Erste Hilfe: Von Schnappatmung, Seitenlage und Reanimation
A-Z Überlastete Notrufe und zögerliche Reaktionen von Umstehenden sind im Notfall lebensgefährlich. Unser Autor Jan C. Behmann ist Notfallsanitäter. Hier gibt er Laien ein paar Anregungen, was sie im Ernstfall tun sollen
Nur eine Sache ist im Notfall falsch: Liegen lassen und warten
Foto: Imago / Jürgen Schwarz
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Atemstillstand Die Unsicherheit ist groß. Atmet die Person nicht mehr oder vielleicht doch noch? Man kann von Menschen, die mit so einer Situation das erste Mal konfrontiert sind, nicht verlangen, dass sie sofort reüssieren. Doch die Reanimation verlangt entschiedenes Handeln! So spricht man von „Nicht normaler Atmung“ statt „Keiner Atmung“. Denn ein Mensch, der frisch einen Herz-Kreislaufstillstand erleidet, hat eventuell eine „Schnappatmung“. Letzte vereinzelte Atemzüge, bevor die Atmung ganz aussetzt. Auch in dieser Situation muss bereits mit einer Reanimation begonnen werden. Nur wenn eine Person normal ein- und ausatmet, muss nicht reanimiert werden. Oft sind Ersthelfende aber zu zögerlich und unterlassen die Reanimation. Das be
erlich und unterlassen die Reanimation. Das bedeutet für die zu reanimierende Person oft den Tod. Denn wenn ein Reanimationspatient bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes unbehandelt „liegenbleibt“, hat er in der Regel kaum noch Überlebenschancen (➝ Zugbrücke).BBeatmung Ja, einen fremden Menschen zu beatmen, das kann eine echte Herausforderung sein. Zumeist finden Reanimationssituationen aber im häuslichen Umfeld statt. Generell und schon immer ist die Beatmung aber freiwillig. Geschulte Ersthelfende sollten sie durchführen können, aber wie jeder andere Helfende auch, kann auch ein Ersthelfender entscheiden, ob er das potenzielle (Infektions-) Risiko eingeht. Der Kopf des Patienten wird leicht überstreckt, der Mund oder die Nase des Patienten umschlossen und dann zweimal nacheinander jeweils eine Sekunde lang der Patient beatmet, sodass sich dessen Brustkorb hebt. Wenn man sich gegen die Beatmung entscheidet, kann man auch ausschließlich die Herzdruckmassage in einer Frequenz von 100 bis 120 pro Minute durchführen. Denken Sie dabei an Stayin Alive von den Bee Gees, um die Frequenz zu halten.DDefibrillator „Achtung, Schock! Weg vom Tisch!“ – wer kennt diesen Ausruf nicht aus dem Fernsehen. Dort ist vieles übertrieben oder falsch, aber dieser Ausruf stimmt. Als ich das erste Mal einen Menschen defibrilliert habe, wirkte die Szene daher eher surreal. Nur „springen“ die Patienten bei der Schockabgabe nicht einen halben Meter hoch – da haben wir wieder die Übertreibung im Fernsehen. Eine Defibrillation dient dem therapeutischen Zweck, ein lebensbedrohliches Herzkammerflimmern zu unterbrechen. Auch für Laien und Ersthelfende gibt es seit mehr als zwei Dekaden ein geeignetes Gerät: den Automatischen Externen Defibrillator, kurz AED. Dieser wird mittels zweier Klebeelektroden auf den Oberkörper an den Patienten angeschlossen, misst im EKG die Notwendigkeit eines Schocks und gibt bedarfsweise einen Schock frei. Benutzt werden dürfen diese AED in Deutschland übrigens von jeder Person – auch ohne Einweisung als Anwender. Wichtig ist, dass der AED kein Ersatz für die Herzdruckmassage und Beatmung ist, sondern eine Ergänzung! Für einen effektiven Einsatz des AED müssen mindestens zwei Helfer anwesend sein.KKinderreanimation Es gibt im Rettungsdienst weniges, um das sich ein kalter, dunkler Mantel des Schweigens hüllt. Nur wenige Kollegen erleben diese