Medien und Propaganda: „Vergessener“ Jemen

Der Jemen in den Medien: In englischsprachigen Medien bleibt der Jemenkrieg „vergessen“. Noch schlimmer ist es auf Deutsch. Berichterstattung aus Nahost wie aus Übersee ist von Propaganda geprägt

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Nach jetzt bereits 152 Folgen meiner Jemen-Nachrichten (Yemen Press Reader; YPR) ist es wieder einmal an der Zeit, eine Zwischenbilanz zu ziehen und sich zu fragen, wie es aktuell mit der medialen Berichterstattung zum Jemenkrieg aussieht. Der letzte derartige Rückblick, vom 11. Dezember 2015 (https://www.freitag.de/autoren/dklose/der-jemen-in-mainstream-und-anderen-medien), nach Yemen Press Reader 63, liegt bereits fast ein halbes Jahr zurück.

Hat sich also seitdem bei der Berichterstattung zum Jemenkrieg etwas Wesentliches verändert? Um es vorwegzunehmen: Nein. Nach wie vor wird der Jemenkrieg als „vergessener Krieg“ (forgotten war) bezeichnet, obwohl doch gerade auch diejenigen, die das dann bei den (seltenen) Erwähnungen larmoyant bejammern, selbst genau diejenigen sind, die dafür verantwortlich sind, dass es sich um einen „vergessenen Krieg“ handelt.

Inhaltsübersicht

1.) Das Versagen der Mainstreammedien: Englischsprachig

2.) Das Versagen der Mainstreammedien: Deutschsprachig

3.) Andrea Backhaus in der „Zeit“ zur Nahost-Berichterstattung

4.) Mainstreammedien und die „Essentials“ der US-Interessen

5.) Mainstream-Propaganda: Ukraine und Syrien

6.) Unsere Medien in Nahost: Keine eigenen Leute vor Ort

7.) Auch vom Büro in Hamburg oder sonstwo aus: Besserer Journalismus ist möglich

8.) Nahostkriege und Jemenkrieg im Besonderen als moralischer Bankrott des „Westens“

9.) Das Schweigen der deutschsprachigen Medien zum Jemenkrieg: Beispiele

10.) Jemen ein Einzelfall? Das Schweigen der deutschsprachigen Medien zu Brasilien

11.) Resumée

1.) Das Versagen der Mainstreammedien: Englischsprachig

Nach wie vor wird über den Jemenkrieg in den westlichen „Mainstream“-Medien (Druckerzeugnisse; Internetseiten der großen Zeitungen, Nachrichtenseiten und Agenturen) kaum berichtet. Nach wie vor ist diese Berichterstattung zum großen Teil beschönigend, werden unterschwellig schon durch die Begrifflichkeiten unreflektiert Behauptungen vor allem der pro-saudischen Propaganda transportiert. Da ist die Titulierung der Huthis als „Rebellen“ (nachdem sie schon über 1 ½ Jahre in Sanaa regieren) und als „vom Iran unterstützt“ nur ein Beispiel.

Dan Kovalik hat das jüngst einmal mehr am Fall der amerikanischen Nachrichtenseite NPR deutlich demonstriert. Er konstatiert bei der Berichterstattung von NPR über die Flüchtlinge im Jemen, dass der saudische Bombenkrieg – die Hauptursache der Vertreibungen – dabei völlig unerwähnt blieb, und fasst zusammen:

„Um es klar zu machen, es ist nicht so, dass NPR und andere Medien solche unbequemen Fakten nie erwähnen, sie tun es nur so selten. So konnte ich zum Beispiel im Fall von Jemen in diesem Jahr nur sechs (6) Fälle finden, in denen NPR die Verbindung zwischen den USA und dem Angriff der Saudi-Koalition auf Jemen thematisierte. Dies vergleiche man mit der Berichterstattung über Syrien, und besonders über die Menschenrechtsverletzungen durch die Assad-Regierung, die ein fast täglicher Trommelschlag ist.

