Stolz ohne Thron

Historie Wie umgehen mit dem Erbe des Kolonialismus? Anhand der Völkerschau 1896 macht das Museum Treptow es vor
Ausgabe 48/2017

Seit ihren Ursprüngen in der Schwarzen Emanzipationsbewegung in den 1980er Jahren hinterlassen postkoloniale Ansätze in Deutschland einen immer stärkeren Abdruck in den Debatten, Forschungsdisziplinen und Institutionen. Eine neue Dauerausstellung in Berlin ist ein Erfolg dieser Entwicklung. Sie ist sowohl ein Kommentar zu dem Streit über den Umgang mit dem kolonialen Erbe der ethnologischen Sammlungen im Zuge des Umzugs in das Humboldtforum als auch eine Blaupause für den künftigen musealen Umgang mit der kolonialen Vergangenheit. Noch immer wird die Perspektive Betroffener dabei zu wenig eingebunden.

Die Betroffenen sind in diesem Fall 106 Bewohner deutscher Kolonien, die unter fragwürdigen Umständen als Kontraktarbeiter nach Berlin gelockt wurden. Hier sollten sie 1896 im „authentischen“ Ambiente eines kolonialen Themenparks „ursprüngliche“ Lebensweisen und Rituale vorführen. Als Teil der auch als „verhinderte Weltausstellung“ bezeichneten Gewerbeausstellung im Treptower Park war die Völkerschau die kulturalistische Hauptattraktion. Die Darsteller waren den Blicken eines Millionenpublikums ausgesetzt.

Das Museum Treptow erwirkt nun einen Blickwechsel, indem es etwa die Geschichte von Josef Bohinge Boholle aufzeigt. Aus Kamerun im Zuge der Völkerschau nach Berlin gekommen, kehrte er nach einer Ausbildung zum Zimmermann in Danzig nach Berlin zurück. Zwar blieb ihm im Ersten Weltkrieg der freiwillige Einsatz im Kriegsdienst für das Kaiserreich versagt, doch in den 1920ern erwarb er die deutsche Staatsbürgerschaft. Unter den Nazis, die ihn später in das Konzentrationslager Stutthof schicken sollten, verdiente er in der Propagandatournee Deutsche Afrika-Schau sein Geld. Es war eine der wenigen Erwerbsmöglichkeiten, die Schwarzen Menschen im NS-Deutschland blieben. Kwelle Ndumbe, der fließend Deutsch sprach und eine hohe soziale Stellung bei den Duala einnahm, weigerte sich wiederum, im Kolonialspektakel den „primitiven Eingeborenen“ zu mimen. Stattdessen blickte er, in europäische Mode gekleidet, vom Ausstellungsdorf mit einem eigens dafür gekauften Opernglas auf die gaffende Menge zurück.

Schmerzhafter Prozess

Geschichten wie diese geben den Akteuren ein wenig Stolz zurück. Die als erweiterbares Archiv angelegten 60 Porträts sind das Herzstück der Ausstellung. Es zeigt die Widerständigkeiten und Proteste gegen den Apparat der Entmenschlichung kolonialer Praxis und dass die Menschen darin eine Vor- und eine Nachgeschichte hatten, sofern sie die Strapazen überlebten.

Die Ausstellung gelingt, weil sich die Museumsleitung für die Einbindung Schwarzer diasporischer Perspektiven entschied und mit Berlin Postkolonial und der Initiative Schwarzer Menschen in Deutschland zusammenarbeitete. Ein bis dahin gestaltetes Konzept wurde umgeworfen, die Ausstellung zweimal und um ein Jahr verschoben und georderte Leihgaben – darunter ein Königsthron – zurückgestellt. Das bedeutet Verzicht: keine kolonialen Artefakte, abwertenden Darstellungen, kolonialistischen Einteilungen und Gruppierungen der Porträts nach „Völkern“, die das Narrativ der Leistungsschau reproduzieren würden. Ein schmerzhafter Prozess. Aber einer, der den Raum schafft für die Geschichten der Zur-Schau-Gestellten und damit den Schmerzen von Generationen von Betroffenen des Kolonialismus Respekt zollt.

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