Verantwortung à la FDP: Hab dich lieb, aber wehe, du kostest mich was!
Neoliberal Die FDP möchte eine Verantwortungsgemeinschaft einführen. Die neue Form des Zusammenlebens jenseits der Ehe klingt super flexibel – und ist genau deshalb gefährlich: Geringverdiener und Bürgergeld-Beziehende sollten die Finger davon lassen
Wie gut die Freundschaft ist, zeigt sich spätestens beim Haushaltsstreit: Christian Lindner und Marco Buschmann (beide FDP)
Foto: Imago/Achille Abboud
Was heißt es, füreinander Verantwortung zu übernehmen? Es heißt, füreinander einzustehen, verbindlich, und die Folgen dieser Verantwortung dauerhaft zu tragen. Verantwortung geht auch mit Verpflichtung einher und bedeutet finanziell füreinander zu sorgen – in der Ehe beispielsweise auch über die Scheidung hinaus. Die FDP definiert Verantwortung bekanntermaßen anders. Zumindest die Verantwortungsgemeinschaft, für die der Bundesjustizminister Marco Buschmann am Montag Pläne vorgelegt hat, haben mit verbindlichen Verpflichtungen füreinander nur wenig zu tun. Liberale Flexibilität statt sozialer Verantwortung. Wer Geld hat, kann dieses Risiko voller Flexibilität eingehen. Wer keines hat, der wird allein gelassen. Verantwort
ses Risiko voller Flexibilität eingehen. Wer keines hat, der wird allein gelassen. Verantwortung à la FDP: Hab dich lieb, aber wehe, du kostest mich was! Die Idee. Die FDP möchte eine Verantwortungsgemeinschaft als eigenes „Rechtsinstitut“ des Zusammenlebens einführen – so nennt man auch die Ehe juristisch. Wenn Menschen sich nahestehen, zum Beispiel zusammenwohnen und damit – wie der Justizminister es beschreibt, eine „Wahlverwandtschaft“ zwischen 2-6 Personen begründen, soll es ihnen ermöglicht werden, ihr bereits bestehendes persönliches Nahverhältnis rechtlich zu formalisieren. Das heißt vor allem: Sie können sich gegenseitig Vollmachten übertragen, etwa für medizinische Entscheidungen oder in der Pflege. Im Grunde handelt es sich um eine von der Bundesregierung ausgearbeiteten Vorlage für Notare. Vier Abstufungen in Form von Modulen soll die Verantwortungsgemeinschaft kennen, sie können frei gewählt und jederzeit ergänzt oder abgewählt werden. Ursprünglich war geplant, dass die Formalisierung beim Standesamt anzusiedeln, nun soll man zum Notar gehen – eine kostspielige Angelegenheit.Nur ein bisschen Verantwortung, oder darf es mehr sein?Wie funktionieren die „Module“, die unser verantwortliches Zusammenleben jenseits der Ehe kennzeichnen sollen? Die Grundstufe sieht die Auswahl eines rechtlichen Betreuers vor oder das Treffen von medizinischen Entscheidungen, wie das Abwägen bei der Möglichkeit einer Organspende, wenn man selbst nicht mehr darüber entscheiden kann, etwa nach einem Unfall im Koma.Das Modul 1 ergänzt diese Grundstufe, wobei es um die Auskunft und Vertretung in Gesundheitsangelegenheiten geht. Hierzu gehören beispielsweise im Ernstfall ärztliche Schweigepflichtentbindungen oder die rechtliche Stellvertretung im Krankheitsfall. Alles, was bislang im Rahmen einer Versorgungsvollmacht geregelt wurde, kann nun mit Hilfe des ersten Moduls der Verantwortungsgemeinschaft geregelt werden.Im Modul 2 sollen Mitglieder der Gemeinschaft geschäftliche Angelegenheiten für die anderen Mitglieder der Gemeinschaft abwickeln können. Was genau die Gemeinschaft gegenüber sozialstaatlichen Institutionen wie etwa dem Jobcenter repräsentiert, ist noch nicht bekannt. Entsprechend sollten Menschen mit geringen Einkommen und Menschen, die von Erwerbslosigkeit bedroht sind, sich gut überlegen, ob sie eine Verantwortungsgemeinschaft eingehen, weil