Bei wem leben die Kinder nach einer Trennung, und wer kommt finanziell für sie auf? Diese Frage beschäftigt Familiengerichte dann, wenn die Eltern sich über den sogenannten Umgang und Unterhalt nicht einigen können. Die Gesetzesgrundlage dafür will die Ampel-Koalition zugunsten von mitbetreuenden Vätern ändern, lange tat sich wenig. Nun drangen erste Pläne aus dem FDP-geführten Justizministerium an die Öffentlichkeit.
Das sogenannte Eckpunktepapier sieht vor, dass Gerichte das Wechselmodell anordnen können, also die Betreuung des Kindes durch beide Eltern entweder zu gleichen Teilen, 50:50, oder zu ähnlich großen Teilen. Damit geht die Ära des Residenzmodells zu Ende, der Regelung, dass ein Kind hauptsächlich bei nur
ch bei nur einem Elternteil lebt – meist der Mutter –, und etwa nur jedes zweite Wochenende bei dem zweiten Elternteil, meist dem Vater. Das Motto „Einer zahlt, Einer betreut“ als gesetzlicher Normalfall in Nachtrennungsfamilien soll damit überwunden werden.Dass Männer mehr Umgangszeit mit den Kindern bekommen und nicht mehr die hauptsächlich zahlenden, aber abwesenden Väter sein sollen, klingt erst mal progressiv. Die Probleme bei dieser Art der Umverteilung liegen jedoch tiefer, sie bringt eine Verschärfung der finanziellen Unsicherheit von Müttern und Kindern mit sich. Denn das gesellschaftliche Fahrwasser, in dem Mütter Kinder bekommen, bleibt ja dasselbe, während der Rettungsring für jene Mütter kleiner wird, die nach Teilzeitfalle und Karriereknick nur wenig verdienen. Mit der Reform des Umgangs und Unterhalts verbessert sich ja die Lage der Mütter auf dem Arbeitsmarkt nicht.Hier fünf patriarchale Grundpfeiler, die Mütter und Väter ungleichstellen:1) Motherhood PenaltySo nennt man in der Soziologie die ökonomische „Bestrafung“ von Frauen, die Mutter werden. Dass Frauen ohnehin weniger verdienen als Männer – der Gender Pay Gap liegt bei 18 Prozent –, ist bekannt. Diese Benachteiligung verschärft sich für Mütter rasant, besonders in Westdeutschland: Eine Mutter verdient hier knapp 60 Prozent weniger als eine kinderlose Frau. Ein Grund für diese „Motherhood Penalty“ ist die Teilzeitfalle:Das mit 70 Prozent am weitesten verbreitete Familienmodell besteht aus männlichem Hauptverdiener und weiblicher Zuverdienerin. Den mehr als 60 Prozent teilzeitbeschäftigten Müttern stehen sieben Prozent teilzeitbeschäftigte Väter gegenüber. Durch Anreize wie der beitragsfreien Mitversicherung in der Krankenkasse oder steuerfreien Minijobs erscheint es für viele Mütter wenig lohnenswert, mehr zu arbeiten, was eine enorme finanzielle Abhängigkeit vom besser verdienenden Teil des Paares – meist dem Mann – bedeutet.Subtiler zeigt sich die berufliche Schlechterstellung von Müttern, wenn sie aus der Elternzeit „zurückkehren“ – und sich nicht selten in einer schlechter bezahlten Position wiederfinden. Die Folge ist die große Altersarmut unter Müttern. Fällt in diesem System auch noch Unterhalt weg, wächst das Armutsrisiko für Mütter und Kinder stark an.2) EhegattensplittingDie Einkommen von Ehepaaren werden gemeinsam besteuert, wobei die besser verdienende Person in Steuerklasse III weniger Steuern und die weniger verdienende Person in Steuerklasse V vergleichsweise viele Steuern zahlt – knapp 90 Prozent in dieser „teuren“ Steuerklasse sind Frauen. Das Splitting lohnt vor allem dann, wenn die Einkommen weit auseinanderliegen – oder eine Person gar nicht erwerbstätig ist.Für viele Ehefrauen lohnt es sich nicht, mehr zu arbeiten, weil der Mehrverdienst damit in großen Teilen direkt an das Finanzamt wandern würde. Während sich ein Karriereaufstieg beim Partner steuerlich durchaus lohnt. Väter verdienen auch deshalb häufig besser als Mütter. Nach einer Scheidung kann dieses Splitting in existenzielle