc. gehudelt, von der Bevölkerung im Medien-Dunst inhaliert, mit viel Tam-Tam gewählt, und dann von der Presse wieder als ‚richtungsweisend‘ recycelt.
Der sichtbare Gipfel dieser Konfusionsmischung ist auch das grüne Video „Kein schöner Land zu dieser Zeit“.
>> Grüne und FDP suchen Gemeinsamkeiten – um sich nicht von den „Großen“ gegeneinander ausspielen zu lassen. <<
Das soll wohl am morgigen Mittwoch beginnen.
Es gibt aber auch eine umgekehrte Sicht der Dinge: Einmal gesuchte und gefundene "Gemeinsamkeiten" vorausgesetzt, kann das grün-gelbe Duo für jeden der beiden Kanzler-Kandidaten (nebst jeweiliger Partei) als gelähmter "Mäuserich" zur doppel-köpfigen Schlange mutieren incl. Oppositions-Biss.
Um nicht zum "Spielball" der Kleinen zu werden, sollten da nicht Schwarz und Rot miteinander reden? Sich nicht – im je eigenen Interesse – um eine "Nicht-Einigungsalternative" bemühen?
Wie von @ Endemann vor Tagen bereits anspekuliert: Um ein Revival der GroKo, diesmal unter roter Führung? Wenigstens als Verhandlungs-Strategie?
Diese Überlegungen lassen die Fragen unberührt, wie in einem Miteinander (das greifbar Trennende der beiden vor Augen) von GRÜN und GELB (bei ROT oder SCHWARZ als größerem Mitspieler) der jedenfalls ansatzweise diskutierte, keine weitere Verschleppung duldende sozial-ökologische Aufbruch ernsthaft, glaubwürdig und beständig über Legislaturen hinweg in die immerwährende, Jahrzehnte währende Transformation unser Lebens- und Arbeitsweise gelingen kann. Bei Einbindung der Vielen.
Der Weg entsteht im Gehen.
Muss man darum fürchten, dass die je nach der Macht Greifenden bereits anfänglich ins Stolpern geraten, statt sich, die ungeheuere Aufgabe vor Augen, sich in Demut, Klugheit und Weitsicht zu bescheiden?
Die Option Jamaika-Koalition existiert nicht, insofern können FDP und Grüne sie nicht als Drohszenario nutzen:
Blitzumfrage infratest dimap:
>>Würde der Kanzler direkt gewählt werden, entschieden sich 62 Prozent der Befragten für den SPD-Kandidaten Olaf Scholz und 16 Prozent für den Kandidaten der Union, Armin Laschet.
…
Von den Grünen-Anhängern will eine klare Mehrheit von 81 Prozent die Ampel, 16 Prozent waren für eine unionsgeführte Koalition.<<
Hier mehr: „FDP ist für Scholz billig zu haben“