Warum sind rechts Parteien wie die AfD oder die Partei für die Freiheit von Geert Wilders in ganz Europa so stark? Gerne werden die Wut über Einwanderung oder Corona-Maßnahmen wie Lockdowns, Maskenpflicht oder Impfstoffe als Gründe angeführt. Auch der Eindruck, dass die Regierungen die Transformation zu grüner Energie zu schnell vorantreiben und damit womöglich einigen der ärmeren Bevölkerungsschichten schaden, wird für den Rechtsruck verantwortlich gemacht. Eine Studie der Harvard-Ökonomin Stefanie Stantcheva und anderer Autoren für die USA legt jedoch eine ganz andere Begründung nahe: Der Aufstieg der links- und rechtspopulistischen Parteien könnte durch eine breitere gesellschaftliche Verschiebung hin zu einem Denken
USA legt jedoch eine ganz andere Begründung nahe: Der Aufstieg der links- und rechtspopulistischen Parteien könnte durch eine breitere gesellschaftliche Verschiebung hin zu einem Denken bedingt sein, das sie „Nullsummen-Denken“ nennen.Darunter verstehen die Wissenschaftlerinnen um Stantcheva die Überzeugung, dass eine Gruppe nur dann gewinnen kann, wenn andere dafür verlieren. Politischer Populismus, Verschwörungstheorien und nationalistische Stimmungen, so die Autoren, haben ihre Wurzeln in der Überzeugung, dass eine Gruppe auf Kosten anderer profitiert – sei es eine globale Elite, der „tiefe Staat“ oder Migrant*innen.Die Autoren stellen einen Zusammenhang zwischen dem Nullsummen-Denken und der Unterstützung für wirtschaftliche Umverteilung und einwanderungsfeindliche Bewegungen fest: Die Anhäufung von Wohlstand für die einen wird so wahrgenommen, dass sie auf Kosten der weniger Glücklichen vonstatten geht. Im Gegensatz dazu glauben Menschen mit einem Positivsummen-Denken, dass alle davon profitieren, wenn die Reichen reicher werden – eine steigende Flut hebt alle Boote. Nullsummen-Denker sehen die Einwanderung eher als schädlich für die Bürger ohne Migrationshintergrund an, weshalb sie eine restriktive Politik unterstützen.Aufwachsen in der Krise: Die Jugend tendiert zum Nullsummen-DenkenDie Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass ein solches Nullsummen-Denken eher in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation vorherrscht, wenn die Ressourcen knapp sind. Umgekehrt ist es in Gesellschaften mit robustem Wirtschaftswachstum und größerer sozialer Mobilität deutlich unwahrscheinlicher, dass die politische Wirtschaft als Nullsummenspiel betrachtet wird.Dies ist eine mögliche Erklärung für den jüngsten starken Anstieg der Unterstützung für die AfD. Ähnlich wie andere europäische Volkswirtschaften hatte sich auch Deutschland kaum von der globalen Finanzkrise 2008 erholt – in deren Folge sich die AfD gründete –, bevor es von der Pandemie und der durch Russlands Einmarsch in der Ukraine ausgelösten Energiekrise hart getroffen wurde.Interessanterweise stellen die Autoren fest, dass jüngere Menschen eher zum Nullsummen-Denken neigen als ältere. Diese Tendenz steht in engem Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Bedingungen: Wenn junge Menschen nur begrenzte Berufsaussichten haben und wenig Chancen auf einen Aufstieg sehen, neigen sie eher zu einem Denken der begrenzten Verteilung. Der Studie zufolge vertreten junge Menschen heute viel eher die Ansicht, dass Erfolg mehr von Glück und Beziehungen als von Anstrengung abhängt.Dies gilt für Deutschland besonders, das eine der niedrigsten Raten der sozialen Mobilität in der OECD aufweist. Es ist bezeichnend, dass ältere Deutsche, die in ihren jungen Jahren die Früchte des Nachkriegsbooms genossen haben, eher eine wachstumsfördernde Politik der Umverteilung vorziehen. Eine kürzlich durchgeführte Trendstudie bestätigt, dass junge Menschen in Deutschland zunehmend zum Nullsummen-Denken neigen: 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen gaben an, dass sie bei einer Bundestagswahl heute die AfD wählen würden, während es 2022 noch 9 Prozent waren.Umverteilung gibt es mit der AfD nicht – wohl aber mit Sahra WagenknechtWas für politische Folgen hat diese Verschiebung im ökonomischen und sozialen Denken? Die AfD passt politisch nicht so ganz zum Nullsummen-Denken: Zwar ist sie einerseits gegen Einwanderung, andererseits aber auch keine Befürworterin von Umverteilung. Das Bündnis Sahra Wagenknecht hingegen, ist auch gegen Einwanderung, aber für Umverteilung – und lehnt die wirtschaftliche und militärische Unterstützung der Ukraine ab. Sie entspricht dem dominanten Nullsummen-Denken und könnte der in dieser Hinsicht AfD Wähler abspenstig machen – und so ihren Aufstieg bremsen.Die wirksamsten Mittel gegen politischen Populismus sind jedoch nach wie vor ein robustes Wirtschaftswachstum, eine Fülle von Chancen für junge Menschen und ein hohes Maß an sozialer Mobilität. Wenn Deutschland nicht vom Nullsummen-Denken abrückt und die jungen Menschen motiviert werden, könnten geringere Innovationen und langsameres Wachstum der Wirtschaft langfristig erheblichen Schaden zufügen.