Unterhalt: Ist ein guter Vater ein zahlender Vater?
Elternschaft Das Kind lebt bei der Mutter, der Vater zahlt Unterhalt: Auch Fynn lebt dieses Familienmodell. Sein Vater würde sich gerne mehr um den Sohn kümmern – und: weniger zahlen. Die Familienpolitik des Justizministers könnte ihm bald Recht geben
Dies ist die Geschichte eines Erziehers, der 1.700 Euro verdient, 850 Euro Miete für sich und seinen Sohn zahlt und 403 Euro Kindesunterhalt an die Mutter überweist. Es ist die Geschichte eines Mannes, der sich gerne mehr um sein Kind kümmern will, aber in die zahlende Rolle gedrängt wird. Dies ist die ganze Wahrheit – jedenfalls für Maximilian*.
Maximilians kleine Tochter schläft gerade im Nebenzimmer, es ist Mittag, der zweifache Vater ist in Elternzeit und hat eine Stunde Zeit, eineinhalb, wenn die kleine Lotte noch ein bisschen länger schlummert, was gar nicht so unwahrscheinlich ist, denn sie ist früh aufgewacht heute und war vorhin ganz schön müde. Der Große, Fynn, ist noch in der Schule, aber das spielt für Maximilian
aximilian heute keine Rolle. Fynn ist unter der Woche fast immer bei seiner Mutter Stefanie, nur jede zweite Woche Freitag bis Dienstag und dazwischen immer montags lebt er bei Maximilian.Das Umgangsmodell für Fynn wurde von einem Familienrichter festgelegt. Es ist eine Mischung aus dem Residenzmodell, bei dem das Kind eigentlich bei der Mutter lebt und nur jedes zweite Wochenende beim Vater bespaßt wird, und dem Wechselmodell, bei dem das Kind je zur Hälfte zwischen den Eltern pendelt. Wie der zwölfjährige Fynn lebt, steht damit genau im Zentrum der Familienpolitik der Ampel-Regierung. Justizminister Marco Buschmann (FDP) plant zusammen mit der grünen Familienministerin Lisa Paus Änderungen im Umgangsrecht: Nach einem aktuellen Eckpunktepapier soll das Wechselmodell gesetzlich erleichtert werden. Auch die Unterhaltsregelung will die FDP ändern: Wenn ein Vater sich mehr als 29 Prozent der Zeit um das Kind kümmert, soll er nicht mehr den vollen Kindesunterhalt an die Mutter zahlen müssen.Noch aber sind diese Änderungen nicht in Kraft. Maximilian wünschte, sie hätten zum Zeitpunkt seiner Trennung schon gegolten. Denn heute ist Mittwoch, Fynn ist bei seiner Mutter, wie 62 Prozent der Zeit. Maximilian erzählt, wie es dazu kam, dass er sich die Hälfte der Zeit um seinen Sohn Fynn kümmern wollte, sich jetzt aber nur wenig kümmert, aber dafür viel zahlt.2016 war Fynn fünf Jahre alt und Maximilian liebte seine Elternrolle, aber seine Partnerrolle liebte er nicht mehr: „Es lief schon länger nicht mehr zwischen Stefanie und mir, für uns beide nicht. Ich war dann derjenige, der den Schlussstrich setzte.“ Damals lebte die kleine Familie in einer Wohngemeinschaft, Maximilian beschloss, auszuziehen. Die Betreuung von Fynn wollte er weiter übernehmen, am liebsten im Nestmodell: Fynn sollte in der WG wohnen bleiben, seine Eltern sollten sich jeweils die Hälfte der Zeit mit der Betreuung abwechseln. Schließlich entwickelte es sich so, dass Fynn jedes zweite Wochenende mit seinem Vater in die neue Wohnung und Maximilian zwei Tage pro Woche zu Fynn in die alte Familienwohnung kam. Macht sieben Tage pro 14 Tage Betreuung durch Maximilian – nur dass Fynn die meisten Nächte bei der Mutter verbrachte.Und der Unterhalt?„Niemand hat Unterhalt gezahlt“, sagt Maximilian. „Das Kindergeld ist erst mal auf mein Konto gewandert. Ich habe davon den Hort bezahlt und die Hälfte von dem, was übrig war, auf Stefanies Konto überwiesen. Wir haben alle Kosten geteilt, wenn Fynn eine neue Brille brauchte oder die Klassenfahrt, Klamotten und so weiter.