Jung, westdeutsch, Angst vor der Zukunft: Wem die AfD ihre jüngsten Erfolge verdankt

Wahlverhalten In Hessen und Bayern haben am seltensten ältere Menschen die AfD gewählt. Bei den Erstwählern hingegen war die Partei Björn Höckes und Alice Weidels ganz vorne mit dabei
Ausgabe 41/2023
Ist selber Jahrgang 1979: Alice Weidel, Bundessprecherin der AfD
Ist selber Jahrgang 1979: Alice Weidel, Bundessprecherin der AfD

Bild: Uwe Anspach/picture alliance/dpa

Als normal gilt etwas erst, wenn es sich im Westen etabliert hat. Eine AfD mit den häufig verzerrten Gesichtern eines Björn Höcke und einer Alice Weidel in der ersten Reihe als ganz normalen Teil des deutschen Parteiensystems zu betrachten, fällt scheinbar leichter, werden der beiden gefährliche Pläne in westdeutschen Flächenstaaten von unbekannten Gesichtern auf Wahlplakaten camoufliert.

Diese Gesichter sind die klaren Gewinner der beiden Landtagswahlen, in Hessen ging bald schon jede fünfte Stimme an die AfD, auch in Bayern wird sie fortan die Oppositionsführerin sein. Niemand empfiehlt für die Westdeutschen jetzt Nachhilfe in Sachen Demokratie, fordert die Abtrennung von Deutschland, wie einst etliche Stimmen für Sachsen (zumindest die Bayern würden das wenn, dann wohl auch selbst in die Hand nehmen).

Westdeutschland und der Antifaschismus

Auch der Umgang Hubert Aiwangers mit dem Nazi-Flugblatt ließe ja fragen, wie es eigentlich um die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in den alten Bundesländern bestellt war, nur ließe sich dabei eben nicht so eigenentlastend spotten über die vermeintlichen Folgen eines „staatlich verordneten Antifaschismus“ in der DDR. Aiwanger und seine Freien Wähler haben in Bayern auf dem gleichen Niveau gewonnen wie die AfD – sollte die intensive mediale Ausleuchtung des Flugblatt-Falls als Appell an Anstand und Geschichtsbewusstsein dienen, so fällt die Antwort geradezu höhnisch aus.

Das ist umso bemerkenswerter, als es ja nicht vorrangig alte weiße Männer oder überhaupt „Boomer“ sind, die den besonders rechten Parteien solche Wahlsiege bescherten – einstellig waren die Ergebnisse der AfD in Bayern wie in Hessen nur in der Altersgruppe der über 70-Jährigen, und die Älteren waren es einmal mehr, die noch am ehesten die alten Volksparteien CSU, CDU und SPD wählten. Bei den Erstwählern war die AfD mit 15 und 16 Prozent ganz vorne mit dabei. Hier findet Ausdruck, was eigentlich keine neue Erkenntnis ist: Die Jungen werden es, wie es jetzt aussieht, nicht besser haben als ihre Alten.

Die Wirtschaft!

„Die wirtschaftliche Entwicklung“ war das in beiden Bundesländern wichtigste Thema für die Wahlentscheidung, was von sehr rationalen Sorgen zeugt, nicht nur, weil gerade alle Prognosen uns noch trübere ökonomische Aussichten attestieren. In einem der am deutlichsten alternden Länder der Erde regiert zum ersten Mal eine Koalition dreier unterschiedlicher Parteien; sie hat die Modernisierung des Landes und von dessen Volkswirtschaft versprochen, versucht sich an dieser nun ohne den elementaren Wettbewerbsvorteil einer günstigen Versorgung mit Gas, spielt mit Möglichkeiten einer Entkopplung vom wichtigsten Handelspartner China, lässt sich vom zweitwichtigsten, den USA, die Industrie abwerben – und stemmt zugleich die Aufnahme vieler Geflüchteter. „Wenn man sich auf Migration in dem Ausmaß einlässt, wie es Deutschland tut und weiter tun sollte“, schrieb gerade der Wirtschaftshistoriker Adam Tooze, „ohne Investitionen zu tätigen“ – gerade auch in die Versorgung mit Wohnraum –, dann sei ein hässlicher, auch xenophober Verteilungskampf, bei dem es nichts zu verteilen gibt, gesichert.

Modernisierung zu versprechen, aber dann Unsicherheit herbeizusparen, das ist gerade in Bezug auf die Jungen eine toxische Mischung. Sie haben oft keinen angesparten Wohlstand, suchen aber verzweifelt nach einer eigenen Mietwohnung. Einer Regierung, die sich nicht traut, Kredit aufzunehmen, um in die Zukunft zu investieren, ist nicht zu trauen – das gilt im Übrigen für West- wie Ostdeutschland gleichermaßen.

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Geschrieben von

Sebastian Puschner

Stellvertretender Chefredakteur und Ressortleiter „Politik“

Sebastian Puschner studierte Politik-, Verwaltungswissenschaften und Philosophie in Potsdam und wurde an der Deutschen Journalistenschule in München zum Redakteur ausgebildet. Bei der taz arbeitete er als Redakteur im Berlin-Ressort. 2014 wechselte Sebastian Puschner zum Freitag, wo er den monatlichen Wirtschaftsteil mit aufbaute. Seit 2017 ist er verantwortlicher Redakteur für Politik, seit 2020 stellvertretender Chefredakteur. Er interessiert sich besonders für Politik und Ökonomie von Hartz IV bis Cum-Ex sowie für Fragen zu Geopolitik, Krieg und Frieden.

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