Rechte Jugendliche: Sieben Thesen, warum die Kids zur AfD rücken
AfD Früher kämpften Jugendliche und junge Erwachsene gegen Rassismus und für Klimaschutz. Heute neigen sie nach rechts. Und das ist mehr als eine Tiktok-Radikalisierung
Montage: der Freitag; Material: Midjourney, Getty Images, Imago Images
Die AfD auf Platz eins. Was sie bundesweit erreichen möchte, hat sie bei jungen Menschen bereits geschafft. Laut der Studie „Jugend in Deutschland 2024“ ist die AfD bei den 14- bis 29-Jährigen, die sich für eine Partei entscheiden, mit 22 Prozent die beliebteste. Zwar relativiert sich der Wert, wenn man bedenkt, dass die Umfrage für die Studie Anfang des Jahres durchgeführt wurde, als Demoskopen die AfD noch im Schnitt bei über 20 Prozent sahen.
Dennoch ist ein Trend zu beobachten: Bislang wählten die AfD vor allem Menschen mittleren Alters. Vor zwei Jahren kam die AfD in der Jugendstudie nur auf neun Prozent. Nicht nur die aktuelle Studie deutet an, dass sich das gerade ändert. Schon bei den Landtagswahlen 2023 in Hessen und Bayern schnit
ss sich das gerade ändert. Schon bei den Landtagswahlen 2023 in Hessen und Bayern schnitt die AfD bei den Jungen überdurchschnittlich gut ab. Und am vergangenen Wochenende löste ein Gewaltvorfall in Dresden breites Entsetzen aus, bei dem vier Jugendliche im Alter von 17 und 18 Jahren einen SPD-Politiker und einen Vertreter der Grünen brutal zusammengeschlagen haben sollen. Es lohnt sich also, genauer hinzuschauen. Woran liegt der Rechtsruck der Jugend?1. Die AfD ist die einzige Anti-Establishment-ParteiUm die aktuelle Verschiebung zu verstehen, muss man zurückblicken. Noch vor zwei Jahren zeigte die Trendstudie ein ganz anderes Bild. Fast die Hälfte der Jugendlichen und jungen Erwachsenen unterstützte die Grünen (27 Prozent) oder die FDP (19 Prozent). Innerhalb von zwei Jahren haben diese Parteien erheblich verloren – die FDP um elf Prozentpunkte, die Grünen um neun. Das könnte an enttäuschten Hoffnungen liegen, da beide Parteien als Teil der Ampelregierung eher Krisen verwalten als Entwicklungen vorantreiben. Mit ihrem Eintritt in die Regierung haben Grüne und die FDP, die früher als Alternativen gesehen wurden, dieses Image verloren. SPD und CDU werden von vielen Jugendlichen ohnehin als etabliert wahrgenommen.Eine ähnliche Entwicklung hat sich in Italien vollzogen, wo fast alle Parteien schon irgendwann an der Regierung beteiligt waren, ohne dass sie an den Problemen des Landes etwas grundsätzlich geändert hätten. Eine Studie von Terre des hommes aus dem Jahr 2021 zeigte, dass fast die Hälfte der Jugendlichen die Überalterung und Engstirnigkeit der Gesellschaft als größtes Hindernis für ihr Leben ansah. Politisch schien niemand in der Lage, diese Engstirnigkeit aufzubrechen – bis Giorgia Meloni kam. Die frühere Jugend- und Familienministerin, deren Partei noch nie regiert hatte, konnte sich als junge Alternative zum Establishment präsentieren. Inzwischen gilt ihre Partei Fratelli d’Italia als eine der beliebtesten Parteien unter Jungwählern, Neofaschismus hin oder her. 2. Die AfD spricht ehemalige FDP-Anhänger anDie Vermutung liegt nahe, dass eine beträchtliche Zahl junger Menschen, die einst mit der FDP sympathisiert haben, nun mit der AfD liebäugelt. In linksliberalen Kreisen wird oft kritisiert, dass die anderen Partner der Ampelkoalition zu viele Zugeständnisse an die FDP gemacht haben. Auf der rechten Seite des politischen Spektrums wird jedoch genau das Gegenteil behauptet: Die FDP habe sich der Politik ihrer Koalitionspartner angepasst, sei nach links gerückt und somit unwählbar geworden.Der