Drogen von A–Z: Mit (il-)legalen Substanzen zum Glück
Lexikon Wir wollen niemanden zu einer Straftat ermutigen, aber seien wir ehrlich: Auf der Suche nach Glück führt ein beliebter Weg über Substanzmissbrauch. Alles Wissenswerte über Drogen und ihre Nutzung erklärt Freitag-Redakteur Leander F. Badura
„Wenn der Dealer einen Kittel trägt, sind wir keine Junkies, sondern Patienten“, rappt Felix Kummer, Frontmann der Chemnitzer Band Kraftklub, auf seinem Solo-Album KIOX. Die Übergänge sind tatsächlich fließend. Mit Antidepressiva kann man sich keinen Rausch verschaffen, mit anderen Psychopharmaka wie Benzodiazepinen allerdings schon. Und wer eine Substitutionstherapie macht, geht schließlich auch zum Arzt und nicht zum Bahnhof Zoo (→ Hustensaft). Die Firmen, die einige der berühmtesten Drogen erfanden, sind häufig dieselben, die nun ihr Geld mit Antidepressiva verdienen (→ Bicycle Day). Was eine Droge ist und was Medizin, ist eine gesellschaftliche, keine medizinische Frage. So galt MDMA in den 1970ern als H
che, keine medizinische Frage. So galt MDMA in den 1970ern als Hoffnungsträger in der psychiatrischen Behandlung – bis es 1985 verboten wurde. Seither vor allem als Partydroge bekannt, gibt es inzwischen wieder erste Forschungsprojekte zum therapeutischen Einsatz zum Beispiel bei Posttraumatischer Belastungsstörung – übrigens auch mit LSD.Bwie Bicycle DayJede synthetische Droge hat ihren Erfinder, aber nicht jede hat einen so hübschen Entstehungsmythos wie Lysergsäurediethylamid – LSD. Der geht so: Am 19. April 1943 verließ der Schweizer Chemiker Albert Hofmann sein Basler Labor und fuhr mit dem Fahrrad nach Hause. Dabei erlebte er erstaunliche Wahrnehmungsveränderungen, die nach einer Weile in Gefühle der Unruhe und Angst umschlugen. Nach diesem ersten Trip war Hofmann sich sicher: Er hatte ein wichtiges Mittel für den therapeutischen Einsatz entdeckt. Dass man die Substanz zum Spaß einnehmen könnte, erschien ihm unvorstellbar – dass der 19. April später ein inoffizieller Feiertag würde, wahrscheinlich noch weniger. Er hat übrigens selber weiter experimentiert – unter anderem mit Ernst Jünger, der seine zahlreichen Rauscherfahrungen im Buch Annäherungen verarbeitete.Hwie HustensaftEin 13-jähriges Mädchen nimmt Hustensaft, gerät auf die schiefe Bahn, und als Journalisten ihre Geschichte aufschreiben, erschrickt ein ganzes Land – klingt komisch, ist aber so. Na ja, fast. Richtig ist aber: Heroin, was Christiane F. in den 1970ern am Berliner Bahnhof Zoo zu sich nahm, war mal ein Medikament (→ Antidepressiva). Das von Bayer 1898 auf den Markt gebrachte Mittel sollte eine Alternative zu Morphium sein. Beide beruhen auf den schmerzlindernden Effekten des aus Schlafmohn gewonnenen Opiums, das seit Jahrtausenden verwendet wird. Im Vergleich zu den starken Nebenwirkungen von Morphium war Heroin zuerst vielversprechend: Es war viel wirksamer und schien nicht abhängig zu machen. Entdecker war übrigens Felix Hoffmann, der kurz zuvor Aspirin entwickelt hatte. Bayer verdiente sich eine goldene Nase, bis die Berichte über Abhängige und Tote nicht mehr zu ignorieren waren – und Opiate ab Mitte der 1920er illegalisiert wurden. Das hat die weltweite Verbreitung freilich nicht gestoppt.Kwie KunstPeter Hacks hat mal gemutmaßt, alle