Wie bereits berichtet, ermittelte die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen zwei Journalisten des freien Freiburger Senders Radio Dreyeckland wegen angeblicher Unterstützung einer verbotenen Vereinigung (§ 85 Absatz 2 Strafgesetzbuch) (siehe z.B. express 3-4/2023 und contraste Mai 2023) und erhob schließlich Anklage gegen einen von beiden (s.a. EmRaWi vom 16.05.2023), Fabian Kienert – und zwar wegen Veröffentlichung dieses Artikels.
Dazu ist am Dienstag eine Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe ergangen (s. dazu den übernächsten Abschnitt).
Wie es nach der Anklageerhebung weiterging
Nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Anklageschrift an das Gericht gesandt hatte und dieses die Anklageschrift an Fabian Kienert weiterleitete, hatte Kienert bzw. seine Anwältin Gelegenheit, zu der Anklageschrift (vorliegend: bis zum 04.05.20231) Stellung zu nehmen (vgl. § 201 StPO). Diese Gelegenheit hat die Anwältin auch genutzt.2
Sodann hatte das Landgericht Karlsruhe zu prüfen, ob es
das sog. „Hauptverfahren“ (das Ermittlungsverfahren ist demgegenüber das „vorbereitende Verfahren“) eröffnet, das heißt: die Anklage zuläßt,
oder
ob es die Anklage nicht zuläßt und das Verfahren einstellt (vgl. § 199 Absatz 1 StPO).
Der gesetzliche Maßstab für diese Entscheidung ergibt aus § 203 Strafprozessordnung (StPO): „Das Gericht beschließt die Eröffnung des Hauptverfahrens, wenn nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens der Angeschuldigte einer Straftat hinreichend verdächtig erscheint.“
Die Karlsruher Staatsanwaltschaft ist vor dem dortigen Landgericht gescheitert
Einen solchen „hinreichend[en]“ Tatverdacht hat das Landgericht Karlsruhe nun verneint – und zwar aus zwei voneinander unabhängigen Gründen:
1. „§ 85 Abs. 2 StGB3 setzt die objektive Existenz einer Vereinigung der in § 85 Abs. 1 StGB bezeichneten Art im Zeitpunkt der Vornahme der Unterstützungshandlung voraus. Unterstützt werden kann nur der organisatorische Zusammenhalt oder die weitere Betätigung einer bestehenden – im Sinne von fortbestehenden, wiederaufgebauten oder neu errichteten - Vereinigung, die mit der unanfechtbar verbotenen Vereinigung (teil)identisch oder die eine – durch die Verwaltungsbehörde unanfechtbar festgestellt – Ersatzorganisation der verbotenen Vereinigung ist […].“ „Ein Fortbestehen einer solchen Vereinigung ist weder in der Anklage beschrieben, noch durch den Akteninhalt belegt und auch nicht sonst ersichtlich“.4 (LG Karlsruhe, Beschl. v. 16.05.2023 zum Az. 5 Kls 540 Js 44796/22, S. 4) – Mit anderen Worten: Eine gerichtliche Klatsche für die Staatsanwaltschaft Karlsruhe.
2. Es fehle außerdem an einer unter den Tatbestand der Unterstützung einer Vereinigung im Sinne § 85 Absatz 1 Strafgesetzbuch subsumierbaren Tathandlung (S. 18). Der Artikel von Fabian Kienert, den die Staatsanwaltschaft zum Gegenstand ihrer Anklage gemacht hat, weise „[i]n der Gesamtbetrachtung […] keine eindeutig für die verbotene Vereinigung fürsprechende Zielrichtung aus“. Zwar sei der „Artikel […] – ohne weiteres erkennbar – kritisch gegenüber dem Verbot oder Art des Verbotes der Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“, aber „Kritik an staatlichem Handeln ist jedoch gerade Teil der grundgesetzlich verbürgten Presse- und Meinungsfreiheit“ (ebd., S. 30).
Dazu ist dreierlei anzumerken:
Zwar ist es zutreffend, daß Fabian Kienerts Artikel keine Unterstützung darstellt und auch nicht dargestellt hätte, wenn der angebliche Verein noch existieren würde.
Irritierend ist aber zum einen, dass auch das Landgericht Karlsruhe – wie vor ihm schon das Bundesverwaltungsgericht – übersieht, dass die BetreiberInnenkreis der internet-Plattform linksunten.indymedia gar nicht ebenfalls linksunten.indymedia, sondern IMC linksunten hieß.5 Verboten wurde aber eine angebliche „Vereinigung ‚linksunten.indymedia‘“ – also etwas, das auch schon zum Verbotszeitpunkt bloß eine Einbildung der Bundesinnenministeriums war. – Das Verbot war also in Wirklichkeit von Anfang an ein Schlag ins Wasser, von dem sich aber die vormaligen BetreiberInnen der Plattform haben einschüchtern und die sich gemeinhin für „kritisch“ haltende linke und linksliberale Öffentlichkeit hat beeindrucken lassen.