Das Ergebnis dieser unverhältnismäßigen Berichterstattung ist, dass dem Zuhörer die Diskussion solcher Themen wie die von den USA unterstützten Verbrechen im Jemen ganz entgehen kann. Und, selbst wenn man ein Teilstück oder zwei zu dieser Angelegenheit hört, wird dieses Problem leicht vergessen und schon gar nicht so ernst genommen oder als so dringend behandelt wie die Untaten der vorgeblichen Feinde der USA, wie Syriens Assad-Regierung, der NPR eine fast zwanghafte Aufmerksamkeit schenkt.

Auf diese Weise werden wir in den USA, die sonst dazu bewegt werden könnten, uns um das Schicksal von Millionen Menschen im Jemen zu kümmern, deren Leben durch die Mitschuld unserer eigenen Regierung umgestülpt werden, eingelullt in Selbstzufriedenheit, und dabei bleibt unser bequemes Gefühl der unserer Nation innewohnenden Güte völlig intakt. Das Ergebnis ist, dass die Machthaber in unserer angeblich demokratischen Regierung freie Hand bekommen, derartige Grausamkeiten wie die fast vollständige Zerstörung des Jemen zu unterstützen und zu begünstigen, ohne dass sie irgendeine Vergeltung oder [die Notwendigkeit einer] Zustimmung befürchten müssten.“ (http://www.huffingtonpost.com/dan-kovalik/npr-yemen--the-downplayin_b_10132892.html = http://www.counterpunch.org/2016/05/27/npr-yemen-the-downplaying-of-u-s-war-crimes/).

Die Intensität der Berichterstattung ist, das sei noch einmal betont, in der Tat der entscheidende Punkt dafür, ob ein Thema im Bewusstsein einer größeren Öffentlichkeit ankommt oder nicht. Allein das ist also eine Möglichkeit, im Sinn bestimmter Interessen Manipulation auszuüben, d. h. Propaganda zu betreiben.

Für Großbritannien, wo es wegen der eigenen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien eine intensivere Diskussion über den Jemenkrieg gibt, sind der Guardian und der Independent positiv zu nennen, die immerhin öfters kritisch über den Jemenkrieg berichten. Aber eine breitere Öffentlichkeit – und außerhalb Großbritanniens schon gar nicht – wird damit auch nicht erreicht.

Neben den westlichen Mainstreammedien sind gerade für die Information über den Jemenkrieg andere Medien unverzichtbar, ja, mit ihnen erfahren wir mittlerweile wesentlich mehr. Das sind russische (RT; Sputnik) und iranische Medien, die auf Englisch und Deutsch berichten; sonstige englischsprachige Medien aus dem Nahen Osten (wie Middle East Eye; Middle East Monitor; Alwaght; Albawaba); Medien aus dem Jemen selbst (Webseiten; Fernsehstationen); Webseiten von verschiedenen Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen (diverse UN-Unterorganisationen; Rotes Kreuz; Ärzte ohne Grenzen; Dänische Flüchtlingshilfe; Amnesty International; Human Rights Watch); private Webseiten und Blogs, Facebook- und Twitteraccounts – dort gewissermaßen Meldungen manchmal fast „in Echtzeit“.

Nach den Gründen, warum die Mainstreammedien hier so offensichtlich versagen, bleibt zu fragen; hierzu unten mehr.

2.) Das Versagen der Mainstreammedien: Deutschsprachig

Bislang sind wir bei unserer Betrachtung im Wesentlichen bei englischsprachigen „Mainstream“- und sonstigen Medien geblieben. Richtig jämmerlich wird es aber dann, wenn wir uns dem deutschen bzw. deutschsprachigen Medienecho des Jemenkrieges zuwenden. Zu bedauern sind diejenigen, die ernsthaft ein Bild dieses Krieges gewinnen wollen und aus Bequemlichkeit oder wegen mangelnder Englischkenntnisse sich auf deutschsprachige Medien beschränken oder beschränken müssen.

Und hier noch einmal mehr die „klassischen“ Zeitungsleser und Fernsehzuschauer, die glauben, mit „Bild, BamS und Glotze“ - oder auch mit „Zeit“, „Süddeutscher“ und „heute journal“ (wahlweise Tagesschau) gut informiert zu sein.

