Verdient Malaria kein Biontech?

Pharma Derzeit ist es rentabler, Mittel gegen Haarausfall oder Erektionsstörung zu erfinden als gegen Tuberkulose. Der Covid-Impfstoff zeigt: Es geht anders – wenn man will
Ausgabe 48/2020

Im Zuge der Covid-19-Pandemie und der Suche nach einem dringend benötigten Impfstoff ist die Pharmaindustrie und ihre enorme Bedeutung für die globale Gesundheit ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt. Die gesellschaftliche Debatte darüber, ob mit der Eindämmung einer Pandemie Geld verdient werden darf, wird zur wirtschaftlichen Gretchenfrage. Ihr steht ein Wirtsschaftssektor gegenüber, der – wie jede andere privatwirtschaftliche Branche auch – wirtschaftlichen Zwängen ausgesetzt ist.

Die Entwicklung eines neuen Medikamentes nimmt Jahre in Anspruch, bis zur Zulassung als Arzneimittel bleiben viele Kandidaten wegen mangelnder Wirksamkeit auf der Strecke. Bis zur Markteinführung verursacht die Entwicklung einer pharmazeutischen Innovation häufig Kosten in dreistelliger Millionenhöhe. Für Pharmaunternehmen lässt sich eine Rendite auf diese Investitionen aufgrund der gegebenen Anreize am ehesten durch eine Fokussierung auf Krankheiten erreichen, die in entwickelten und zahlungskräftigen Volkswirtschaften auftreten und damit hohe Monopolpreise versprechen.

Das Hauptproblem besteht dabei vor allem darin, dass Krankheiten, die vorwiegend arme Menschen betreffen, zwar global das meiste Leid verursachen, von der Pharmaforschung jedoch weitgehend ignoriert werden. Nehmen wir das Beispiel Malaria, mit der sich jährlich etwa 200 Millionen Menschen infizieren: Typischerweise lebt ein mit Malaria infizierter Mensch in einem Gebiet, in dem das durchschnittliche Jahreseinkommen bei etwa 1.150 Euro liegt. Obwohl weltweit etwa 800 Kinder pro Tag an Malaria sterben, lässt sich im gegenwärtigen System mehr Geld mit Erektionsstörungen und Haarausfall verdienen als mit der Bekämpfung von Malaria.

Natürlich leiden auch arme Menschen an denselben Krankheiten wie reiche, d.h. an Krankheiten, für die es neue Arzneimittel gibt. Diese Mittel nützen aber nichts, da Medikamenteninnovationen zu patentierten Monopolpreisen für die meisten Patientinnen und Patienten unbezahlbar sind. In wohlhabenden Nationen können Verkaufspreise für Arzneimittel erzielt werden, die den Herstellungs- und Vertriebspreis um ein Tausendfaches übersteigen.

Im Hinblick auf die Diskrepanz zwischen den gegebenen finanziellen Anreizen und dem enormen Leid, das durch mangelnde Forschung im Bereich der sogenannten vernachlässigten Krankheiten entsteht (Malaria und Tuberkulose sind nur die prominentesten Beispiele einer langen Liste), schlagen wir vor, ergänzend zum bestehenden Patentsystem einen globalen „Health Impact Fund“ ins Leben zu rufen, der es ermöglicht, den Preis neuer Medikamente von den Fixkosten ihrer Forschung und Entwicklung zu entkoppeln.

Es braucht andere Anreize

Unter dem „Health Impact Fund“-Mechanismus verzichtet ein Pharmaunternehmen auf seine Patentpreise und vertreibt sein Produkt zu einem niedrigeren Preis in Höhe seiner Produktions- und Verteilungskosten. Im Gegenzug dafür erhält es Prämien aus dem „Health Impact Fund“, die sich an dem tatsächlich realisierten gesundheitlichen Mehrwehrt, also an der Heilkraft des Medikamentes, orientieren.

Da ein derartiges Modell Pharmaunternehmen allein auf der Grundlage des Beitrags ihres Medikaments zur Verringerung der globalen Krankheitslast belohnt, werden Innovatoren dazu angehalten, ihre Forschungskapazität dort einzubringen, wo Leid am effektivsten bekämpft werden kann. Konkret: Für jedes neue Medikament, das beim „Health Impact Fund“ registriert wird, verpflichtet sich der Hersteller für zehn Jahre dazu, das Medikament zu seinen variablen Kosten zu verkaufen. Im Gegenzug wird jährlich eine Prämie aus dem Fonds ausgeschüttet, deren Höhe abhängig von den erzielten Gesundheitsgewinnen ist, die durch das Produkt im globalen Gesundheitswesen erzielt werden. Finanziert werden soll der Fonds durch partizipierende Länder, internationale Organisationen und Stiftungen.

Die vielversprechende Suche nach einem Corona-Impfstoff hat das immense Potenzial gezeigt, welches die globale Pharmaforschung innerhalb kürzester Zeit freisetzen kann. Wenn es für Corona klappen kann – warum nicht auch für Tuberkulose?

Info

Die AutorInnen sind Mitglieder der Initiative Incentives for Global Health

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