ARD für Unbequeme: Öffentlich-Rechtliche müssen sich von Gebühren und Quote befreien

Medien Nicht „ausgewogener“ muss das Öffentlich-Rechtliche werden, sondern mutiger und diverser. Die Fixierung auf die Quote erspart die Rechtfertigung unbequemer Meinungen. Auch Theater und Museen werden durch Steuern finanziert
Exklusiv für Abonnent:innen | Ausgabe 34/2022
Nonstop Nonsens mit Dieter Hallervorden: Eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen müsste die Seichtigkeitsspirale stoppen
Nonstop Nonsens mit Dieter Hallervorden: Eine Reform der Öffentlich-Rechtlichen müsste die Seichtigkeitsspirale stoppen

Foto: United Archives/Imago Images

Für die notwendigen Reformen des ganzen Systems hätte man nicht auf die Dummheiten einer vom Intendanten-Amt deformierten ehemaligen Journalistin warten müssen. Mit der fristlosen Entlassung von Patricia Schlesinger ist es nicht getan. Die Riege der rbb-Direktoren und die Kontrollgremien sind ebenfalls in den Skandal verstrickt. Sogar die übrigen acht ARD-Anstalten haben dem Sender ihr Misstrauen ausgesprochen. Scheinheilig mahnt ihr Vorsitzender Tom Buhrow einen „tiefgreifenden Neuanfang beim rbb“ an. Der Augiasstall wird zum Einzelfall erklärt, damit nach dem Ausmisten alle anderen weitermachen können wie bisher. Doch die Schwarze-Schaf-Nummer funktioniert nicht.

Es geht um weit mehr als um Missbrauch von Gebühren. Der Berliner Skandal um Nepotismus, Verschwendungssucht und Selbstbedienung lenkt von der wichtigeren Frage ab, der alle Anstalten seit Jahren konsequent aus dem Weg gehen: Erfüllt das mit jährlich achteinhalb Milliarden Euro Pflichtgebühren finanzierte staatsnahe Medienimperium, das teuerste der Welt, seinen gesellschaftlichen Auftrag? Dieser Diskurs wird von den Anstalten verweigert.

Stattdessen wird alle paar Jahre eine klägliche Debatte darüber geführt, welche Erhöhung des Rundfunkbeitrags gerade noch zumutbar wäre. Die Umstellung der Gebühren auf eine Haushaltsabgabe vor einigen Jahren wurde gar als Reform verkauft. Wenn überhaupt gespart wird, dann an den falschen Stellen im Programm und vor allem auf Kosten der Journalisten, die meist schlecht bezahlt frei arbeiten. Dafür kassieren ihre Chefs dann Boni. Es ist Augenwischerei: Selbst wenn man dem Spitzenpersonal die üppigen Gehälter halbieren würde, kämen weder bessere Intendanten ins Amt noch bessere Sendungen zustande.

Doch wer sollte das System reformieren? Der Parteienstaat, Hauptprofiteur der öffentlich-rechtlichen Medien, ist für seine Selbstreinigungskräfte nicht gerade berühmt. Populistisch gefordert wird derzeit dennoch viel. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ist nicht der Erste und Einzige, der meint, um den Informationsauftrag zu erfüllen, genüge ARD oder ZDF. Ihre Fusion hört sich nach einer vernünftigen Radikalkur an, wäre aber Unsinn.

Wenn überhaupt etwas die satte Behäbigkeit der Sender bremst, dann ist es Konkurrenz. Zum Glück ist Rundfunk Ländersache. Die föderale Struktur der ARD ermöglicht Vielfalt, wenn auch nicht genug. Ohne das ZDF wäre die ARD doppelt so selbstgefällig – und umgekehrt. Das behaupten natürlich auch die betroffenen Intendanten. Sie selbst entwerten das gute Argument. Denn was nützt Konkurrenz, wenn alle mehr oder weniger das Gleiche senden? Wozu die große Zahl der Programme, wenn alle dasselbe monochrome Spektrum von Inhalten, Themen und Meinungen bedienen und sich im Käfig des Mainstreams wohl fühlen?