Im Vergleich zu den deutschsprachigen Mainstreammedien ist selbst das, was man über die englischsprachigen Pendants erfahren kann, noch geradezu eine umfangreiche Berichterstattung. „Fehlanzeige“ ist auf Deutsch eigentlich Dauerzustand. Themen, die in englischsprachigen Medien ausführlich berichtet werden, sind in den deutschsprachigen oft genug nur durch dürre kurze Agenturmeldungen vertreten, oder sie fehlen völlig. Dazu weiter unten einige Beispiele.

Es ist daher nicht verwunderlich, wenn der Jemenkrieg in der deutschen Öffentlichkeit überhaupt nicht präsent ist. Wenn dann doch einmal einer der (sehr seltenen) etwas längeren Artikel anzutreffen ist, dann hat sich der Verfasser in der Regel genötigt gefühlt, einen großen Teil des verfügbaren Platzes dafür zu opfern, die Grundzüge dieses Konflikts „von Adam und Eva“ an erneut zu schildern – oft genug auch noch mit den immer wiederholten Stereotypen der pro-saudischen Propaganda versehen („die vom Iran unterstützten Huthi-Rebellen“ u. ä.). Für mehr, geschweige denn für Analysen und Hintergründe, ist kein Raum, wo schon die grundlegenden Fakten selten referiert werden.

Anders als im Englischen treten im Deutschsprachigen die sonstigen Medien nur im wesentlich geringeren Umfang zu den Mainstreammedien hinzu. Die oben genannten verschiedenen sonstigen und alternativen Medien sind fast alle nur englischsprachig; allein russische (RT; Sputnik) und iranische (Iran German Radio; Pars Today) gibt es teilweise auch auf Deutsch.

Und aus dem deutschsprachigen Raum selbst gibt es als Ergänzung zu den dürftigen Mainstreammedien so gut wie nichts. Es ist schade, wenn internationale Organisationen, die doch dort alle auch ihre Vertretungen haben (UN und ihre Hilfsorganisationen; Human Rights Watch; Amnesty International; Ärzte ohne Grenzen u. a.), den deutschsprachigen Raum mit immerhin 95 Millionen Menschen für nicht wichtig genug halten, um ihre wichtigen Berichte auch in deutscher Übersetzung ins Internet zu stellen.

Zu den „Versagern“ unter den sonstigen Medien in Deutschland, was die Aufmerksamkeit für den Jemenkrieg angeht, gehören leider immer auch noch die „Nachdenkseiten“.

3.) Andrea Backhaus in der „Zeit“ zur Nahost-Berichterstattung

Warum nun, müssen wir uns fragen, versagen die Medien (und hier geht es um die „klassischen“, d. h. die Mainstreammedien (deutsch- wie englischsprachig, gedruckt und Internetableger) so eklatant, wenn es um den Jemenkrieg geht?

Dafür hilfreich ist der Blick auf einen bei „Zeit Online“ am 26. Mai 2016 erschienenen Artikel der freien Journalistin Andrea Backhaus, der zu analysieren versucht, warum (nicht speziell für den Jemenkrieg, aber natürlich auch und ja in besonderem Maß für diesen) die Berichterstattung über den Nahen Osten in unseren Medien so unzureichend ist. Hier erst einmal einige wesentliche Gedanken von Andrea Backhaus:

Diese lauten, unscharfen Bilder

Nie war es wichtiger, die Vorgänge im Mittleren Osten zu verstehen. Doch die Berichterstattung wird schwieriger. Repressionen und Stereotypen verzerren die Wahrnehmung.

Ausländische Journalisten werden in einige Länder gar nicht mehr gelassen, vielen der Zugang zu Informationen extrem erschwert. Und damit wird das Bild dieser Region in den westlichen Medien immer unschärfer.

Dabei sind der Nahe und Mittlere Osten in den Schlagzeilen gut vertreten, mindestens seit Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings. Als die jungen arabischen Aktivisten in den Straßen von Tunis, Kairo und Damaskusfür soziale Gerechtigkeit und Freiheit demonstrierten, erkämpften sie sich auch ihren Platz im vormals dem Westen vorbehaltenen demokratischen Diskurs.