Situation, die einem emotional das Blut in den Adern gefrieren lässt. Kollegen, die mir von Momenten erzählten, in denen einem Kind nicht mehr zu helfen war, bekamen einen starren Blick.Doch könnten Kinderreanimationen oft einen besseren Ausgang haben, wenn Eltern und Erzieher mit der Reanimation sofort beginnen würden, statt aus Angst vor Fehlern (➝ Mut) nichts zu tun. Merken Sie sich also: Egal wie alt die Person ist, starten Sie die Reanimation umgehend! Nur nichts zu tun, kann die Situation noch schlechter werden lassen, als sie schon ist.MMut Einem Menschen das Leben zu retten bedeutet, Mut zu haben. Eine Reanimation ist eine körperliche und seelische Meisterleistung. Es setzt eine besondere Courage voraus, diese Aufgabe anzunehmen, womöglich sogar in der Öffentlichkeit. Vor anderen, an einem Menschen, den man gar nicht kennt. Oder sehr gut kennt. Ich ermutige Sie, mutig zu sein! Aber ich verstehe auch, wenn Sie zögern sollten. Wenn Sie Sorge vor der Herzdruckmassage (➝ ROSC) haben. Wenn Sie Angst haben. Das ist ganz normal. Doch ich kann Ihnen auch sagen, dass Sie der „Gamechanger“ für die Situation sind. Auf Sie und niemanden sonst kommt es an. Seien Sie ein Held!NNotarzt Ärztlichen Einsatz zu respektieren, kann nicht schaden, sind es doch auch Menschen. Leider hilft dieser Respekt im Falle einer Reanimationssituation nicht, weil Menschen denken, der Notarzt wäre der eigentliche Gamechanger und man solle den Patienten erst einmal „in Ruhe“ lassen, bis der Doktor da sei. Im Falle einer Reanimation ist dies aber genau falsch. Bei einer Reanimation kommt es immer auf die schnellstmögliche Einleitung der Maßnahmen durch umstehende Personen an. Egal ob Laien oder Ersthelfende. Kein Mitarbeiter des Rettungsdienstes oder der Notarzt können dieses „therapiefreie Intervall“ durch medizinische Maßnahmen wiedergutmachen. Auch kein Rettungshubschrauber. Der Sauerstoffmangel durch den Herzkreislaufstillstand tötet den Patienten unaufhaltsam und lässt seine Überlebenschance von Minute zu Minute rapide sinken. Also nicht auf vermeintlich oder wirklich qualifiziertere Personen warten!QQual Wer die innere Qual der Ahnungslosigkeit überwinden will, sollte regelmäßig, am besten alle zwei Jahre, einen Erste-Hilfe-Kurs besuchen und sein Wissen auffrischen. Nein, der Motorradhelm muss nicht zwangsweise auf dem Kopf bleiben, sondern bei Bewusstlosigkeit des Patienten abgenommen werden, um die Vitalparameter zu prüfen und gegebenenfalls lebensrettende Maßnahmen einzuleiten. Auf die (vermeidbaren!) Brandwunden zu Silvester gehört kein Mehl und Rippen bohren sich bei der Herzdruckmassage nicht automatisch in die Lunge. Diese „Mythen“ der Ersten Hilfe halten sich leider hartnäckig. Sich in desaströse Eventualkomplikationen zu flüchten, ist psychoanalytisch derweil nur ein verständlicher Mechanismus der Seele, sich irgendwie rational begründbar und dabei moralisch sauber aus dieser (für jeden) überfordernden Situation zu manövrieren. Doch man kann es drehen und wenden wie man will: nur Helfen hilft, um Menschen zu retten.RROSC 2018 habe ich einen Menschen vor einer Autowerkstatt reanimiert. Erst dachte ich, meine Mitarbeiter wollten mir einen Streich spielen. Der Patient klagte so lehrbuchmäßig über Schmerzen in der Brust und wurde sogleich bewusstlos. Ich legte ihn auf den Asphalt, kontrollierte seine Atmung (➝ Atemstillstand), die nicht mehr vorhanden war, und startete unverzüglich die Herzdruckmassage. Und wie nicht selten bei Reanimationen berichtet wird, die direkt nach Eintritt des Herzkreislaufstillstandes begonnen