Notlagen führen, die durch wegfallenden Unterhalt bei einem Wechselmodell noch verschärft werden.3) KinderarmutJedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut betroffen oder bedroht. Nach langem Kampf in der Bundesregierung stellte der FDP-Finanzminister Christian Lindner der Kindergrundsicherung gerade einmal 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung. Dass das Ehegattensplitting den Staat jährlich fast zehn Mal so viel kostet, spricht Bände. Und nun will die FDP den Kindesunterhalt reduzieren und damit das Geld, das Kindern bei ihren Müttern im Alltag zur Verfügung stehen soll?4) Überteuertes WohnenMit reduziertem Unterhalt wird die Miete für viele getrennt lebende Mütter nicht mehr zahlbar sein. Für sie kann die geplante Unterhaltsreform zwangsweise Umzüge in kleinere Wohnungen und andere Stadtteile bedeuten. Wenn Väter mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen, bedeutet das ja nicht, dass für die Mütter dadurch weniger Kosten entstehen: Die Miete für die Wohnung mit dem Kinderzimmer muss trotzdem gezahlt werden.Aber auch für mitbetreuende Väter entsteht nach einer Trennung Platzbedarf für das Kind – auch Väter müssen dadurch mehr Miete zahlen. Die Wohnkostenbelastung liegt für viele Menschen inzwischen ohnehin schon bei der Hälfte des Einkommens. Der Kostendruck für getrennt lebende Eltern steigt also, was nicht selten in feindseligen Streits vor dem Familiengericht kulminiert. Würde der Staat Eltern in der Miete entlasten, würde das Druck nehmen. Wirksame politische Werkzeuge für bezahlbaren Wohnraum gibt es, sie müssen nur genutzt werden.5) Mental LoadDie Mutter als wichtigste Bezugsperson für das Kind prägt noch immer unser traditionelles Familienbild – und andersherum: Vätern trauen wir häufig nicht zu, für das Kind emotional so wichtig zu sein wie eine Mutter. Die entsprechende Sozialisation beginnt früh: Mädchen kriegen Puppen, später folgt der Spielherd. Jungs kriegen Autos, später folgt das Ballerspiel. Eine Konsequenz aus der vergeschlechtlichten Erziehung – die in Kita und Schule institutionalisiert wird – ist die ungleiche Verteilung mentaler Verantwortung.Den Überblick über die nächste Kleidergröße der Kinder, die Inhalte im Kühlschrank, die Termine – die Managerinnen in heterosexuellen Paarbeziehungen sind meist die Frauen. Und das setzt sich auch nach Trennungen fort: Ein Vater, der diese Managementaufgaben nie übernehmen musste, lernt sie nicht auf Knopfdruck. Die derzeitige ungleiche Belastung ist weder sichtbar noch messbar – und wird deshalb wohl kaum Eingang in die Berechnungen im neuen Unterhaltsrecht finden. Sie manifestiert sich aber durchaus zeitlich: Wer Einkaufslisten schreibt, Termine, Geschenke und Verabredungen koordiniert, hat weniger Zeit zum Geldverdienen.All diese Schieflagen zeigen:Das Problem liegt nicht im Anspruch der Umgangsrechts- und Unterhaltsreform, die Betreuung für Kinder nach einer Trennung anders zu verteilen. Das Problem ist, dass die sozialstaatlichen Versäumnisse, innerhalb derer diese Betreuung stattfindet, nicht angegangen werden. Der Sozialstaat sollte die Rahmenbedingungen für gleichberechtigte Sorgearbeit von Anfang an schaffen: durch ernsthafte Anreize zu einer paritätischen Aufteilung der Elternzeit, durch die Abschaffung des Ehegattensplittings, durch niedrige Mieten und einen Paradigmenwechsel hin zu vollbezahlter Teilzeit für alle. Dass um den Unterhalt gestritten wird, müsste nicht so sein, wenn die Gesellschaft die Verteilung ihrer Arbeit, deren Bezahlung und ihre Geschlechterbilder überdenken würde.Wenn aber alles so bleibt, wie es ist, und nur die Väter müssen weniger Unterhalt zahlen – dann bleiben es die Mütter, die für die Schieflage zahlen. Und die bei ihnen lebenden Kinder.