Nun aber scheinen wir Zeugen eines aufmerksamkeitsökonomischen Rückfalls zu sein. Libyen, wo seit dem Sturz Gaddafis vor fünf Jahren ein brutaler Machtkampf herrscht, ist für die westliche Öffentlichkeit eine Blackbox. Weil Journalisten nur unter großer Lebensgefahraus dem dortigen Bürgerkriegberichten können, gibt es so gut wie keine Informationen aus dem Land.

Ähnlich ist es in Syrien: Weil es nur sehr wenigen unabhängigen Beobachtern gelingt, in das vom Krieg zerrüttete Land zu kommen, lassen sich die wenigsten Aussagen der Kriegsparteien und der Zivilisten prüfen. Der Jemen, wo sich Huthi-Rebellen und Anhänger des Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi bekämpfen, wird wegen der spärlichen Informationslagein der westlichen Welt nahezu vergessen. Doch selbst in Ländern, wo formal Frieden herrscht, wird der Zugang zu Informationen für westliche Berichterstatter immer schwieriger.

"Der Zugang ist im Mittleren Osten vielfach repressiver geworden. Einige Regierungen wollen offensichtlich verhindern, dass ihr oft menschenrechtswidriges Verhalten bebildert wird", sagt der Politik- und Medienwissenschaftler Kai Hafez von der Universität Erfurt. Laut Hafez fördert unsere politische Kultur diese Entwicklungen; denn Konsequenzen hat die rigide Einschränkung der Meinungsfreiheit für viele Staaten des Mittleren Ostens nicht – im Gegenteil.

Ob diese politischen Zwänge allerdings bedeutsame Folgen für den westlichen Blick auf diese Länder haben, stellt Medienwissenschaftler Hafez in Frage. "Wir produzieren auch ohne diese Repressionen sehr fragmentarische Weltbilder", sagt er. "Wir bilden von den Vorgängen in diesen Ländern nur die Spitze des Eisbergs ab. Alles andere bleibt uns verborgen."

Vielmehr führt auch der westliche Blick selbst häufig zu einem verzerrten Bild der Region. "Die Auslandsberichterstattung ist vielfach viel zu selektiv, krisenorientiert und kurzatmig", sagt Hafez. So seien meist Konflikte oder Kriege Aufhänger für Berichte aus den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens – sonst fielen sie aus dem Sichtfeld. Nur wenn Dinge geschehen, die aus westlicher Sicht überraschend sind, sorgt das kurzzeitig für mediale Aufmerksamkeit.

Dass viele westliche Medien an der Oberfläche der großen Ereignisse bleiben, statt dauerhaft über die widersprüchlichen gesellschaftlichen Realitäten aufzuklären, liegt auch an den begrenzten Ressourcen vieler Medien. Aus Kriegsgebieten zu berichten, ist gefährlich.

So lässt sich eine paradoxe Medienentwicklung beobachten: Zwar verbreiten sich Inhalte immer schneller, können Videos und Fotos, etwa aus dem Syrien-Krieg, auf Facebook oder Twitter innerhalb von Sekunden hochgeladen oder Livevideos von Kampfhandlungen aus Aleppo fast in Echtzeit direkt in die Zimmer getragen werden. Doch erleben zugleich immer weniger Berichterstatter die Realität vor Ort. Es fehlt ihnen das direkte Erleben.

http://www.zeit.de/politik/ausland/2016-05/mittlerer-osten-medien-bilder-journalismus/

4.) Mainstreammedien und die „Essentials“ der US-Interessen

So stimmig und zutreffend alle diese Aussagen auf den ersten Blick erscheinen – die Autorin blendet freilich einen ganz wesentlichen Punkt konsequent aus: die enge weltanschauliche, ja propagandistische Ausrichtung fast ausnahmslos aller westlichen Mainstreammedien, egal ob in den USA oder Europa, egal ob deutsch-, englisch- oder sonstwie -sprachig.

