LSD gegen Depressionen? Psychedelische Drogen in der Therapie
Mentale Gesundheit Psychedelika wie LSD oder Ecstasy finden als Medikament gegen Depressionen zunehmend Anerkennung in der Medizin. Doch während die Industrie drängelt, ringt die Wissenschaft mit Bedenken
Therapie mit Risiken und Nebenwirkungen: Halluzinogene Drogen gegen psychische Erkrankungen
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Im Juni 2021 reiste die Schauspielerin Kate Hyatt zu einem Pflanzenheilkunde-Retreat auf einem Bauernhof in der Nähe von Great Malvern in der britischen Region Worcerstershire. Nach einer schwierigen Zeit während der Corona-Pandemie erhoffte sich die 32-Jährige eine Verbesserung ihrer psychischen Gesundheit. Während des Aufenthalts soll sie eine Substanz namens Wachuma genommen haben, auch San Pedro-Kaktus genannt. Die stark halluzinogene Droge wird seit Jahrtausenden von den indigenen Völkern der südamerikanischen Anden verwendet.
Aber Hyatt ging es nicht besser. Stattdessen verschlechterte sich ihre psychische Verfassung. Drei Monate später erlebte sie, wie sie selbst beschreibt, „eine Art psychotischen Zusammenbruch“ und hatte das Gefüh
nd hatte das Gefühl, ihr Gehirn sei kurz davor, zu explodieren. Im Herbst nahm die junge Frau sich das Leben. Bei der anschließenden Untersuchung stellte der Gerichtsmediziner einen Zusammenhang zwischen den sich verschlimmernden Symptomen und den konsumierten Halluzinogenen her.Tragödien wie diese sind die dunkle Seite der Psychedelika-Renaissance. Derartige Fälle geraten häufig in Vergessenheit vor lauter fieberhafter Erwartung an das therapeutische Potenzial dieser Drogen, exzessiver Medienberichterstattung, dem schnellen Aufstieg einer Milliarden-Industrie – die von risikokapitalgestützten Start-Ups bis hin zu Wellness-Retreats reicht – und dem Hype um die im vergangenen Jahr veröffentlichte Netflix-Serie „How to Change Your Mind“, die auf dem Bestseller von Michael Pollan basiert.Besonders gefährlich: SelbstmedikationUnd doch können diese Art Drogen – darunter LSD, MDMA, auch bekannt als Ecstasy oder Molly, sowie Psylocybin, das in Magic Mushrooms enthalten ist – gefährlich sein, wenn ihre Einnahme nicht überwacht und genau geprüft wird, wer sie bekommt.Es gibt Hinweise darauf, dass die Einnahme depressiven Menschen sogar schaden kann. Das betrifft etwa Patient:innen, die bereits eine psychotische Episode durchgemacht haben oder in deren Familiengeschichte Psychosen aufgetreten sind. In Großbritannien ist es illegal, die genannten Drogen zu vertreiben oder zu besitzen, häufig werden sie aber auf dem Schwarzmarkt erworben. Für klinische Studien dürfen Wissenschaftler:innen und Biotechnologiefirmen sie erst benutzen, wenn sie eine Lizenz des britischen Innenministeriums erworben haben und strenge Sicherheitsvorkehrungen treffen.„Psilocybin wirkt über Serotoninrezeptoren im Gehirn. Es ist schon seit einiger Zeit bekannt, dass solche Drogen bei Menschen mit einer bipolaren Störung manische Episoden auslösen können“, erklärt Andrew Penn, Psychedelika-Forscher an der University of California in San Francisco. „Bei Menschen mit einer psychotischen Grunderkrankung befürchten wir, dass das Medikament zwar irgendwann nachlässt, die Krankheitssymptome aber fortbestehen, oder dass das Medikament sie sogar mit ausgelöst hat.