Tödliches Zögern

Aus Der engagierte Krimiverlag Polar musste Insolvenz anmelden – ein großer Verlust droht
Ausgabe 45/2017

Ich weiß nicht mehr so genau, wann ich Wolfgang Franßen kennengelernt habe. Muss so um 2010, 2011 rum gewesen sein, auf irgendeinem Kongress zur Kriminalliteratur. Ein Theater-Profi, der sich für den Roman Noir interessiert oder noch präziser für die Spielart des Polar, also des Noir, der sich auch als politische Kriminalliteratur begreift. Wir kamen ins Reden, und Wolfgang Franßen, als energischer und tatkräftiger Aficionado, entwickelte seine Idee, einen Verlag eigens für dieses in Deutschland schon immer unterschätzte, in der internationalen Kriminalliteratur aber schon immer vorhandene Subgenre zu gründen. Zielgruppe pur, sozusagen – und, das war das Neue, fokussiert eben auf den internationalen Polar. Den hatte es zwar schon immer in anderen Verlagen gegeben, aber noch kaum als konzentrierte Aktion, zumindest abseits der rein französischen Ausrichtung. Zumal ja gerade seit Jean-Patrick Manchettes Zeiten der Polar oft auch ein Treibriemen für die ästhetische Entwicklung des gesamten Genres überall auf der Welt war, also eher Innovation als Durchschnittsformat. Und natürlich die „richtige“ politische Stoßrichtung hatte.

Der dann 2013 gegründete Polar-Verlag setzte genau dieses Labor-System um. Neue oder im deutschen Sprachraum noch sträflicherweise unbekannte Autoren hatten im Polar-Verlag ihre Chance: Aus Frankreich Jérémie Guez und Christian Roux, neuerdings auch die erste Frau, Estelle Surbranche, Ben Atkins aus Neuseeland, der Schotte Ray Banks, der Ire Gene Kerrigan, der Gabuner Janis Otsiemi, die Amerikaner Jon Bassoff, Benjamin Whitmer, Matthew F. Jones und Sam Hawken: allesamt originell, überraschend, off the road. Dazu kam die Pflege anderswo vernachlässigter Autoren wie Nathan Larson und Bill Moody – das ist ein schon beeindruckendes Line-up, zu dem sich noch der etabliertere Ken Bruen mit seiner Brant-Reihe gesellte und Newton Thornburg sozusagen den historischen Unterboden lieferte. Allein das war schon eine heftige Qualitätsinfusion für das deutschsprachige Publikum, eine mehr als willkommene Verstärkung all der Indie-Verlage, die sich mit hohem Risiko darum bemühen, ihrer Leserschaft zu zeigen, dass die spannenden Dinge oft aus der Peripherie kommen, bevor sie dann irgendwo vom „Mainstream“ aufgesogen und zermahlen werden.

Aber der Polar-Verlag war nicht nur Bücherproduzent, er war eine Plattform für Diskussionen um Kriminalliteratur im Allgemeinen – dafür gab es die Polar Gazette, es gab das von Sonja Hartl verantwortete Polar Noir im Netz, beides Foren, die weit über die marketingtechnische Betreuung der Hausprodukte hinausreichten. Franßen etablierte zudem noch in verschiedenen Städten die Talk Noirs, Live-Diskussionen mit Publikum über die einschlägige Literatur, hierarchiefrei, sachkundig, extrem lebendig. Kurz – der Polar-Verlag war zu einem Motor der kompetenten Verständigung über Kriminalliteratur auf der Höhe der Zeit geworden.

Im Moment sieht es düster aus, der Polar-Verlag musste Insolvenz anmelden, wobei das letzte Wort in dem Moment, in dem ich das schreibe, noch nicht gesprochen ist. Die Gründe sind banal: Es fehlten schlichtweg die Mittel für großangelegte Werbeaktionen; um den Polar flächendeckend im Buchhandel bekannt zu machen, fehlte die Zeit. Das Einkaufsverhalten des konservativen Buchhandels war, wie immer gegenüber Newcomern, eher zögerlich. Natürlich war der Verlag ein Liebling des Feuilletons, deswegen auch auf der Krimi-Besten-Liste zu finden, aber ein solcher Aufbau aus dem Nichts dauert. Und diese Zeit hatte der Verlag leider nicht, eben weil er der Zeit voraus war.

Die Bilder des Spezials

Terje Abusdal lebt und arbeitet in Oslo. Für seine Reihe Slash & Burn erhielt der 1978 im norwegischen Evje geborene Fotograf den renommierten Leica Oskar Barnack Award.

2014 studierte er in Aarhus an der Dänischen Schule für Medien und Journalismus und besuchte anschließend mehrere Meisterklassen. 2015 veröffentlichte er sein erstes Fotobuch Radius 500 Metres. In seinen Arbeiten, die in Einzel- und Gruppenausstellungen zu sehen sind, widmet er sich vor allem den Themen Identität und Migration. Die Reihe Slash & Burn entwickelte sich zu einem Langzeitprojekt. Was bedeuten Tradition und Mystik? Wann gehört man zu einem Land, zu einer Gruppe? In Slash & Burn gelingt Terje Abusdal eine magische Annäherung an die Waldfinnen, eine historische naturverbundende Volksgruppe in Skandinavien. Bei ihnen sei „ganz unabhängig von deinem ethnischen Ursprung – das Kriterium der Zugehörigkeit eindeutig: Man spürt es einfach“. Die Bilder aus Slash & Burn erscheinen 2018 im Kehrer Verlag. Im Internet findet man Zugang zuseinem Werk unter: www.terjeabusdal.com

Thomas Wörtche verantwortet beim Suhrkamp-Verlag die Krimisparte

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