Es ist leider keine neue Erkenntnis, dass man bei uns im Westen nur noch begrenzt von einer „freien Presse“ sprechen kann. Ja, über Vieles kann weitgehend frei und kritisch berichtet werden und wird es auch. Hier zwei Beispiele aus der „Zeit“: „Multiples Versagen“ (kriminelle Machenschaften eines Herstellers künstlicher Gelenke zum Schaden der Patienten; 25. Mai 2016, S. 26–27) und „Hier fischen sie mit Dynamit“ (Umweltzerstörung in Indonesien, 7. April 2016, S. 27–28).

Aber bei zwei Themenkomplexen im weitesten Sinne ist in der Regel beim Mainstream „Schluss mit lustig“: bei dem, was Robert Parry kürzlich in „Consortium News“ als die beiden „Neos“ bezeichnet hat, die immer noch unser Leben bestimmen und die allgemein mit der größten Selbstverständlichkeit als „alternativlos“ genommen werden: „Neo-liberal“ und „Neo-con“.

Die „neoliberale“ Ausrichtung der ganzen Gesellschaft, des gesamten Sozial- und Wirtschaftssystems darf nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Wer das tut, steht sofort außerhalb des vom politischen und medialen Mainstream abgesteckten Rahmens des (zu denken und zu äußern) Zulässigen. Er stellt sich damit in ein Abseits, in dem man auf Argumente nicht mehr hören muss, sondern personalisiert jemanden etikettieren und erledigen kann.

„Neocons“ stehen in den USA für die Vertreter einer interventionistischen US-Außenpolitik, die die weltweite Vorherrschaft der USA zum Ziel hat. Sie versucht dieses Ziel zu erreichen mit direkten Militärinterventionen, mit der Förderung von Militärputschen (die harte Tour, Standard der 1950er bis 1980er Jahre, jetzt aus der Mode gekommen,es geht auch sanfter), oder mit mehr oder weniger aktiv betriebenen und geförderten „Regime Changes“. Diese sind in unserer Zeit das Mittel der Wahl. Hierfür bedient man sich entweder als „Zivilgesellschaft“ deklarierter, selbst ins Leben gerufener oder geförderter Organisationen im jeweiligen Land (sanftere Tour) oder versorgt Rebellengruppen mit Waffen (härtere Tour).

Beides – eine Außenpolitik à la Neocon, wie sie im Übrigen unter Obama nicht anders als zuvor, nur mit etwas feineren Methoden, betrieben wird, und eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung weltweit – liegen im elementaren Interesse der USA und ihrer Eliten in Politik, Wirtschaft und Militär (und der Eliten anderer Länder wie auch des unsrigen, deren Interessen damit auch sehr gut bedient werden).

Im Zusammenhang mit dem Nahen Osten und dem Jemenkrieg interessiert hier vor allem die US-Außenpolitik, auf deren Linie die Mainstreammedien weitgehend unisono liegen. Allenfalls verhaltene Einwände im Detail, die aber das Gesamtbild nicht ankratzen, sind hier denkbar. Sie mögen den Eindruck einer objektiven und kritischen Haltung erwecken (ein solcher Eindruck wäre ja auch erwünscht), lösen diesen Anspruch aber nicht ein. Das ist alles nichts Neues, wurde vielfach analysiert und beschrieben.

Eine wesentliche Schwachstelle der gesamten westlichen vor allem Nahost-, Russland- und Ukraineberichterstattung ist das eigene propagandistische Korsett, das nicht abgelegt werden soll oder darf, da hier eines der beiden „Essentials“ der US-Interessen berührt wird. Natürlich gibt es bei uns keine direkte Presselenkung wie in einer Diktatur („Gleichschaltung der Presse“), aber die systematisch betriebene Einbindung von führenden wie von vielversprechenden jungen Journalisten und Presseleuten in transatlantische Strukturen und Netzwerke reicht völlig aus, um diesen gewünschten Effekt zu erzielen.

Die immer prekärere und abhängigere Stellung der meisten Medienmitarbeiter tut ein Übriges, um ein Abweichen von dem aus der Chefetage, den Kollegen und den anderen Medien vorgegebenen Mainstream, zumal bei den beiden „Essentials“, nicht ratsam erscheinen zu lassen. All das ist nichts Neues, es ist allgemein bekannt und vielfach untersucht und beschrieben.