“Besonders bedenklich ist Selbstmedikation, die durch die ständige Werbung für die möglichen Vorteile von Psychedelika gefördert wird. In klinischen Studien werden genau kontrollierte Dosierungen verwendet und die Patient:innen von geschultem Personal überwacht. Das ist bei der Einnahme von Psychedelika im Alleingang oder während eines Retreats nicht unbedingt der Fall. „Dass Leute es in der freien Wildbahn nehmen, wie wir es nennen, nimmt rapide zu“, beobachtet Haley Dourron, Forscher an der Universität von Alabama in der US-amerikanischen Stadt Birmingham. „Es gibt immer mehr Fälle, in denen Menschen schlechte Erfahrungen machen, vor allem solche mit einer bedenklichen psychischen Vorgeschichte oder beim Konsumieren unter unsicheren Umständen.“Therapeutische Begleitung kann Leben rettenEin Problem ist, dass laut Wissenschaftler:innen die Diskussion über Psychedelika in der Öffentlichkeit die Bedeutung von Psychotherapie vor und nach Gabe der Drogen bei klinischen Studien zu gering bewertet. Die Aufgabe der Therapeut:innen sei es nicht nur, Patient:innen dabei zu unterstützen, ihre Erfahrung zu verarbeiten und aus ihr lernen, sondern auch für ihre Sicherheit zu sorgen.„Menschen, die an Depressionen leiden, neigen zu starken Schuldgefühlen. Wenn sie diese Drogen nehmen, wird das vielleicht zum Problem“, erklärt Penn. „Deswegen werden sie bei Studien von einer Person ihres Vertrauens begleitet, die ein Auge auf sie hat. Am nächsten Tag reden wir dann über die Erfahrung und überprüfen besonders auf suizidale Gedanken.“Das Biotechnologieunternehmen Compass Pathways mit Sitz in London hat die Ergebnisse einer Phase 2b-Studie mit Psylocybin bei behandlungsresistenter Depression veröffentlicht. Darin heißt es, dass drei Patient:innen mindestens einen Monat lang suizidales Verhalten zeigten, nachdem sie die Droge erhalten hatten.Penn weiß aus erster Hand, wie eine Tragödie passieren kann, wenn die Droge unter falschen Bedingungen eingenommen wird. „Erst kürzlich hatten wir einen sehr traurigen und besorgniserregenden Fall“, erzählt er. „Eine 21-jährige Frau versuchte, ihre eigene Depression durch Selbstmedikation mit einer hohen Dosis Psylocybin zu behandeln. Sie war sehr verzweifelt und versuchte offenbar, am nächsten Tag ins Büro zu gehen. Dann merkte sie, dass sie nicht in der Lage war, zu arbeiten. Sie machte sich auf den Rückweg, stoppte in der Mitte der Golden Gate Bridge in San Francisco und sprang.“Kommerzielle Interessen drängen die WissenschaftWährend Psychedelika zunehmend von der Mainstream-Medizin anerkannt werden, ringt die Wissenschaft weiter mit offenen Fragen. Wie lässt sich Schaden abwenden und besser verstehen, warum manche Patient:innen gut auf die Behandlung ansprechen, andere dagegen nicht? Anfang dieses Jahres schloss die gemeinnützige Multidisciplinary Association for Psychedelics Studies in San Jose, Kalifornien, eine erfolgreiche Phase-3-Studie mit MDMA zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen ab. Jetzt kann die Zulassung beantragt werden.In der Compass Pathways-Studie waren 29 Prozent der Patient:innen mit behandlungsresistenten Depressionen nach drei Wochen noch in verbessertem Zustand, eine Phase-3-Studie ist im Gange. „Wir sind der Meinung, dass das extrem gut ist“, erklärt Guy Goodwin, der medizinische Leiter des Unternehmens. „Diese Patient:innen wurden zuvor mindestens zweimal erfolglos mit Anti-Depressiva gegen Depressionen behandelt.“Unabhängige Forscher sind zwar optimistisch, aber sie raten zur Vorsicht. Laut Dourron müssen die wissenschaftlichen Anstrengungen verstärkt werden, um Klarheit über mögliche Risiken in der breiten Bevölkerung, insbesondere bei gefährdeten Patient:innen, zu bekommen. Der Psychiater und Wissenschaftler Matt Butler vom King’s College London ist besorgt, das große kommerzielle Interesse an der Nutzung von Psychedelika könne dazu führen, dass sie zu schnell in den Mainstream eingeführt werden.