Ein Vierteljahrhundert nach der letzten großen Reform des Sorge- und Umgangsrechts liegen nun Pläne der Bundesregierung vor, „moderne Familienkonstellationen“ besser zu berücksichtigen: Queere Mütter sollen hetero-Eltern rechtlich gleichgestellt, Trennungsfamilien unterstützt werden. Es soll aber auch mehr Betreuungsrechte für Väter geben, was besonders in Fällen gewalttätiger Partner ein Problem darstellt, das Asha Hedayati als Anwältin schon lange beschäftigt.
der Freitag: Frau Hedayati, haben Sie etwas gegen die Modernisierung des Familienrechts?
Asha Hedayati: Natürlich müssen sich Politik und Gesetze dem gesellschaftlichen Wandel anpassen. Regenbogen- und Patchworkfamilien gibt es ja schon lange, sie müsse
Asha Hedayati: Natürlich müssen sich Politik und Gesetze dem gesellschaftlichen Wandel anpassen. Regenbogen- und Patchworkfamilien gibt es ja schon lange, sie müssen der heteronormativen Familie in allen Lebensbereichen gleichgestellt werden. Aber zugleich sind die konkreten Pläne der Regierung so widersprüchlich, dass es mich wütend macht.Was macht Sie wütend? Das Papier enthält explizit den Satz: „Ein gemeinsames Sorgerecht soll nicht nur bei Gewalt gegenüber dem Kind, sondern auch bei Partnerschaftsgewalt regelmäßig nicht in Betracht kommen.“Das ist ein wichtiger Fortschritt, spiegelt zugleich aber nur wider, wozu Deutschland durch die Istanbul-Konvention seit 2018 völkerrechtlich verpflichtet ist. Sorgerecht und Umgänge sind unterschiedliche Fragen. Sorgerecht heißt etwa: Welche Kita, welche Schule besucht das Kind? Darf das Kind geimpft werden? Umgang heißt: Mit welchem Elternteil lebt das Kind wie viel Zeit? Die Klausel zum Sorgerecht ist wenig wert, wenn zugleich das Wechselmodell bei der Erziehung getrenntlebender Paare als Leitbild festgelegt werden soll, wie Justizminister Marco Buschmann das durchsetzen will. Selbst wenn es keine häusliche Gewalt gibt, entspricht das Wechselmodell längst nicht immer dem Kindeswohl. Es setzt eine gute Kooperation zwischen den Eltern voraus. Fehlt die, besteht die Gefahr von Loyalitätskonflikten für das Kind. Und für eine Gewaltbeziehung wäre ein gesetzlich angeordnetes Wechselmodell eine Katastrophe. Häufig wird die sogenannte Nachtrennungsgewalt massiver, wenn eine Betroffene es wagt, sich zu trennen. Dann versucht der Ex-Partner über die Umgänge mit dem Kind oft weiter, die Partnerin zu destabilisieren, er setzt sie neuer Gewalt aus, übt Kontrolle aus und demonstriert seine Macht. So etwas geht immer zulasten der Kinder.Das Wechselmodell hat auch Auswirkungen auf das Unterhaltsrecht. Das Justizministerium will, dass grundsätzlich beide Eltern den Kindesunterhalt zahlen müssen, wenn sie das Kind entweder halbe-halbe betreuen, oder zu einem Drittel und zu zwei Dritteln.Das ist nicht akzeptabel. Eine solche Regelung würde vor allem wohlhabenden Vätern helfen, die bei etwas mehr Betreuung der Kinder viel weniger Unterhalt zahlen müssen. 42 Prozent der Alleinerziehenden in Deutschland sind von Armut bedroht, und fast ausschließlich sind das Mütter. Denen bringt die geplante Regelung gar nichts. Die Väter – auch die gewalttätigen Ex-Partner –, die um das Wechselmodell kämpfen, tun das nicht selten, weil sie Unterhalt sparen wollen. Und nur 25 Prozent der Kinder in Trennungsfamilien erhalten den Mindestunterhalt.Für Sie ist das Wechselmodell kein Vorbild?Doch, natürlich. Wenn sich getrennte Eltern gut verstehen, und das ist ja zum Glück in vielen Fällen so, dann ist das Wechselmodell für alle Beteiligten ein Vorteil. Das Kind erlebt, dass es mehrere enge Bezugspersonen hat, die Verantwortung übernehmen. Aber dafür muss es die Bereitschaft zur Kommunikation und Kooperation geben. Auch ist dieser Weg zur Gleichberechtigung nur dann glaubwürdig, wenn die Sorgearbeit schon mit Beginn der Schwangerschaft fair aufgeteilt wird.Generell ist der erste Eindruck des Eckpunktepapiers: Das FDP-geführte Justizministerium will Eltern stärken, die konfliktfrei und einvernehmlich Fragen zum Sorge- und Umgangsrecht klären können. Diese bekommen mehr Gestaltungsmöglichkeiten, so können etwa Großeltern und neue Partner:innen – also: Stiefeltern – besser einbezogen werden. Aber wie muss die Politik mit toxischen Beziehungen umgehen? Was wäre denn eine richtige Antwort auf die wachsende Gewalt gegen Frauen und Kinder?Die Pläne aus Buschmanns Justizministerium liefern da wenig, das Eckpunktepapier zum geplanten Gesetz enthält nicht einen Satz dazu, dass Gerichte sehr geringe Kapazitäten haben und nur wenig Kenntnisse über Dynamiken gewalttätiger Beziehungen. Darin steht nichts über Fortbildungen für Richter:innen, nichts über Täterarbeit. Es besteht die Gefahr, dass Gerichte „im Zweifel“ auf das Wechselmodell zurückgreifen.Immerhin: Der Begriff Eltern-Kind-Entfremdung fehlt im Papier. Er suggeriert, dass Mütter den Vätern die Kinder mit Lug und Trug gezielt entfremden wollen und so entziehen.Der Begriff Eltern-Kind-Entfremdung kommt aus der Väterrechtler-Lobby. In vielen anderen Ländern darf er in familiengerichtlichen Verfahren gar nicht mehr eingeführt werden. In Deutschland sind wir gerade mal dabei, ihn infrage zu stellen. Das zeigt, wie weit wir in den Debatten zurück sind.