5.) Mainstream-Propaganda: Ukraine und Syrien

Gerade die „Zeit“ hat sich in den letzten Jahren als ein transatlantisches Kampfblatt erwiesen, dass einem beim Lesen oft genug der Atem stockte. Besonders schlimm war es auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise 2014–2015, ist es nach wie vor in der Berichterstattung über Russland. Ja, auf dem Höhepunkt der Ukrainekrise reichten der „Zeit“ nicht einmal Verherrlichung, Rechtfertigung und simple Propaganda, man betrieb auch gleich aktive Kriegshetze.

Zu einem Zeitpunkt, an dem die Artillerie der ukrainischen Armee und sonstiger ukrainischer Milizen ohnehin schon Städte und Ortschaften in der Ostukraine in Schutt und Asche legte und täglich zahlreiche Tote und Verletzte zu beklagen waren, erklärte Carsten Luther am 30. Juli 2014 auf „Zeit Online“, es gäbe „keine andere Option“ als eben diese Militäroffensive, und am 10. Februar 2015 – der Artilleriebeschuss war wieder voll aufgeflammt – behauptete Steffen Dobbert am 10. Februar 2015 auf „Zeit Online“, „Es braucht Waffen, um diesen Krieg zu beenden“, man müsse „die Ukrainer [die gerade den Osten weiter in Trümmer schossen] mit Waffen stärken“.

Das sind nur zwei Beispiele für Kriegshetze aus der „Zeit“, weitere ließen sich sicher finden. Die Berichterstattung einer Alice Bota (auch hier) aus diesem Krieg bleibt ebenfalls kein Ruhmesblatt für diese Zeitung, u. a. m. Zeitweise hätte man die ersten sechs Seiten der „Zeit“ sofort als pure Propaganda überschlagen und mit dem Lesen erst auf Seite 7 anfangen müssen, wie zu Honeckers Zeiten mit der SED-Presse.

Nun, eine solche Berichterstattung, die in dieser Art ja keineswegs auf die „Zeit“ beschränkt blieb und bleibt, lag und liegt voll und ganz auf der Linie der außen- bzw. geopolitischen Interessen der USA bzw. ihrer Eliten, die in der Ukraine (natürlich unter Ausnutzung der selbst freilich auch nach den ersten Anfängen schnell beförderten dortigen Ausgangslage mit den Protesten auf dem Maidan gegen Präsident Janukowitsch) aktiv einen „Regime Change“ betrieben haben. Das ist ja nun nichts Neues.

Ein „Regime Change“ im Interesse der US-Geopolitik war seit mindestens zehn Jahren auch in einem Land wie Syrien angesagt (nur zwei ältere Artikel; es gäbe noch viel mehr: https://www.freitag.de/autoren/dklose/der-westen-und-der-buergerkrieg-in-syrien; https://www.freitag.de/autoren/dklose/die-amerikanische-hand-im-syrienkrieg). Das Bündnis des Landes mit dem Iran wie mit Russland, eine eher harte Haltung gegenüber Israel (obwohl Friedensverhandlung zuletzt schon weit fortgeschritten waren), und eine sehr große Zurückhaltung gegenüber internationalen Unternehmen machten Syrien „reif“ dafür, keineswegs irgendwelche menschenrechtlichen Vorbehalte gegen die Assad-Herrschaft.

In medialer und propagandistischer Vorbereitung dazu wurde nun Präsident Assad, im Gegensatz zu seinem Vater ein weicher und nachgiebiger, ein eher zweitklassiger Schwellenlanddiktator, wie es sie zu mehreren Dutzend geben dürfte, zu einem sogar mit Adolf Hitler auf eine Stufe zu stellenden Tyrannen-Popanz aufgebaut. Das alles geschah innerhalb eines kurzen Zeitraums, den geänderten Erfordernissen der US-Geopolitik folgend.

Die EU war mit dabei: Ein Wirtschaftsembargo sollte das Land in wirtschaftliche Schwierigkeiten bringen und so die Bevölkerung gegen die Regierung in Stellung bringen – ein Kalkül, das dank einer Missernte auch noch beschleunigt aufging. Militante „Oppositions“-gruppen, tatsächlich oft beinharte Islamisten, wurden bewaffnet und aktiv unterstützt.