Romantiker seien eine „Bande von Opiophagen“. Ob er damit recht hatte oder nicht, es scheint einen engen Zusammenhang zwischen Kunst und Rausch zu geben (→ Rituale). Ob Baudelaire oder Benjamin, Jünger oder de Quincey: Der Drogenkonsum zieht sich durch die Kulturgeschichte wie eine Line Koks durch die Nase. Bis heute delegiert die Gesellschaft, die Drogen verbietet, „weil sie illegal sind“ (so die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Marlene Mortler), die verruchte Versuchung an ihre Künstler – um dann betroffen zu gucken, wenn mal wieder einer draufgeht. Auch als Motiv der Kunst erfreuen sich Drogen großer Beliebtheit, insbesondere in der Populärkultur. Unübertroffen legendär ist dabei natürlich Falcos Adaption des alten Berliner Gassenhauers Mutter, der Mann mit dem Koks ist da.Lwie LegalisierungSelbst auf dem kleinen Nottreppen-Balkon der Freitag-Redaktion steht sie schon: Cannabis, die Hanfpflanze – natürlich eine Sorte ohne THC (huhu, LKA, alles gut!). Nichtsdestotrotz ist sie Indikator einer neuen Zeit: der Zeit des „Bubatz legal“ (→ Zugedröhnt).Die Regierung hat es versprochen, doch die Freigabe von Cannabis lässt auf sich warten. Ob es einen Freitag-Gras-Klub geben wird, ist insofern noch unklar. Klar ist dafür eines: Das Verbot aller Drogen ist auf ganzer Linie gescheitert. Seinen Ursprung hat es übrigens in der Frustration US-amerikanischer Rechter, die nach dem Ende der Prohibition ein neues Objekt für ihre Moralpanik suchten. Mit traurigem Erfolg: Weil die Befriedigung eines gesellschaftlichen Bedürfnisses dem organisierten Verbrechen überlassen wird, sind ganze Staaten zerfressen von Gewalt und Korruption. Eine interne Recherche zum Ursprung der Balkonpflanze führte zum Glück nicht in die afghanischen Berge – sie entstammt einer Werbeaktion eines Hanfartikelherstellers.Rwie RitualeVom mexikanischen Ayahuasca-Zeremoniell zum Messwein der christlichen Kirche; von den esoterischen Ritualen der von Georges Bataille 1936 ins Leben gerufenen Geheimgesellschaft Acéphale zu den Hippies, die sich in den 1960ern und 1970ern um den Psychologen Timothy Leary scharten und LSD-Trips veranstalteten: Die uralte Verbindung zwischen Rauschmitteln und kollektiven Ritualen ist auch in der (Spät-)Moderne quicklebendig. Kult, → Kunst und Rausch waren in mythischer Zeit ohnehin eins. Die frühesten Hinweise auf die Verwendung von psychogenen Pilzen datieren auf etwa 5000 v. Chr. Auch die Germanen sollen mithilfe des Fliegenpilzes Lustiges erlebt haben. Und weil Aufklärung in Mythos zurückschlägt, entpuppt sich auch das in langen Nächten mit fein säuberlich drapierten Lines herumgereichte Handy als säkularisierte Form der Friedenspfeife.Swie Safer UseDrogen nehmen ist ein bisschen wie Sex: macht Spaß, kann aber unerwünschte Folgen haben (→ Veitstanz). Um die zu minimieren, kann man Regeln beachten: was dem Geschlechtsverkehr das Kondom, ist dem Substanzverkehr das saubere Konsumbesteck – und in beiden Fällen hilft Aufklärung. Für Letzteres gab es lange Zeit das Magazin Vice (dessen Name schon auf das lateinische Wort für Laster verweist), das Neugierigen so lebensnahe Artikel lieferte wie „Ich habe mit einem Einrad auf einem Elefanten fahrend Psilocybin genommen, damit ihr es nicht tun müsst“ – oder so ähnlich. Vice