wurden, hatte der Patient kurze Zeit später einen ROSC: Return of Spontaneous Circulation. Er lebte wieder und weiter. Ohne mich wäre der Mann schon vier Jahre tot. So etwas können Sie auch leisten! Sie brauchen Mut, Wissen und zwei Hände.SSeitenlage Wenn Professor Bernd Böttiger (Uniklinik Köln) Vorträge über die Reanimation hält, halten Fachkollegen scheinbar den Atem an. Denn die jahrzehntelang gepriesene Stabile Seitenlage ist dem Anästhesisten, einer Koryphäe, ein Dorn im Auge. Oft denken Ersthelfer, sie hätten eine Art „Wahl“, ob sie reanimieren oder „sicherheitshalber“ doch erstmal nur die Seitenlage machen. Für Patienten, die reanimationspflichtig sind, ist das lebensgefährlich. So berichten Rettungsdienstler und Notärzte, dass sie Reanimationspatienten oftmals in der Stabilen Seitenlage vorfänden. Der Sauerstoffmangel ist dann schon unaufhaltsam fortgeschritten. Sie sterben oder erleiden schwerste Hirnschäden. Nur wenn der Patient bewusstlos ist und wirklich atmet, ist die Seitenlage die richtige Wahl.TT-CPR Erinnern Sie sich noch an die Notruf-Folgen mit Hans Meiser bei RTL? Bei den Fällen aus den USA erlebte man schon Anfang der Neunziger, wie Disponenten am Telefon den Anrufern Anweisungen gaben, Erste-Hilfe-Maßnahmen zu beginnen. Mittlerweile ist die Telefon-Wiederbelebung (kurz T-CPR, CPR: Kardiopulmunale Reanimation) in immer mehr Leitstellen ein fester Bestandteil des Aufgabenkonzepts. Und wenn man hört, wie Leitstellendisponenten Menschen nur durch Worte anleiten und motivieren können, eine Reanimation zu starten, ist man sprachlos, was dadurch erreicht werden kann, wenn man das eben noch reanimationspflichtige Baby im Hintergrund wieder schreien hört.UUnverzüglich Wen rufen Sie an, wenn Sie den Rettungsdienst benötigen? Die 112, richtig. Ohne Vorwahl, jederzeit, auch vom Handy ohne Guthaben aus. Dass die Anzahl der Notrufe rasant gestiegen ist, ist ein Zeitgeistphänomen. Vielen Menschen fällt es schwer, zu differenzieren, was ein „wirklicher“ Notfall ist. Das ist, sage ich Ihnen aus mehr als zwanzig Jahren Berufserfahrung, manchmal auch nicht leicht (➝ Qual). Ich hatte Patienten, die vom Balkon gestürzt waren und mit dem Bus ins Krankenhaus fahren wollten, aber auch eine Tennisspielerin, die wegen einer Petitesse nach einem Rettungshubschrauber verlangte.Seit gut einem Jahr gibt es, neben dem Anruf, auch eine offizielle Notruf-App der Bundesländer. „Nora“ kann durch jeden mit Smartphone kostenlos heruntergeladen und benutzt werden, nachdem man sich registriert hat. Wie bei einer Taxi-App wird man geortet und kann mit dem Disponenten chatten. So kann man bei einer Gewalttat auch „still“ einen Notruf absetzen.ZZugbrücke Eine Minute ohne Versorgung, zehn Prozent weniger Überlebenschance. Der Rettungsdienst benötigt aber um die zehn Minuten, um nicht nur an der Einsatzadresse, sondern auch am Patienten zu sein. Da der Rettungsdienst derzeit oft überlastet ist, kann es in Einzelfällen auch länger dauern. Rein rechnerisch ist also bereits nach zehn Minuten die Zugbrücke zum (Über-)Leben hochgezogen. Der Patient wird, rein statistisch, diese Situation nicht überleben. Dagegen gibt es nur eine Lösung: Reanimationspatienten müssen von Umstehenden sofort reanimiert werden. Nichts kann diese frühe Intervention ersetzen. Es muss mit der Herzdruckmassage und ggf. der Beatmung begonnen werden und, insofern vorhanden, ein AED (➝ Defibrillator) eingesetzt werden. Alles andere ist, so hart es auch klingt, das Todesurteil für den Patienten. Beginnen Sie.
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