Weg zur AfD ist dann nicht weit, bietet sie doch mit ihrem Narrativ vom linksgrünen Establishment eine schlüssige Erklärung dafür, dass sich die Politik der Regierung trotz des Einflusses der FDP nicht wesentlich von der der Vorgängerkoalition unterscheidet. Zudem gehören marktliberale Positionen zum Markenkern beider Parteien, was vor allem bei jungen Männern gut ankommt. Generell dürfte beim Wechsel von der FDP zur AfD das Geschlecht eine Rolle spielen, denn beide Parteien sprechen überwiegend Männer an. Immer wieder zeigen Studien außerdem, dass es bei Jugendlichen große geschlechtsspezifische Unterschiede in der Parteipräferenz gibt: Während junge Frauen zuletzt deutlich liberaler geworden sind, bleiben junge Männer eher konservativ. 3. Junge sind weniger an etablierte Parteien gebundenWährend Ältere viele Jahrzehnte ohne eine rechtsradikale Partei im Bundestag erlebt haben, sind rechte Akteure für die Generation Z ein selbstverständlicher Teil des politischen Lebens. Der Aufstieg der AfD, Trumps Wahlerfolg und der Brexit stehen am Anfang ihrer politischen Sozialisation. Allen Warnungen zum Trotz haben auch rechte und rechtsradikale Regierungen bisher weder in den Faschismus noch in die totale ökonomische Katastrophe geführt. Dadurch könnten die Warnungen vor rechten Parteien abgestumpft sein.Ein Mittel gegen die Attraktivität von Randparteien war lange Zeit die Integrationskraft des Etablierten – eine Integrationskraft, die vor allem bei Älteren wirkt. So schnitt die AfD bislang mit Abstand am schwächsten bei Rentnern ab. Schon die Generation der Millennials aber ist kaum noch in Parteien eingebunden. Stattdessen protestiert sie in losen Bündnissen auf der Straße oder engagiert sich in NGOs – beides gemessen an ihren Forderungen weitgehend ohne Erfolg. Die jüngste Generation hat das Scheitern dieser Strategien deutlich vor Augen. 4. Die Hoffnung auf junge Politiker wurde enttäuschtPlaceholder image-1Eine Mehrheit der Jugendlichen sagt laut der Jugendstudie, dass sie die Politik und die Parteien für die wichtigsten Akteure halten, während der Einfluss von „Menschen wie du und ich“ als eher gering eingeschätzt wird. Die Ampelkoalition droht dieses Gefühl zu verstärken. Denn sie feierte zwar nach der Bundestagswahl 2021 den jüngsten Bundestag seit Jahrzehnten. Doch zweieinhalb Jahre später ist wenig Euphorie übrig geblieben. Die meisten jungen Abgeordneten gehören zwar der SPD, den Grünen und der FDP an. Sie sind medial aber kaum präsent und gehen als Abnicker der Regierungspolitik unter. Die AfD selbst tritt zwar nicht jünger auf, weiß aber den vorpolitischen Raum, besonders den digitalen, mit jungen Aktivisten zu bespielen: Die Tiktok-Agitation der AfD funktioniert in sozialen Medien schlicht besser als Tanzvideos junger SPD-Abgeordneter, die nur ihren eigenen Erfolg feiern.5. Die Rechten sind auf Social Media erfolgreichDer AfD gelingt es, junge Menschen über soziale Medien zu erreichen: Genau da, wo diese jeden Tag mehrere Stunden verbringen. Nur ein kleiner Teil der Jugendlichen nutzt das Smartphone weniger als zwei Stunden täglich, 45 Prozent hingegen mehr als vier Stunden – ein Großteil davon in sozialen Netzwerken. In der Kombination aus exzessiver Handynutzung und gezielter Bespielung sozialer Medien von Rechten sehen Politikberater eine wesentliche Ursache für den Erfolg der AfD bei Jugendlichen.Die Autoren der Trendstudie empfehlen den etablierten Parteien entsprechend, bei Tiktok nachzuziehen, um den Anschluss an die Jugend nicht zu verlieren. Doch so einfach ist das nicht: Dass sich eine gute Social-Media-Strategie