Biedere Volkserzieher

Friedrich Merz fordert, es müsse dringend wieder mehr „Ausgewogenheit“ hergestellt werden. Es mangelt jedoch nicht an Ausgewogenheit, sondern an Verschiedenheit. Ausgewogenheit gab es auch in den heroischen Zeiten des öffentlich-rechtlichen Monopols, als weit weniger Programm produziert wurde und trotzdem mehr Qualität. Damals gab es linke und rechte Magazine und Dokumentationen, die provozierten und den Diskurs belebten. Heute versuchen sich die öffentlich-rechtlichen Sender als biedere Volkserzieher.

Mit der Corona-Angstkeule knüppelten sie auf ihr Publikum ein, lieferten pausenlos umstrittene Zahlen und überließen fragwürdigen Experten die Talkshows. Es gehört nicht zur sogenannten Grundversorgung, die Nudging-Agenda einer verwirrten Obrigkeit zu unterstützen. Regierungspolitik grundsätzlich in Frage zu stellen, der Skepsis Stimmen zu geben und der Aufklärung zu dienen: Das wäre der wichtigste Auftrag von Medien, die der Gesellschaft verpflichtet sind. Ähnlich verhalten sich die Sender jetzt wieder beim Thema Russland. Abweichende Haltungen sind kaum zu vernehmen. Immer wieder erweisen sich ARD und ZDF als Sprachrohre der Parteien, von denen sie abhängig sind. So entsteht nicht Ausgewogenheit, sondern Konformismus.

Das beste Argument von ARD und ZDF sind leider die kommerziellen Sender. Die sind publizistisch nicht konkurrenzfähig. Zwar generieren sie Reichweite mit Trash, Dokusoaps, ausländischen Serien und Spielfilmen, werden als Cashcows gemolken, fallen als Akteure des politischen Diskurses jedoch weitgehend aus. Das müsste nicht so sein – es gibt ja auch private Qualitätszeitungen und Buchverlage.

Die Hauptschuld am Konformismus aber tragen die Gebühren. Denn bei ARD und ZDF herrscht das Dogma, allein die Mehrheitsfähigkeit der Programme rechtfertige Gebühren. Folgerichtig setzen die Gebührensender in ihrer Not ganz und gar auf die Quoten. Das ZDF ist stolz darauf, Marktführer zu sein. Die Abhängigkeit von den Quoten führt aber dazu, dass ARD und ZDF den Privaten keinen Vorteil gönnen und ihnen ihrerseits nacheifern, also ebenfalls vorwiegend Seichtes wie eine maßlose Krimischwemme produzieren und auf Fußball setzen, der gewiss nicht zur Grundversorgung zählt und den Privaten überlassen werden könnte.

Kultur etwa rutscht immer weiter in die Nacht und in Nebenkanäle wie 3Sat und Arte oder gleich in die Mediatheken. Würde man den Anstalten selbst überlassen, wo sie künftig mehr sparen wollen, bestünde die Gefahr, dass sie zuerst ihre Spartenkanäle streichen. Das hieße: noch weniger Fernsehkultur und Kultur im Fernsehen. Wenn auf etwas verzichtet wird, dann bitte auf austauschbare Massenware. Denn zum Programmauftrag gehört, für das Wichtige und Wertvolle Aufmerksamkeit zu generieren. ARD und ZDF verfehlen ihr Ziel trotz Quotengier. Immer mehr Gebührenzahler lassen die Kiste aus. Nur noch ein Drittel der unter 30-Jährigen schaltet ein.

Auch mehr Meinungsvielfalt kann nur entstehen, wenn nicht länger auf vorwiegend Gängiges und Bequemes gesetzt wird. Deshalb muss die unheilvolle Abhängigkeit von Quoten und Gebühren beendet werden. Warum wird sie von den Intendanten dennoch so vehement verteidigt? Weil ihnen die Quote erspart, sich für unbequeme Meinungen zu rechtfertigen und für echte Unabhängigkeit zu kämpfen.