Der Rest ist Bürgerkrieg, Fassbomben (ja, die von Assad, im Übrigen weniger schlimm als das, was die USA und EU-Länder wie Großbritannien und Deutschland/Italien den Saudis für ihr Bombardement des Jemen liefern und worüber unsere Mainstreammedien kaum je ein Wort verlieren), Giftgas (nach den Recherchen von Samuel Hersh, hier und hier und hier und hier, offensichtlich oder möglicherweise doch von der sog. „Opposition“ und nicht von der Assad-Regierung eingesetzt), Jihadismus, Massaker, religiöser Hass, IS, Bombardierungen, ein zerstörtes Land, 250.000 Tote, viele Millionen Vertriebene und Flüchtlinge, Erdogansche und saudische Machtpolitik, Hereinziehen von Syrien in den iranisch-saudischen Machtkampf.

Die „Zeit“ hat auch diesen „Regime Change“ ganz im Sinn der USA propagandistisch begleitet. So wäre etwa ein ausführlicher Artikel von Andrea Böhm (mehr als zehn Jahre lang als freie Journalistin in New York für verschiedene deutsche Zeitungen) in der Druckausgabe vom 25. Februar 2016 zu nennen, der den Syrienkrieg erklären soll („Überall Feinde“, S. 3–4, mit „Die Kriegsherren“, S. 5). Dieser Artikel strotzt geradezu vor transatlantischer Propaganda, er wäre eine Satz-für-Satz-Analyse allemal wert gewesen. Leider fehlte die Zeit! (Von Andrea Böhm stammt freilich auch einer der seltenen Berichte über den Jemen).

In der Zeit vom 25. Mai 2016 berichtet Jörg Lau (transatlantische Vernetzung laut Wikipedia: 2000 Fellow des German Marshall Fund in Washington; im Herbstsemester 2008 visiting scholar am Center for European Studies der Harvard-Universität; dazu siehe unten) von einem Besuch im Iran („Wir müssen reden“, S. 3) und einem Streitgespräch mit Mohammed Chodadi, dem Leiter der iranischen Nachrichtenagentur IRNA.

Chodadi „schenkt den Besuchern aus dem Westen ordentlich ein“, so Lau, diese revanchierten sich dann mit ihrer eigenen überzogenen Anti-Assad-Propaganda, in die sie sich selbst offenbar völlig versponnen haben. Auch das Propagandamärchen, die USA hätten unter Obama ihr Engagement im Nahen Osten zurückgefahren, wurde gedankenlos aufgetischt (dabei sind nur die Methoden der USA „softer“ geworden, und auch das nur, wenn man vom Drohnenkrieg absieht; immerhin ist die USA jetzt in den fünf Ländern Afghanistan, Irak, Syrien, Jemen und Libyen am Krieg beteiligt). Man hätte den Iraner selbst wesentlich intelligenter als ausgerechnet mit solcher Propaganda kontern können, war aber dazu nicht willens oder gar nicht mehr in der Lage.

Halten wir fest: Über die Ukraine und Syrien wurde bzw. wird in unseren Mainstreammedien sehr viel berichtet – Dan Kovalik spricht (siehe oben) von „fast täglicher Trommelschlag“ und „zwanghafter Aufmerksamkeit“, freilich ganz mit propagandistischer Ausrichtung. Tatsachen, die dazu im Widerspruch stehen, werden – trotz der großen Aufmerksamkeit, die dem betreffenden Land gerade zuteil wird – weitgehend unter den Teppich gekehrt, wie die Beschießungen der Städte und Ortschaften in der Ostukraine durch die ukrainische Armee und Milizen 2014–2015. Was nicht in die Propaganda passt, wird eben weggelassen. Das ist so bei Schauplätzen, von denen viel (einseitiges) zu lesen ist, wie bei solchen, von denen man kaum etwas zu lesen bekommt.

