Nach der Wahl ist vor den Verhandlungen

Bundestagswahl Grüne und FDP suchen Gemeinsamkeiten – um sich nicht von den „Großen“ gegeneinander ausspielen zu lassen
Winfried Kretschmann – das ist nicht neu – hält nicht viel von Olaf Scholz
Winfried Kretschmann – das ist nicht neu – hält nicht viel von Olaf Scholz

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Es war einmal und es ist noch nicht so lange her, da hatten die Grünen die Idee, so richtig zu feiern am Bundestagswahlabend 2021. Und zwar in der baden-württembergischen Landesvertretung, weil da zuerst Geschichte geschrieben worden ist mit dem ersten grünen Ministerpräsidenten der Republik – und dann Geschichte geschrieben werden sollte mit der ersten grünen Kanzlerin. Die fürs zweite Kapitel vorgesehenen Seiten bleiben leer. Die Wahlparty rund um die Live-Übertragungen, die der SWR mit viel Aufwand von Stuttgart nach Berlin verlegte, blieb eine reichlich träge Veranstaltungen. Kein Wunder, dass sich sogar Siegerinnen, wie die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken, Spitzenkandidatin im Südwesten, zügig wieder ins Willy-Brandt-Haus verabschiedete – nicht ohne zu hinterlassen, dass sich aus den Plus- und den Minusbalken an diesem Abend nur ein Gestaltungsauftrag ablesen lässt, der von Olaf Scholz.

Vom grünen Hausherrn am Tiergarten wird allerdings schon seit ein paar Tagen ganz etwas anderes erzählt. Winfried Kretschmann – das ist nicht neu – hält nicht besonders viel vom sozialdemokratischen Finanzminister, vor allem seit den Verhandlungen über den CO2-Preis, und liebäugelt eher mit einer Jamaika-Koalition. Auf jeden Fall werden bereits zarte Bande zur FDP geknüpft, ganz unabhängig davon, ob Scholz oder doch der – angesichts der Zahlen – große Verlierer Armin Laschet zu Gesprächen lädt. Die Suche nach grün-gelben Gemeinsamkeiten soll verhindern, dass SPD und/oder Union die beiden Kleineren am Tisch gegebenenfalls zum eigenen Vorteil gegeneinander ausspielt.

Noch in der Nacht sollte deshalb der eine oder andere Nagel mit Kopf gemacht werden. Kretschmann sitzt offiziell in keinem Gremium seiner Partei, trotzdem wird er bei den Sondierungsgesprächen und danach den Koalitionsverhandlungen Richtung und Tonlage entscheidend mitbestimmen. „Unser Auftrag ergibt sich aus den Verhältnissen“, sagt er in die laue Septembernacht. Maßstab für die Regierungsbildung sei der Kampf gegen den Klimawandel und was erreicht werden könne, um die Erwärmung der Erde deutlich unter zwei Grad zu halten. Für den Ministerpräsidenten ist das derart dringlich, dass sogar die Zeit dräng. „Jeder Monat zählt“, bis Weihnachten zu verhandeln könne er sich „schon mal gar nicht vorstellen".

Wie sollen Grüne und Liberale zusammen kommen?

Dennoch bleibt – gerade wenn Baden-Württemberg zum Maßstab gemacht wird – völlig unklar, wie Grüne und Liberale zusammenkommen könnten. Lautsprecher letzterer ist der immer auf Offensive gebürstete FDP-Fraktionschef im Stuttgarter Landtag Hans-Ulrich Rülke. Der wusste vor den ersten Hochrechnungen, dass die Grünen auf Bundesebene „einen urlinken Kompass“ hätten und „keinen Moment zögern würden, eine Vermögenssteuer einzuführen“. Von dieser ihrer linken DNA könne sich auch der baden-württembergische Landesverband nicht emanzipieren. Als die Balken dann hochfuhren, sattelte der frühere Studienrat zügig um in der Hoffnung, sogleich wieder in die Offensive zu kommen. Rülke verlangt, dass die anderen möglichen Partner den Liberalen entgegenkommen, um auf Bundesebene mit ihnen zu regieren, und nicht andersrum. Seine Forderungen: keine Steuererhöhungen und keine Änderungen an der Schuldenbremse. Nach der Wahl ist vor den Verhandlungen. Und die Landesvertretung ist jenes Pfaster, auf dem sie, siehe Christian Lindner 2017, auch noch in allerletzter Minute scheitern können.

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