„Es gibt Druck, die Dinge voranzutreiben“, erklärt er. „Die Ergebnisse sind vielversprechend, aber ich glaube, wir brauchen noch mehr Forschung. Es gibt Erfahrungen aus den 50er-, 60er- und 70er-Jahren, als Psychedelika recht schnell durchgesetzt wurden und die Sache nicht gut ausging.“Das Placebo-ProblemDie „psychedelische Revolution“ schreitet zügig voran. Seit Juli dieses Jahres haben die Aufsichtsbehörden in Australien Psychiater:innen grünes Licht gegeben, bei PTBS und Depressionen MDMA und Psilocybin zu verschreiben. „Vielleicht basiert die Entscheidung auf einer Abwägung der Risiken gegen das Nutzenpotenzial“, vermutet Pharmazieforscherin Rachael Sumner von der Universität von Auckland in Neuseeland. „Aber es gibt diese Probleme, die wohlbekannt sind.“Sumner überrascht die Entscheidung in Australien. Wenn es um die Messung der positiven Wirkung einer Psychedelika-gestützten Behandlung geht, gibt es noch viele Fragezeichen. Die meisten Medikamente werden getestet, indem man einer Gruppe von Patient:innen das Medikament und einer anderen ein Placebo verabreicht und die beiden Gruppen vergleicht. Die Überprüfung, ob ein neues Medikament besser wirkt als ein Placebo, ist gerade bei Depressionen von entscheidender Bedeutung, da diese Patient:innen bei einer neuen Behandlung häufig eine kurzfristige psychologische Verbesserung erleben.Die Überprüfung mit einem Placebo funktioniert aber nur, wenn Patient:innen nicht wissen, welcher der beiden Gruppen sie angehören. Bei Psychedelika können die meisten es allerdings erraten. Die Wissenschaft hat es mit verschiedenen Placebos versucht: vom Vitaminpräparat Niacin, das Hitzewallungen verursacht, bis zum Beruhigungsmittel Remifentanil. Aber in Sumners Erfahrung liegt die Mehrheit der Studienteilnehmer:innen mit ihrer Einschätzung richtig.Das kann ein zusätzliches Problem schaffen. Die Enttäuschung darüber, dass sie das Psychedelikum nicht erhalten, kann dazu führen, dass sich der Zustand von Patient:innen verschlechtert. Sowohl Butler als auch Sumner haben Aufsätze veröffentlicht, in denen sie mutmaßen, dass die großen Unterschiede zwischen Psychedelika- und Placebo-Gruppen bei Studien auch darauf zurückzuführen sind. Es geht nicht nur Patient:innen mit Hilfe der Drogen besser, sondern denen aus der Placebo-Gruppe schlechter als zuvor, sagt Butler. „Ich glaube, die Wirksamkeit der Psychedelika wird derzeit überschätzt.“Vorsichtshalber den Hype begrenzenWas lässt sich also tun? Eine Möglichkeit ist, mit Hilfe von Augmented oder Virtual Reality einen halluzinogenen Trip zu simulieren. Compass Pathways dagegen verzichtet in seinen jüngsten Psilocybin-Studien ganz auf einen Placebo-Vergleich und versucht stattdessen, die Wirksamkeit zu zeigen, indem den Patient:innen drei verschiedene Dosierungen gegeben werden – von niedrig bis hoch.Jedenfalls ist Sumner der Meinung, man sollte den Hype um die Psychedelika als Mittel gegen Depressionen begrenzen, bis die Regulierungsbehörden sich auf eine Methode geeinigt haben, sie akkurat zu bewerten. „Die Leute sollten die Medikamente mit Vorsicht behandeln, bis das geschafft ist.