Irische Botschaft in Berlin-Mitte. Wo ließe sich besser über den ersten irischsprachigen Film, der für einen Oscar nominiert wurde, reden als hier. Der 42-jährige Regisseur Colm Bairéad versinkt fast im riesigen Sofa, als er ruhig und konzentriert Auskunft gibt über The Quiet Girl, Erinnerung und sein Verhältnis zur irischen Sprache.
der Freitag: Herr Bairéa haben Sie Ihren Film „The Quiet Girl“ bewusst im Jahr 1981 angesiedelt, weil es Ihr Geburtsjahr ist?
Colm Bairéad: Das war Zufall. Als ich die Erzählung las, Foster von Claire Keegan, verstand ich zunächst nicht, in welcher Zeit sie spielt. Mir gefiel, dass sie auf eine Art zeitlos ist. Das hat auch viel damit zu tun, dass die Geschichte aus Sicht eines jungen Mädchens erzählt wird, das die historischen Details nicht so bewusst wahrnimmt. Und als jemand, der in dieser Ära in Irland aufgewachsen ist, zwar in Dublin und nicht auf dem Land, hat mich der Stoff natürlich sehr angesprochen.
Wie schwer war es, Orte im heutigen Irland zu finden, die dieser Ära entsprechen?
Mit unserem Budget konnten wir nicht einfach Kulissen nachbauen. Wir suchten lange nach echten Locations, vor allem nach der Farm, auf der Cáit den Sommer verbringt. Als wir den Hof eines alleinstehenden Bauern fanden, wirkte es, als beträten wir die Welt unseres Films. Der alte Mann hatte den Hof geerbt und nichts an der Ausstattung seit den frühen Sechzigern geändert. Alles war noch da, die alten Fenster, der Kachelboden, sogar der Küchentisch mit der Formicaplatte. Wir mussten kaum etwas verändern. Das Haus wurde so selbst zum Charakter in einem Film, der ja davon handelt, wie uns unser Umfeld prägt.
Warum wollten Sie diese Erzählung als Ihren ersten Spielfilm adaptieren?
Sie ist aus der Ich-Perspektive und im Präsens erzählt, dadurch hat sie etwas sehr Unmittelbares. Zugleich fragt man sich beim Lesen, ob es womöglich die erwachsene Autorin als eine Art Erinnerung erzählt. Ich mag Filme mit einer formalen Strenge, denen bewusst ist, wessen Geschichte sie erzählen und die eine entsprechende Ästhetik dafür finden. Keegan hat mit so viel Mitgefühl geschrieben, man erlebt alles mit den Augen und Ohren dieses Mädchens. Diesen Eindruck wollte ich auch mit dem Film erreichen. Als Publikum ist man zugleich das Kind und das erwachsene Selbst, das sich an die eigene Kindheit erinnert, in der man womöglich ähnlich verwirrende Gefühle, Ängste und Unsicherheiten hatte. Das Wechselspiel interessierte mich.
Dabei ist die äußere Handlung recht simpel …
Es klingt fast belanglos: Mädchen verbringt den Sommer bei Verwandten auf dem Land und kehrt dann nach Hause zurück. Nicht der aufregendste Pitch, wenn man Geldgeber sucht. Aber es geht eben nicht so sehr um das Äußere, sondern vor allem um die subjektive Wahrnehmung des Mädchens. Und der Film verwandelt diese Perspektive in einen künstlerischen Ausdruck, der im Kleinen Bedeutung findet, indem er ganz genau hinsieht und hinhört. Kindheitserinnerungen können einerseits sehr vage, ungeformte Gefühle an bestimmte Momente sein, aber auch sehr spezifische Bilder, die plötzlich wieder auftauchen. Der Fenstervorhang, der im Wind weht, oder das Spiel von Sonne und Schatten auf dem Zimmerteppich. Sie prägen sich ein, ohne dass wir erklären können, warum.
Sie haben dafür das schmale 1,37-Bildformat gewählt, das meist genutzt wird, um etwas Klaustrophobes zu evozieren …
Ich habe das Format aus einer Reihe von Gründen gewählt. Zu Beginn des Films, in Cáits Elternhaus, wird dadurch tatsächlich ein Gefühl von Eingesperrtsein erzeugt. Oft sind Dinge oder Personen angeschnitten, man sieht nicht, was links und rechts außerhalb des Rahmens passiert. Wenn sie dann zu ihren Pflegeeltern zieht, weitet sich der Blick. Zugleich ist das Bild vertikaler aufgebaut, es ist mehr von Boden und Himmel oder Zimmerdecke zu sehen. Das kommt dem näher, wie Kinder wahrnehmen, weil sie oft zu den Erwachsenen aufschauen müssen. Und der Blick eines Kindes ist noch weniger geformt, einiges ist außerhalb ihres Sichtfelds, und diese Perspektive nimmt der Film ein.
In „The Quiet Girl“ wird relativ wenig gesprochen, aber die Dialoge in Irisch und Englisch spiegeln den bilingualen Alltag wider.
Als ich in Dublin aufwuchs, hatte ich ein kompliziertes Verhältnis zur irischen Sprache. Mein Vater redete ausschließlich Irisch mit uns. Als Kind war mir das oft unangenehm, ich hatte das Gefühl, die Leute schauen uns komisch an. In der Schule war Irisch Pflichtfach, aber in meiner Generation nahm das kaum jemand ernst. In den Großstädten verwendete es in der Öffentlichkeit kaum jemand. Das hat sich inzwischen gewandelt. In manchen Gegenden Irlands sprechen die Leute mehrheitlich Irisch, was vom anderen Teil der Bevölkerung nicht oder nur rudimentär verstanden wird.
Wann hat sich Ihr eigenes Verhältnis zum Irischen gewandelt?
Ich habe erst spät erkannt, wie wertvoll es ist. Kulturell und auch persönlich. Es ist buchstäblich meine Vatersprache. Sie ist mein emotionales Päckchen, im positiven Sinne. Schon in meinen Kurzfilmen setzte ich mich mit irischer Sprache und Kultur auseinander. Wirklich einschneidend war, als ich meine heutige Frau kennenlernte, Cleona Ní Chrualaoí, die auch meinen Film produzierte. Wir beschlossen, mit unseren Kindern nur Irisch zu sprechen. Mit meinem kleinen Sohn im Bus laut auf Irisch zu reden, war für mich eine sehr befreiende Erfahrung.

Colm Bairéad (1981 in Dublin geboren) sprach zu Hause Englisch und Irisch. The Quiet Girl, der 2022 auf der Berlinale Premiere feierte, ist sein Spielfilmdebüt, zuvor hat er Kurzfilme gedreht, Drehbücher geschrieben und fürs irische Fernsehen gearbeitet
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