Dort ist Griechenland mit seiner Wirtschaftskrise, dort ist Syrien mit seinem Bürgerkrieg, Hunderttausenden Flüchtlingen, dort ist die Türkei mit der ungelösten Kurdenfrage, Israel und Palästin - die Nahost-Region. Aber gab es da nicht in diesem Jahr auch mal gute Nachrichten? Ja, gabe es, das Atomabkommen mit Iran – Sanktionen gegen Teheran werden abgebaut, im Gegenzug wird das iranische Atomprogramm eingeschränkt und international kontrolliert.
Das Abkommen wurde Mitte Juli verkündet. Die USA und der Iran stehen sich nun also weniger konträr gegenüber. Iran steht auf Seiten Assads, Russland auch, die USA nun weniger dagegen. Die Aussichten für Assad haben sich also gebessert. Mag das vielleicht auch Anstoss für viele Syrer sein, gerade jetzt ihr Land zu verlassen? Die innersyrische Opposition verlässt nun das Land, das ist Folge der Politik, die den Kampf gegen IS als das wichtigste ansieht. USA, Iran, Syrien, Israel und die Türkei stehen nun auf der anderen Seite vom IS.
Die türkische Regierung allerdings hat scheinbar noch andere Pläne im Hinterkopf. Den IS will sie nicht haben, Assad will sie allerdings auch nicht haben, und am allerwenigsten offenbar eine irgendwie organisierte kurdische Zone. Da stimmen sie mit Assad überein, der auch keine kurdische Autonomie will, allerdings ist das für ihn nur eine Randnotiz. Als Regionalmacht hat die Türkei durch den Atomdeal an Exklusivität verloren, der Iran ist gestärkt. Auch Saudi-Arabien ist durch die iranische Frontauflösung der USA verletzlicher, im Jemen geraten Regionalmilizen iranischer und saudischer Unterstützung aneinander, die Saudis sehen dort schlecht aus.
In der Tendenz sehe ich:
- die Partnerländer der USA sind in ihrem Status in Nahost zurückgefallen.
- Iran und die (anderen) Partner Russlands sind gestärkt, inklusive Assad
- Amerika setzt auf eine von innen kommende Neuorganisation der Region, um sich das leisten zu können, ist die momentane Unabhängigkeit von Energieimporten günstig
- Zugriff auf Energieimporte müsste EU in Zukunft mehr selbst organisieren, per Russland oder per Nahost
- Oder per Energiewende (was allein wohl nicht reicht)
Den aktuellen Beitrag vom SPON-Kolumnisten Münchau schiebe ich abschließend noch auf die Bühne: Der tiefe Grund für die Flüchtlingskrise besteht darin, dass Europa seine strategischen Interessen im Nahen Osten nicht wahrnehmen kann oder will. Europa ist ebenfalls nicht bereit, die Konsequenzen seiner Passivität zu tragen.
Das strategische Interesse, was er wohl primär meint, ist das Nichtanschwellen des syrischen Flüchtlingsstroms. Natürlich ist es im europäischen Interesse, in Syrien einen legitimen Handelspartner zu finden. Ansonsten sehe ich nicht, warum ein befriedigtes Interesse an Energieimporten nach Europa Flüchtlinge aus Nahost zum Daheimbleiben motivieren sollte. Es soll Frieden sein – das ist ein allgemeines Interesse, aber kein strategisches.
Iran ist mehr als viermal so groß wie die Bundesrepublik, bei etwa gleicher Einwohnerzahl.
Die Freitag-Redaktion nach dem Iran-Deal: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/auch-obama-muss-jetzt-liefern
Community-Mitglied Smukster nach dem Iran-Deal: https://www.freitag.de/autoren/smukster/die-welt-nach-dem-irandeal
Kommentare 10
Das werden in Richtung Syrien harte Verhandlungen. Die USA haben ein erklärtes Interesse (Stratfor) daran, den IS weiter die Region destabilisieren zu lassen, mit anderen Worten: sie haben ein gelogenes Interesse an dem Kampf gegen IS. Ähnlich die Türken. Wenn nun die Russen kommen und sagen: "Wir machen was gegen den IS" und das auch noch ernst meinen, dann zerfällt die US Strategie in der Region. Bin gespannt, wie das weiter geht.
Jedenfalls habe ich den Eindruck, dass unsere BR das entweder nicht wissen will oder sich drückt. Denn eine Reaktion JETZT ist zu spät. Das wusste man auch vorher.