Und das ist symptomatisch. In den Anstalten dominieren stromlinienförmige oder desillusionierte Sendezeitverwalter. Intendant, Programmdirektor, Chefredakteur wird, wer mit oder ohne Parteibuch einen Pakt mit den Parteien schließt, die, was den ÖRR angeht, ausgeprägten Konsens pflegen. Weil sie, die wahren Herrscherinnen über die Sender, vom System am meisten profitieren.

Viel Geld mit Gutachten

Daran krankt bisher auch jede Kontrolle. Die Lobbyisten, die für angeblich „gesellschaftlich relevante Gruppen“ in den Gremien sitzen, sind nur selten parteiunabhängig und interessieren sich in erster Linie dafür, ob ihre Gruppen im Programm gebührend gewürdigt werden. Sie verstehen sich als Anwälte ihrer Sender statt als Anwälte der Gesellschaft. Es sind in der Regel fachlich und zeitlich überforderte Amateure, unfähig zur Kontrolle, nicht nur, was die Verschwendungssucht, sondern vor allem auch, was die Qualität der Programme angeht.

Die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) ist Teil des Problems, nicht der Lösung. Sie hat den angeblichen Mehrbedarf der Anstalten so gut wie immer genehmigt. Unabhängig ist auch sie nicht. Zumindest von einem Mitglied ist bekannt, und das ist symptomatisch, dass es mit Gutachten viel Geld beim MDR verdient hat. Und am Ende hat auch das Bundesverfassungsgericht immer die Hand über das System gehalten.

Nur wie lange noch? Der Druck im Kessel steigt. Auch in anderen Staaten Europas wie etwa der Schweiz wurden die Gebühren deutlich gekürzt und ihre Verwendung streng an den Programmauftrag geknüpft. In Frankreich, England, Dänemark sollen sie ganz abgeschafft werden.

ARD und ZDF aber haben die Zeichen der Zeit noch nicht erkannt. Erst kürzlich behauptete der scheidende Chefredakteur des ZDF, Peter Frey, es gebe gar keine Vertrauenskrise. Wer in den Sendern die Debatte zu führen versucht, wird als Nestbeschmutzer ausgegrenzt. Als „Demokratieabgabe“ hat der Programmdirektor des WDR, Jörg Schönenborn, die Gebühren zu rechtfertigen versucht.

Ein verräterisches Wort. Damit bestätigt er die sonst gern abgestrittene Staatsnähe der Anstalten. Denn die Verteidigung der Demokratie ist eine Staatsaufgabe. Für deren Finanzierung sind allein Steuern zulässig. Der Haupteinwand gegen steuerfinanzierte Anstalten lautet: Wir brauchen mehr, nicht weniger Staatsferne von ARD und ZDF. Ein Scheinargument. Auch Theater, Universitäten, Museen sind Staatsbetriebe. Niemand käme auf die Idee, deren Intendanten betrieben die Sache von Regierungen und Parteien. Man könnte die Anstalten in eine Stiftung einbringen, aus Steuern subventionieren und von unabhängigen Fachleuten kontrollieren lassen.

Noch einmal: Öffentlich-rechtlicher Rundfunk ist gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spannungen und Umbrüche unverzichtbar, doch ein anderer als der real existierende. Ziel der Reform müsste es sein, die Seichtigkeitsspirale zu stoppen und die Meinungsmonotonie zu beenden. Beide werden ganz wesentlich von den Quoten verursacht, mit denen die Gebühren gerechtfertigt werden. Dies ist der Teufelskreis, der durchbrochen werden muss. Deshalb sollten ARD und ZDF von den Gebühren befreit werden.

Wolfgang Herles arbeitete, unter anderem als Leiter des Kulturmagazins Aspekte, 30 Jahre lang für das ZDF. 2015 erschien sein Buch Die Gefallsüchtigen über Konformismus und Quotenwahn (Knaus)

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