positiv auswirken kann, liegt zwar nahe. Ob diese aber so entscheidend ist, wie vielfach suggeriert wird, sollte bezweifelt werden. Denn ein erfolgreicher Tiktok-Auftritt führt nicht zwangsläufig zu einer positiven Bewertung der Politiker. Emmanuel Macron etwa ist mit stabil hohen Abrufzahlen einer der erfolgreichsten Politiker auf Tiktok. Dennoch unterstützen ihn nur noch wenige junge Menschen. Die rechtspopulistische Marine Le Pen hingegen hat nicht einmal ein Viertel so viele Follower auf TikTok – gilt aber in Umfragen als die beliebtere Politikerin.6. Mehr junge Menschen lehnen die Aufnahme von Flüchtlingen abEin Erklärungsansatz, vor allem von rechts ins Feld geführt, hält die hohe Zahl von Migranten für den Hauptgrund des Rechtsrucks unter den Jugendlichen. Es stimmt, dass in Deutschland mehr Nichtdeutsche leben als früher. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung lag seit 1990 stabil bei rund acht Prozent. Seit 2014 steigt dieser Anteil kontinuierlich an und liegt inzwischen bei 14,6 Prozent. Ein gutes Drittel der Jüngeren in Deutschland hat sogar selbst einen Migrationshintergrund.Die Autoren der Trendstudie betonen, dass die meisten Jugendlichen kulturelle Unterschiede selbstverständlich akzeptieren. Aber natürlich bemerken sie die zunehmende Migration. Gerade in Zeiten knapper Ressourcen – allen voran mangelt es an Wohnungen in Großstädten – scheint sie stärker ins Gewicht zu fallen. Wenn man selbst keine Wohnung findet, staatlich finanzierter Wohnungsbau weitgehend ausbleibt und plötzlich deutlich mehr Menschen in einem Land leben, lässt sich schnell ein Zusammenhang zwischen beiden Entwicklungen herstellen.Die Trendstudie scheint das zu bestätigen. Die Zunahme von „Flüchtlingsströmen“ ist zwar nur die zehntgrößte Sorge der Jugendlichen. Seit 2022 hat sich die Zahl derer, die diese Sorge teilen, jedoch verdoppelt. Keine andere Sorge hat so sehr zugenommen. Damit ist die Jugend nicht allein: Die Bereitschaft, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, sinkt auch in der Gesamtbevölkerung. 2021 sagten 36 Prozent der Gesamtbevölkerung, Deutschland könne nicht mehr Flüchtlinge aufnehmen, weil es an seiner Belastungsgrenze sei. Inzwischen sind es 60 Prozent.7. Die Verteilungskämpfe nehmen zuJunge Menschen sorgen sich am meisten vor der Inflation – und davor, keine bezahlbare Wohnung zu finden. Vielleicht zeigt sich darin ein Trend, den die Arbeitssoziologie schon länger diskutiert: An die Stelle von Solidarität treten bei rechten Arbeitern Konkurrenz- und Wettbewerbsdenken. Sie neigen dann dazu, den Kampf für den Erhalt ihres Status zu „ethnisieren“.Die AfD versteht es, sozioökonomische Konflikte als kulturelle oder nationale Konflikte auszutragen. Das sichert ihr Zulauf, wenn sich die wirtschaftliche Lage zuspitzt. In den vergangenen Jahren war viel von Abstiegsängsten der Mittelschicht die Rede. Wer Angst hat, etwas zu verlieren, so die These, sei anfälliger für rechte Positionen. Erst- und Jungwähler stehen erst am Anfang ihrer Berufslaufbahn und müssen sich in der Regel ihren Platz in der Gesellschaft noch erkämpfen. Individualistisches Leistungs- und Konkurrenzdenken dürfte deshalb besonders stark ausgeprägt sein. Kanalisieren Parteien dieses Konkurrenzdenken, können sie es im Sinne ihrer Agenda lenken. Aus unterschiedlichen Richtungen kommend treffen sich ideologisch dann die, die sich um ihren Platz in der Gesellschaft sorgen, mit jenen, die sich diesen erst noch erstreiten müssen. Die Jugend rüstet sich jedenfalls für anstehende Verteilungskämpfe.
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