“ Alles ganz genau fifty-fifty? „Okay, wenn man genau hinschaut, hat Fynns Mutter ein Abendessen und zwei Frühstücke die Woche mehr bezahlt.“ Und wer kam für die Nestwohnung auf? „Also die Miete für die Nestwohnung hat Stefanie bezahlt. Aber ich musste ja auch die Miete für mich und Fynns Zimmer bei mir zahlen! Und ich hatte Stefanie unseren alten Mietvertrag überlassen, obwohl ich selber gerne dort geblieben wäre – zu dem Preis findet man heute nichts mehr. Ich aber musste mir ein neues, teures Zimmer suchen, weil sie nicht umziehen wollte. Wieso sollte ich zwei Mieten für Fynn zahlen, von meinem Erziehereinkommen? Stefanie verdiente mehr als ich. Ich fand die Regelung fair.“Nur drehte sich die Welt nach der Trennung weiter. Die Mitbewohner in der alten Familienwohnung waren, wie sich herausstellte, doch eher Maximilians als Stefanies Freunde. Sie zogen aus. Maximilians Lebensmittelpunkt verschob sich in seine neue WG, er hatte eine neue Partnerin, in der alten Wohnung fühlte er sich zunehmend unwohl: „Fynn machte damals schon viel allein, er las und spielte gerne für sich, ich hatte dann nichts zu tun, kein eigenes Zimmer mehr, Stefanie nebenan ... Ich hing in der Wohnung meiner Ex herum und fragte mich: Warum machen wir nicht das Wechselmodell, die Hälfte der Zeit ist Fynn bei mir, dort, wo ich lebe?“Maximilian sprach Stefanie darauf an. Sie wollte das Betreuungsmodell aber nicht ändern. Warum nicht? Es gibt inzwischen eine schriftliche Erklärung von Stefanie dazu, weil der Streit vor Gericht landete. Es ist eine Liste von Bedenken über Maximilians Betreuungsfähigkeiten, es geht um die Frage, ob ein Augenpflaster einmal aufgeklebt wurde oder nicht, sodass der Richter sich fragte: Wenn die Eltern in schriftlichen Stellungnahmen über Fynns Augenpflaster diskutieren, sind sie wirklich in der Lage, die 50:50-Betreuung für ihr Kind zu koordinieren? Der Richter schien das zu bezweifeln und entschied: Jedes zweite Wochenende freitags bis dienstags und den Montag dazwischen ist Fynn bei Maximilian, den Rest der Zeit dazwischen bei Stefanie.Maximilian konnte es nicht fassen. „Als der Bescheid kam, fiel ich zwar nicht mehr aus allen Wolken“, sagt er, „weil die Gespräche mit den Anwälten mir zuvor schon klargemacht hatten, wie es kommen kann, aber …“ Den Rest sagt er mit einem leichten Schulterzucken. „Ich meine, die Verfahrensbeiständin hat Fynn nur gefragt, ob er sich vorstellen kann, fünf Tage am Stück seine Mutter nicht zu sehen.“ Pause. „Sie kam gar nicht darauf, Fynn zu fragen, ob er sich vorstellen kann, seinen Vater fünf Tage am Stück nicht zu sehen!“Es gibt keine Engel in dieser Geschichte der zwei ganzen Wahrheiten. Maximilian bekam Panik, ihm wurde klar: Wenn nichts passiert, dann würde er Fynn sehr wenig sehen. „Ich sagte ihm: Der Richter wird dich fragen, was du willst, und wenn du nicht sagst, dass du auch zu mir willst, dann wird das nicht passieren.“ Fynn sagte genau das dem Richter: Papa hat gesagt, dass … „Und das fand der Richter dann nicht so gut.“ War auch nicht so gut, oder? Kopfschütteln. „Nein.“ Schulterzucken. „Cool war das nicht, das weiß ich.“ Pause. „Ich hätte nie ausziehen dürfen. Sobald ich ausgezogen bin, hatte ich kaum eine Chance auf eine 50:50-Betreuung. Ich wollte die Wohnung übernehmen, aber meine Ex-Partnerin blieb einfach da und ich überließ sie ihr. So war ich dann derjenige mit Begründungsschwierigkeiten, warum Fynn in eine andere Wohnung kommen soll, zu seinem Vater. Wäre ich eine Frau, eine Mutter – dann hätte das wohl anders ausgesehen.