Mark Carney, erster Ausländer auf dem Chefsessel der britischen Zentralbank, ist ein mutiger Mann. Der Oxford-Ökonom aus Kanada hat lange Jahre für Goldman Sachs gearbeitet, bevor er die Zentralbank Kanadas führte. Dieses Land kam auch dank seiner proaktiven und expansiven Geldpolitik am besten von allen G 7-Ländern durch die Weltfinanzkrise vor acht Jahren. Seit 2013 präsidiert Carney der britische Notenbank und machte sich besonders viele Feinde, als der Brexit-Wahn erblühte. Statt das ökonomische Schwadronieren landauf, landab mit Neutralität zu bedenken, tat er seine Pflicht und warnte mehrfach vor den desaströsen Folgen eines EU-Ausstiegs.
Die lassen sich inzwischen als Anzeichen einer Rezession deuten. Folglich hat die Bank of England ihre Wachstumsprognose drastisch nach unten korrigiert. Sie erwartet, dass die Wirtschaft im dritten Quartal um mindestens 0,4 Prozent schrumpft. Der Beschäftigungseinbruch ist schon unterwegs, wenn derzeit vorzugsweise Vollzeitstellen prekarisiert werden, Schlüsselbranchen wie die Bauindustrie rascher als in den Krisenjahren 2008/09 einen Rückgang der Aufträge verbuchen und die Umsätze im Dienstleistungssektor bedenklich nachgeben. Britischen Unternehmern, großen wie kleinen, scheint der Schrecken in die Glieder gefahren zu sein, wenn Investitionen entweder aufgeschoben oder abgeblasen werden. Den Wertverlust beim Pfund spüren die Briten bei steigenden Preisen für Lebensmittel. Sollten sich die Anzeichen zu Tatsachen verdichten, stehen einige hunderttausend Jobs auf dem Spiel.
Deshalb wohl wollte das Direktorium der Zentralbank nicht länger warten und umgehend mit energischen Maßnahmen reagieren. Seit März 2009 stand ihr Leitzins bereits auf dem unerhört niedrigen Niveau von 0,5 Prozent, jetzt wurde er auf 0,25 gesenkt, tiefer als je zuvor in der langen Geschichte des Geldinstituts. Zugleich sollen mehr Staatsanleihen aufgekauft werden, wenn das laufende Programm um 60 Milliarden auf dann 435 Milliarden Pfund aufgestockt wird. Dieses Vorgehen erfasst auch Unternehmensanleihen in einer Größenordnung von zehn Milliarden Pfund. Dass die Kreditvergabe von Privatbanken an ihr Publikum gefördert werden soll, versteht sich. Es gäbe keinen Grund für die Geldhäuser auf der Insel, das Zinsminus von 0,25 Prozent nicht an ihre Kunden weiterzugeben, betont Mark Carney.
Effekt wird verpuffen
Doch mit Geldpolitik allein lässt sich eine Konjunkturflaute nicht aufhalten. Ohne adäquate Aktivitäten des britischen Staates, ohne Konjunktur- und Investitionshilfen, verpufft der Effekt von Minimalzinsen. Und viel Munition hat Carney nicht mehr, sollte es in den Wintermonaten ernster werden. Null- und Negativzinsen helfen auf Dauer wenig, das hat die weithin erfolglose Politik der EZB zur Genüge gezeigt.
Fürs Erste kann Carney zumindest eines als Erfolg werten: Er hat dem neuen britischen Finanzminister Philip Hammond, ebenfalls bekennender Brexit-Gegner, Zeit zum Handeln verschafft. Gekaufte Zeit muss man nutzen, nicht verplempern. Angela Merkel hat stattdessen immer wieder vorgeführt, wie man mit teuer erkaufter Zeit das Desaster nur noch größer macht. Ein Beispiel, dem die Briten nicht folgen sollten. Was ihr Land jetzt braucht, ist Klarheit über den Brexit-Kurs. Der Zentralbankchef und der Schatzkanzler sind sich da einig. Die Bank of England hat einen Warnschuss abgefeuert, den auch Premierministerin Theresa May gehört haben dürfte.
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