Joshua Landis im Interview bei der ZEIT: "Deshalb stehen EU und USA heute vor der schwierigen Entscheidung: Unterstützen sie die Russen und benutzen Assad, um eine Feuerpause mit dem IS herbeizuführen und so die Flüchtlingsbewegung einzudämmen? Oder wenden Sie sich wie bisher weiter gegen Assad und müssen deshalb noch viele weitere Flüchtlinge bei sich aufnehmen?" - so sieht das wohl leider aus ):
Schöner Blog, der die verfahrene Situation auf den Punkt bringt. Ich weiss ja, Du hättest eine schriftliche Zusammenfassung lieber, nur geht das gerade nicht, zu wenig Zeit. Deshalb hier nur der Link zu einer sehr informativen Phoenix Runde, wie ich fand. (phoenix Runde vom 10.09.2015) "Exodus aus Syrien - Versagt der Westen?" mit - Michael Lüders (Nahost-Experte) - Kristin Helberg (Syrien Expertin) >> sie ist großeklasse, finde ich. Big Like. https://www.youtube.com/watch?v=alzIpaYuRH0&feature=youtu.be Plus ein Guardian Exclusive: Former Finnish president and Nobel peace prize laureate Martti Ahtisaari said western powers failed to seize on the proposal. Weiss nicht ob das so stimmt; wäre jedenfalls der Hammer. Ist meines Erachtens nicht ganz unwahrscheinlich, das es so wie geschildert ablief. http://www.theguardian.com/world/2015/sep/15/west-ignored-russian-offer-in-2012-to-have-syrias-assad-step-aside Gerade nicht der Burner hier; aber ich muss los und schicks ab ... laden, laden laden popaden :) Schau die Links an, sind beide spannend. Cherrs
So oder ähnlich stimmt das mit Sicherheit: Russland hatte damals definitiv versucht zu vermitteln, dies scheiterte aber an der vom Ausland geförderten Sturheit der Rebellen, die "Assad muss weg" zur Vorbedingung möglicher Gespräche machten - statt zum möglichen Resultat.
In den USA gibt es derzeit m.E. zwei gegenläufige Strömungen: Natürlich gibt es weiterhin Jene (Neocons), die auf eine Schwächung des Iran durch einen Dauerkonflikt mit dem IS setzen, wie stratfor behauptet. Das entspricht aber nicht (mehr) der Linie der Regierung: Trotz Kerrys theatralischer Aufregung ist es schwer vorstellbar, dass Russland derart offen intervenieren würde, ohne dies vorher mit ihm abgesprochen zu haben und sich somit des Erfolgs der Mission sicher zu sein. Damit und mit der Beteiligung europäischer Staaten soll sichergestellt werden, dass die "anti-IS-Koalition" in Zukunft auch tatsächlich den IS bekämpft...es ist ja schon auffällig: Ständig wird davon geredet, "in Syrien zu bombardieren" - aber fast nie wird erläutert, wen oder was genau.
USA, Iran, Syrien, Israel und die Türkei stehen nun auf der anderen Seite vom IS.
Die Türkei und Israel machen diesen Schwenk nur sehr widerwillig mit, und auch in den USA gibt es starke Widerstände, gerade auch im Militär. Ankara steht vor den Trümmern seiner Außenpolitik, und auch der Krieg gegen die Kurden führt bislang nicht zum erhofften allgemeinen Hurra-Patriotismus. Wenn sich daran nichts Grundlegendes bis zu den Wahlen am 1. November ändert, ist Erdogan politisch erledigt - wozu nicht zuletzt auch die beginnende Wirtschaftskrise beiträgt.
Was Münchau genau mit den "europäischen Interessen" meint, weiß ich nicht. Angesichts des offensichtlichen Überschwappens der Konflikte wie auch der Handelsbeziehungen denke ich aber durchaus, dass die EU ein strategisches Interesse an Stabilität und einer Einhegung der dortigen Konflikte hat. Insofern finde ich es bemerkenswert, dass Steinmeier jetzt den Vorschlag einer "KSZE des Mittleren Ostens" (mit den P5+1 als Garantiemächten) aufgreift, der in der Friedensbewegung seit Jahrzehnten immer wieder thematisiert wird. Die letzten Jahrzehnte haben die Region in einen Dauerkonfliktherd verwandelt, der jederzeit irgendwo "heiß" werden kann - ohne eine "große Lösung" wird sich daran nichts grundlegend ändern, und nun nach dem Irandeal könnte *endlich* die Zeit dafür gekommen sein. Es wäre im Interesse Aller - naja, fast: Der einzige Verlierer bei all dem wäre Saudi-Arabien (& Verbündete).
ob das so stimmt; wäre jedenfalls der Hammer (west-ignored-russian-offer-in-2012). – Klingt plausibel. Sooo Hammer finde ich das allerdings nicht, die Überzeugung, dass Assad fallen wird, konnte man ja durchaus haben; das wäre dann sogar eine Art Strategie. Ist fehlgeschlagen.