ist seit Mai dieses Jahres pleite, dafür begann in Berlin im Juni ein Drugchecking-Programm. Nutzer können hier anonym Proben einsenden, um zu erfahren, was genau in ihren Pulvern, Pillen, Pasten und Platten so drin ist. Der RBB meldet: Die Nachfrage übersteigt die Kapazitäten – Abstinenzler, wer das nicht kommen gesehen hat. Was beim Sex übrigens eher ungewöhnlich ist, beim Konsum allerdings ratsam sein kann, ist das Tripsitting: die behutsame Betreuung durch einen, der nüchtern bleibt.Twie Tuesday BluesNewtons Gesetze gelten auch für Gefühle: Was hochgeht, muss auch wieder runterkommen. Wer sich also Samstagnacht zu unerreichten Höhen des Glücks aufschwingt – sei es mit MDMA, Amphetamin, Kokain, Ketamin, neueren Substanzen wie Mephedron, GHB/GBL, 2CB oder dem beliebten, aber bedenklichen Mischkonsum (→ Safer Use) –, der tritt am Sonntag den Sinkflug an. Dieser erreicht üblicherweise am Dienstag seinen Tiefpunkt, weshalb für diesen Tag verschiedene Begriffe kursieren: vom „Tuesday Dip“ bis zum „Suicide Tuesday“ sind es indes einige Eskalationsstufen. Ob die Suizidrate an Dienstagen tatsächlich höher ist, darf bezweifelt werden, bedenken sollte man allerdings: In diesem Zustand bitte keine wichtigen Entscheidungen treffen. Bis sich der Hormon- und Botenstoffhaushalt gänzlich erholt hat, dauert es übrigens mehrere Wochen.Vwie VeitstanzWer einmal eine psychiatrische Station in einer Großstadt betreten hat, weiß: Auf dem holprigen Weg zum Glück führen viele Abzweigungen geradewegs in den Abgrund. Das größte Risiko beim Drogenkonsum ist neben der Abhängigkeit nicht ein plötzliches, ungeplantes Ableben, sondern bleibende psychische Schäden. Vor allem auf halluzinogenen Substanzen, aber auch auf Speed kann man „hängenbleiben“ (→ Zugedröhnt). Bedenkt man, dass LSD (→ Bicycle Day) auf einem Pilz beruht, der Getreide befällt (Mutterkorn), werden auch so einige irre Ereignisse der Vormoderne plausibel – wie die vom 14. bis 17. Jahrhundert in Europa auftretende Tanzwut, auch Choreomania genannt. Auf die unkontrolliert ekstatisch bis zum Zusammenbrechen Tanzenden geht auch die Bezeichnung Veitstanz zurück. Ob es sich hierbei tatsächlich um von giftigem Brot ausgelöste Massentrips handelte oder doch eher um ein spirituell-kulturelles Phänomen, darüber rätselt die Wissenschaft bis heute. Aber mal ehrlich: Die ganzen angeblichen Marienerscheinungen müsste man sich auch noch mal genauer ansehen.Zwie ZugedröhntUnter dem schweren Mantel des gesellschaftlichen Tabus sprießen die sprachlichen Blüten wie psychogene Pilze im tropischen Regenwald. Wo immer Sprechen verboten ist, spricht man umso bunter, so hat auch die Welt der Drogen ein kurioses Vokabular hervorgebracht. Vom charmanten Doppelsinn des Wortes „Koks“ (→ Kunst) über die zahlreichen Szenenamen für Substanzen, die ansonsten eher langweilige wissenschaftliche Bezeichnungen haben (Emma statt MDMA, Acid statt LSD, Verliererkraut für Cannabis und so weiter), bis hin zu Verben und Adjektiven, die Konsum und Zustand umschreiben: ballern, zudröhnen, breit sein, drauf sein … So kommt es, dass selbst Bundeskanzler Olaf Scholz sich im ARD-Sommerinterview 2022 die Frage anhören musste: „Wann Bubatz legal?“ Seine erste Antwort war ausnahmsweise mal unwillkürlich authentisch: „Hm?“