Zum anderen ist verfehlt, überhaupt der Idee zu verfallen, eine Äußerung, z.B. Linksetzung, könne eine „Unterstützung“ im strafrechtlichen Sinne sein – und sich deshalb in extenso mit dem Inhalt des Artikels zu befassen. Verfehlt ist dies aus mindestens zwei Gründen:
Das Strafgesetzbuch unterscheidet gerade zwischen
Mitgliedschaft usw. und Unterstützung in § 84 StGB (in Bezug auf verbotene Parteien) und § 85 StGB (in Bezug auf verbotene Vereinigungen) einerseits
und
Verbreitung von Propagandamitteln in § 86 StGB und Verwendung von sog. Kennzeichen solcher Parteien bzw. Vereinigungen in § 86a StGB anderseits.
Warum hätten die Gesetzgebungsorgane auch § 86 StGB ins Gesetz schreiben sollen, wenn derselbe Sachverhalt eh schon in § 84 StGB (in Bezug auf Parteien) und in § 85 StGB (in Bezug auf Vereinigungen) strafbar ist?
Das Strafgesetzbuch unterscheidet außerdem zwischen
Werbung (
++ bis 1968 nicht nur in Bezug auf Kriminelle [§ 129 StGB] und später dann auch Terroristische Vereinigungen [§ 129a StGB], sondern auch in Bezug auf verbotene Vereinigungen und Parteien strafbar;
++ seit 1968 in Bezug auf letztere aber gerade nicht mehr strafbar)
und
Unterstützung (bis und seit 1968 strafbar).6
Diese gesetzgeberische Entscheidung darf nicht dadurch gerichtlich konterkariert werden, dass nun einfach werbende Äußerungen unter den übriggebliebenen Unterstützungs-Tatbestand subsumiert werden.
Das Ergebnis der Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe ist also zwar zutreffend, die Begründung aber nur teilweise.
Die Staatsanwaltschaft kann Beschwerde einlegen
Wie es auf der Webseite von Radio Dreyeckland zutreffend heißt, ist der „Beschluß […] noch nicht rechtskräftig“. Denn § 210 Absatz 2 und 3 StPO bestimmen:
„(2) Gegen den Beschluß, durch den die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht niederer Ordnung ausgesprochen worden ist, steht der Staatsanwaltschaft sofortige Beschwerde zu. (3) Gibt das Beschwerdegericht der Beschwerde statt, so kann es zugleich bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einer anderen Kammer des Gerichts, das den Beschluß nach Absatz 2 erlassen hat, oder vor einem zu demselben Land gehörenden benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, kann der Bundesgerichtshof bestimmen, daß die Hauptverhandlung vor einem anderen Senat dieses Gerichts stattzufinden hat.“
Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe hat mir dazu auf Anfrage mitgeteilt: „Der Beschluss des Landgerichts wird hier geprüft und im Anschluss über das weitere Vorgehen entschieden werden.“
Anmerkungen
1 So die Pressestelle des Landgerichts Karlsruhe am 12.05.2023 auf vorherige Anfrage.
2 Ebenfalls Auskunft der Pressestelle des Landgerichts Karlsruhe vom 12.05.2023.
3 Dort sind genau genommen zwei unterschiedliche Arten von Vereinigungen genannt – nämlich:
Erstens: Parteien und Vereinigungen, von denen im Verfahren nach § 33 Abs. 3 des Parteiengesetzes unanfechtbar festgestellt ist, dass sie Ersatzorganisation einer verbotenen Partei sind.
Zweitens: Vereinigungen, die unanfechtbar verboten sind, weil sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, oder von der unanfechtbar festgestellt ist, daß sie Ersatzorganisation einer solchen verbotenen Vereinigung sind (vgl. Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz und § 8 Vereinsgesetz).
4 Vgl. zu dieser Problematik bereits
meinen Artikel bei taz-Blogs vom 27.01.2023: „Zwei Fragen an das Amtsgericht Karlsruhe [zu den vorausgegangenen Durchsuchungebeschlüssen]. Teil II: Wie soll ein nicht (mehr) existierender Verein unterstützt werden können?“
und
in meinem Artikel vom 11.02.2023, Abschnitt „BMI: ‚keine Erkenntnisse über eine Fortführung […] der […] Vereinigung ›linksunten.indymedia‹‘“.
5 https://web.archive.org/web/20200320103618/http://links-wieder-oben-auf.net/wp-content/uploads/2020/01/Bf_11_Antrag_ans_BMI__FIN.pdf. S. 38 f.
Siehe auch
https://linksunten.indymedia.org/archiv/accounts/index.html
undden dort genannten account „IMC linksunten“ mit einer Liste der Artikel, die mittels dieses accounts gepostet wurden.
6 Siehe zu diesem Problemkreis bereits
meinen Artikel bei den taz-Blogs vom 02.02.2023: „Noch eine dritte Frage an das Amtsgericht Karlsruhe. Warum vermengen Sie die Begriffe ‚Werbung‘ und ‚Unterstützung‘?“
und
mein ausführliches Papier zu dem Fall bei labournet, Abschnitt „Zweite Abstrusität: Subsumtion von sog. Sympathiewerbung unter ‚Unterstützung‘“ (S. 13 f.)
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