Diese „Anmerkung unseres Lesers K.O.: Ein weiterer Hinweis darauf, daß „der Westen“ rein geopolitisch und strategisch agiert und an Konfliktlösung in dieser Region und am Wohl der dortigen Menschen nicht interessiert ist !“ kann ich nicht nachvollziehen. Was die Menschen in der Region als ihr Wohl ansehen, ist natürlich keine homogene Sache, dass nicht wenige ihr Wohl lieber ohne Assad gesucht hätten, ist auch Wahrheit.
Danke für's Feedback, ihren breichernden Blog zum Irandeal habe ich ja verlinkt.
Der einzige Verlierer bei all dem wäre Saudi-Arabien (& Verbündete). - Dass die USA sich das überhaupt leisten können, liegt mMn nicht unwesentlich am eigenen Ölboom [1]. Die amerikanischen Daumenschrauben in Nahost werden gelockert, andere Länder haben damit zumindest die Chance, Einflusszonen auszubauen. Iran und Russland nutzen das. Iran scheinbar geplanterweise. Die EU ist als Ganzes nicht handlungsfähig, speziell wegen Eurokrise, ob ohne Eurokrise ist aber auch fraglich. In D sehe ich auch energiepolitisch eher Anknüpfungen an Russland (Ostseepipeline wird de facto ausgebaut), Fr und UK sind eher nach Nahost orientiert.
Die Amis gehen heißt also auch: Die Russen kommen. Da Russland sich nun in der Ukraine und Syrien reinhängt, bin ich mal gespannt, ob jemand auf die Idee kommt, an einer anderen Südgrenze von Russland zu stänkern. Viel besser wäre: Verständigung mit Russland.
Dem kann ich zustimmen; mit dem Fracking und dem Ölsand bemüht sich Nordamerika, energiepolitisch unabhängig zu werden. Insbesondere beendet das die jahrzehntelange strategische (Petrodollar-)Symbiose mit Saudi-Arabien, das in letzter Zeit zunehmend als aggessiver eigenständiger Akteur aufgetreten, dafür aber auf Dauer zu schwach ist - und somit für die USA zur Belastung wird, die dessen Eskapaden unterstützen müssen bzw. mussten. Insofern gehe ich davon aus, dass der Frackingboom gezielt herbeigeführt wurde, um diese Unabhängigkeit zu erreichen.
Russland hat m.E. geduldig darauf gewartet, dass sich die US-Strategie ändert, um dann sofort seinen durchaus vorhandenen Einfluss ausspielen zu können - auch in Ägypten übrigens. Die EU würde ich nicht unterschätzen: Nicht nur haben einzelne Mitgliedsländer in der Ukrainekrise eine Schlüsselrolle gespielt, auch am Irandeal waren sie nicht ganz unbeteiligt (auch wenn hier Russland sicher der entscheidende Spieler war) - und Steinmeier wirbt seit einem Jahr für einen KSZE des Mittleren Ostens, was jetzt mehr Unterstützung finden dürfte.
Eine Offensive in Zentralasien hatte ich zeitweise erwartet, aber das dürfte sich jetzt erledigt haben, wo ISIS in Af-Pak aufgerieben wird und der Angriff von wem auch immer in Tajikistan sich nicht ausgebreitet hat.
Im Februar 1987 bot Gorbatschow Reagan einen Deal zu Afghanistan an: Die Sowjets ziehen ihre Truppen ab, die Amis liefern den Rebellen keine Waffen mehr. Gorbatschow warnte Reagan, dass amerikanische Waffenlieferungen nach Afghanistan dort einen militanten Islam schaffen helfen würden. Reagan war jedoch zu misstrauisch gegenüber Gorbatschow um das Angebot anzunehmen und ließ den Rebellen weiter Waffen liefern. Was mit den Rebellen und den Waffen passierte, wissen wir ja heute so einigermaßen. (http://www.slate.com/articles/news_and_politics/war_stories/2004/06/reagans_osama_connection.html)
Mal sehen, wie das in den Brunnen gefallene Kind diesmal von einem Team aus internationalen Spezialisten zu bergen versucht wird.
Die Angst der Russen vor einem auf russisches Territorrium übergreifendem Terrorismus/Unabhängigkeitskampf dürfte heute die selbe wie in den 80ern sein. Die Europäer könnten im GGs. zu damals auch ein bisschen Außenpolitik machen - Warum nicht mit den Russen? - denn Amerika könnte es tatsächlich egal sein.
Die Situation erinnert mich ein bisschen an Heiner Müllers "Der Auftrag".