“Eine andere Frage ist, wie viele Patient:innen tatsächlich von der Psychedelika-gestützten Behandlung profitieren werden, selbst wenn die Regulierungsbehörden sie zulassen. Die volle psychedelische Wirkung von Psilocybin hält zwischen sechs und acht Stunden an. Das beschränkt die Zahl der Patient:innen, die an einem Tag behandelt werden können. Zudem sind qualifizierte Therapeut:innen nötig, von denen es laut dem britischen Council for Psychotherapy deutlich zu wenige gibt. Daher könnte die Psychedelika-Industrie erhebliche Probleme haben, das Konzept in größerem Rahmen umzusetzen, nicht zuletzt deshalb, weil eine langfristige Wirkung viele Behandlungssitzungen erfordern kann. Im vergangenen Jahr veröffentlichten zwei private Psychiater:innen in der Schweiz, die seit Jahrzehnten eine psychedelisch unterstützte Therapie anwenden, einen Aufsatz, in dem sie die Meinung vertreten, dass die effektive Behandlung von PTBS bis zu neun Verabreichungen von MDMA oder zwölf LSD-Gaben erfordern kann.Die Behandlung ist teuer, aber die Rechnung geht aufLaut dem Geschäftsführer von Compass Pathways, Kabir Nath, wird die Phase-3-Studie des Unternehmens zu Psilocybin bei behandlungsresistenten Depressionen Aufschluss darüber geben, wie viele Behandlungen in einem Jahr wahrscheinlich erforderlich sind, um die Verbesserung des Zustands zu erhalten. „In der Phase 2b ging es mehr als 20 Prozent der Patient:innen nach zwölf Wochen noch besser als zuvor“, erklärt er. „Wenn wir schätzen sollen, dann würde ich sagen, zwischen einer und vier Gaben im Jahr.“ Das sei immer noch besser als andere Behandlungsprogramme wie etwa transkranielle Magnetstimulation, bei der zwischen 35 und 50 Anwendungen über mehrere Wochen erforderlich sind, um eine Wirkung zu erzielen.Eine Lösung für den Mangel an Therapeut:innen könnte darin bestehen, anderes medizinisches Personal in den Behandlungsprozess einzubeziehen. „Man wird sehr viel mehr damit experimentieren, wer anwesend sein muss, um Patient:innen psychologisch zu unterstützen“, sagt Nath. „Die Frage ist, ob das vielleicht auch Krankenpflege- oder anderes Gesundheitspersonal übernehmen könnte.“Die lange Dauer der Psilocybin-Therapiesitzung macht sie auch relativ teuer. Kostenschätzungen aus Australien sind hoch. Laut dem Vorsitzenden der australischen Wohltätigkeitsorganisation Mind Medicine Australia, Peter Hunt, müssen Patient:innen mit Kosten zwischen 6.060 Euro für zwei Psilocybin-unterstützte Therapiesitzungen und 9.090 Euro für drei MDMA-unterstützte Sitzungen rechnen.Werden die Versicherungen oder das britische Gesundheitssystem NHS bereit sein, so viel Geld auszugeben? Goodwin argumentiert, dass die betroffenen Patient:innen das öffentliche Gesundheitssystem derzeit sogar viel mehr kosten, weil sie oft im Krankenhaus behandelt werden. „Ihr Leben ist stark eingeschränkt, ihre Möglichkeiten sind begrenzt und sie kosten viel Geld“, erklärt er. „Sie sind selbstmordgefährdet und derzeit können wir ihnen keine gute Behandlung anbieten.“Andere Unternehmen beschäftigen sich mit Psychedelika der „zweiten Generation“, die sich möglicherweise als kostengünstiger erweisen könnten, in dem man die Zeit des Trips verkürzt. Die Londoner Firma Small Pharma erforscht für den Einsatz bei schweren Depressionen etwa den Wirkstoff DMT, bei dem die halluzinogene Erfahrung 30 Minuten dauert.Trotz der Bedenken zeigt sich Penn von den Möglichkeiten der Psychedelika begeistert. Allerdings müsse die Diskussion über sie verantwortungsvoll geführt werden. „In den Medien wird viel Tinte über das Thema vergossen“, sagt er. „Die Leute lesen das und sagen sich: ,Ich habe Depressionen und mein Kumpel züchtet Pilze. Vielleicht nehme ich das einfach mal und gucke, ob es mir besser geht.‘ Doch dabei wird häufig übersehen, dass zur Behandlung mit Psychedelika viel mehr gehört als nur das Medikament. Und dass die äußeren Umstände und Vorkehrungen die Einnahme sicherer machen.“