“Wimmern durch das Babyphone, Maximilian geht ins Nebenzimmer, vier, fünf Minuten, dann ist Ruhe, er kommt wieder, „sie ist noch mal eingeschlafen“. Die Mutter der Kleinen arbeitet, Maximilian hat zehn Monate Elternzeit, im Moment bekommt er 508 Euro Elterngeld. „Aber dem Gericht ist das egal“, sagt er, „ob ich Elternzeit habe oder Teilzeit arbeite, ob ich Fynn mehr betreuen will, das zählt alles nicht: Ich muss Unterhalt zahlen, als würde ich Vollzeit arbeiten, Punkt. Ich hätte nie gedacht, dass es einfach egal ist, ob man null Prozent oder zu 38 Prozent sein Kind betreut?!“ Blitze aus Maximilians Augen, aber seine Stimme wird nicht laut, er spricht ruhig. „Das macht mich sauer. Sie kriegt von mir 403 Euro im Monat, plus 250 Euro Kindergeld.“Fynns teure BergschuheAls Erzieher arbeitete Maximilian 30 Stunden pro Woche. Der Richter rechnete sein Einkommen trotzdem auf Vollzeitverdienst hoch, also 1.960 Euro statt der tatsächlichen 1.711 Euro Einkommen, „er sagte mir: Als Erzieher finden Sie doch eine volle Stelle!“ Würde er auch, oder? „Ja, würde ich, aber dafür müsste ich die Kita wechseln, und ich hätte weniger Zeit mit meinen Kindern. Das möchte ich nicht.“Die Pläne der Bundesregierung findet er trotzdem nicht überzeugend. „Fair ist das immer noch nicht. Ich finde, man muss sich einfach anschauen, was für Kosten beide Eltern haben, was sie verdienen – und die Kosten danach aufteilen.“ Dass die meisten Mütter nach der Geburt weniger verdienen als die Väter, dass die meisten alleinerziehenden Mütter von Armut bedroht sind, das weiß der Erzieher. „Aber das ist bei uns einfach nicht der Fall. Stefanie verdient definitiv mehr als ich.“Was Maximilian ablehnt: die Aufteilung in den zahlenden Vater und die betreuende Mutter. Was er will: fifty-fifty. „Das wäre auch cool für Fynn! Wieso ist denn bei Fynns Mutter alles da, von mir mitfinanziert, Spielzeug, cooles Essen und Geld für Ski-Kurse? Und hier kann ich Fynn wenig bieten, hier gehen wir bei Lidl einkaufen?“Es wird Zeit für die Frage, schon länger schwebt sie in Maximilians Küche: Wie kam es dazu, dass Stefanie sich den Unterhalt einklagen musste? Der Unterhaltsbeschluss war im Mai. Gezahlt hat Maximilian im Januar. „Ich zahlte dann alles nach.“ Aber erst, nachdem das Gericht die Pfändung androhte? „Ja. Toll war das nicht.“Und hier fängt die andere ganze Wahrheit an, eine Wahrheit, die Stefanie erzählen könnte, ebenso wie die Mütter von 47 Prozent aller Trennungskinder, die keinen Unterhalt bekommen, weil nur 25 Prozent aller Trennungsväter den Unterhalt regelmäßig zahlen. Hier fängt die ganze Wahrheit einer Mutter an, die vom Partner verlassen wird, der auszieht und den Sohn in eine fremde WG mitnehmen will. Die Wahrheit einer Mutter, die den Unterhalt erst einklagen und dann mit Pfändung drohen muss, bis der Vater zahlt. Aber eine solche Mutter hat nach zwei Jahren Umgangsverfahren und Unterhaltsverfahren möglicherweise genug und möchte ihre ganze Wahrheit nicht mehr erzählen, bitte.So endet diese Geschichte der halben Wahrheiten bei Maximilian, der mit seinem Sohn Fynn nun wandern geht. Aus den alten Wanderschuhen, die Fynn zum Urlaub mitbringt, ist er leider gerade rausgewachsen, also kauft sein Vater ihm neue. Für 85 Euro. Wer diese Kosten übernimmt? Das will Maximilian noch klären, mit Fynns Mutter.Placeholder infobox-1
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