die Gefahr besteht, dass die Verantwortungsgemeinschaft als Bedarfsgemeinschaft gilt und ihnen daher Sozialleistungen gekürzt werden. Insbesondere dann, wenn sie mit wohlhabenden oder berufstätigen Mitgliedern zusammenwohnen.Im Modul 3 könnte es dann tatsächlich um erste sozialstaatliche Vorteile für die Mitglieder der Verantwortungsgemeinschaft gehen: Geprüft wird, ob eine Person aus der Gemeinschaft sich beruflich mehrere Monate freistellen lassen kann, um sich um pflegebedürftige Mitglieder zu kümmern und entsprechend auch berechtigt ist, Pflegegeld zu bekommen.Erst im Modul 4 geht es um finanzielle Verantwortung füreinander: Dieses Modul beinhaltet eine Zugewinngemeinschaft, wie wir sie aus der Ehe kennen: Alles Einkommen, das während der Gemeinschaft erwirtschaftet wird, kann zwischen zwei Personen geteilt werden – und im Falle einer Auflösung der Gemeinschaft besteht dann auch Anspruch auf einen Vermögensausgleich. Dieses Modul wäre vor allem für die Person interessant, die weniger arbeitet, weil sie andere Aufgaben in der Gemeinschaft übernimmt, etwa die Pflege für eine andere Person, oder häusliche Aufgaben. Ihre Nachteile auf dem Arbeitsmarkt werden in diesem Modul nach einer Trennung der Gemeinschaft etwas ausgeglichen.Super flexible Ehe: Einfach trennen und in Armut stehen lassenAndere juristischen Regelungen der Ehe wie etwa das Sorgerecht für Kinder, die in einer Verantwortungsgemeinschaft ja durchaus auch mit im Haushalt leben können, das Erben im Todesfall eines Mitglieds, das Aufenthaltsrecht durch Heirat oder eine gemeinsame Besteuerung werden in der Verantwortungsgemeinschaft ausgeklammert. Als Absicherung für die Familiengründung soll die Verantwortungsgemeinschaft also keine Option sein – im internationalen Vergleich sehen wir jedoch durchaus, dass ähnliche Verantwortungsgemeinschaften vorwiegend von Liebespaaren – auch mit Kindern – in Anspruch genommen werden, um die weitreichenden Rechtsfolgen, die insbesondere in finanzieller Hinsicht mit der Einwilligung in die Ehe einhergehen, zu meiden. Ähnliche Rechtsinstitute gibt es etwa in Belgien, Frankreich oder Irland.Und genau hier steckt die Gefahr des Gesetzes, in der Handschrift der FDP: Von ihm profitieren vor allem jene, die Versorgungsleistungen zwar gerne beanspruchen, die Kosten dafür aber nicht tragen möchten, kurz: die gerne Rechte übernehmen, ohne die dazugehörigen Pflichten zu tragen. Das klingt schrecklich moralisch. Und dennoch ist es wichtig, vor den Risiken zu warnen. Im Kern öffnet die Verantwortungsgemeinschaft für Personen eine Möglichkeit, ihre Beziehung im Alltag zu formalisieren – aber ohne finanzielles Pflichten füreinander einzugehen. Denn: Das Austreten aus der Gemeinschaft ist einfach und zieht keinerlei rechtliche Konsequenzen nach sich. Das Verhältnis kann jederzeit einseitig aufgekündigt werden, schriftlich – oder in Zukunft auch online, super flexibel.Die Verantwortungsgemeinschaft gibt einen juristischen Rahmen, in dem Menschen kostenlos füreinander Sorge übernehmen. So wird mit ihr einmal mehr die Individualisierung sozialer Sicherheit vorangetrieben. Wer aber jahrelang pflegte und dadurch nur prekäre Teilzeitjobs annehmen konnte, erbt nach dem Todesfall der gepflegten Person nichts, bekommt nach einer Auftrennung der Gemeinschaft keinen Unterhalt, keine Rentenansprüche und im Zweifel auch keinen Zugewinnausgleich – und steht alleine da. Die liberale Version von Verantwortung: Immer nur für den Moment. Wer viel Geld hat, kann sich diese Freiheit leisten.
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