6.) Unsere Medien in Nahost: Keine eigenen Leute vor Ort

Wenn Andrea Backhaus in der „Zeit“ beklagt, dass die Berichterstattung aus vielen Ländern gerade im Nahen Osten gefährlich sei, ist natürlich richtig. Freilich: Diktaturen, die die Arbeit ausländischer Journalisten behindern, und Kriege, in denen es für Journalisten wirklich gefährlich wird, hat es schon immer gegeben.

Und was hat RT, was andere nicht haben? Da waren immer wieder (todesmutige, muss man so sagen) Journalisten (und Journalistinnen!) an verschiedenen Orten in vorderster Front mit ihrer blauen Presse-Splitterschutzweste zu sehen. Da sind Teams von Vice News in der Ukraine an der Frontlinie gewesen und beschossen worden, wurden von den „Separatisten“ eingesperrt. Da waren während der Kämpfe in der Ukraine auf der Seite der „Separatisten“ zwei „free-lancer“ Berichterstatter aus Deutschland und Großbritannien (Mark Bartalmai und Graham Phillipps) unterwegs, im Bombardement in Donezk oder ganz vorne an der Kampflinie. Welches Mainstreammedium wollte ihre Berichte aus erster Hand haben? Da hatte die BBC während der Zeit der schlimmsten Luftangriffe einen eigenen Mann in Sanaa im Jemen vor Ort.

Da gibt es mit Karin Leukefeld eine deutsche Journalistin, die in Syrien immer wieder vor Ort war (vielleicht gerade wieder einmal ist), da gibt es andere, für die ein solcher Auftrag Abenteuer, Nervenkitzel, Herausforderung oder auch Berufung wäre. Aber weder eine Karin Leukefeld noch gar etwa ein Martin Lejeune würden entsprechend der propagandistischen Erwartungen berichten.

Jemand, der den Mut hat, sich in einem Krieg die Bomben um die Ohren fliegen zu lassen, kann nur ein Individualist sein und jemand, der sich nicht so leicht in Furcht versetzen lässt. Sicherlich werden so jemandem die Sprachregelungen und die ideologischen Denkbarrieren einer transatlantisch vernetzten Chefredaktion herzlich egal sein. Sicherlich wird so jemand die unter hohem persönlichen Risiko recherchierten Fakten und den vor Ort gewonnenen Standpunkt kaum nach der propagandistischen Linie einer Chefredaktion im weit vom Ort des Geschehens entfernten Hamburg selektieren und verbiegen lassen wollen.

Als zuverlässiger Propagandist des transatlantischen Mainstreamstandpunkts wird sich so ein Korrespondent aus dem Krisengebiet, sei es im Jemen oder sonstwo, kaum eignen. Eigensinnig und damit weltanschaulich unzuverlässig wäre er / sie auf jeden Fall. Das mag dann den Drang, jemanden vor Ort zu schicken und direkt von dort aus erster Hand berichten zu lassen, schon deutlich mindern.

Dann doch lieber ein aus internationalen Agenturmeldungen abgeschriebener oder zusammengeschusterter Aufguss aus zweiter oder dritter Hand, aber im Rahmen des Erwünschten und politisch korrekt. Im besten Fall ein „Korrespondent“, wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk täglich zu bewundern, der vom Balkon des Fünfsternehotels in Kairo oder Amman von „vor Ort“ berichtet, aber davon nicht weniger weit entfernt ist, als säße er in Hamburg oder Wanne-Eickel.

Andrea Backhaus nennt in diesem Zusammenhang als weiteres Problem, dass die verfügbaren Mittel für die Medienhäuser deutlich knapper sind, so dass man sich nicht mehr so leicht Korrespondenten in aller Welt leisten kann. Das stimmt freilich, hat aber auch Gründe, an denen die Medien selbst schuld sind. Warum sollte ich eine Zeitung kaufen, wenn ich weiß, dass ich mehrere Seiten ganz offensichtlicher transatlantischer Propaganda gleich überschlagen kann? Für die Erstverwendung als Gemüseverpackung oder Unterlage bei Malerarbeiten sind die Zeitungen schlicht zu teuer.

Wie wäre es denn – ein freundschaftlicher Vorschlag – wie üblich transatlantisch bestens vernetzte und (kaum gerechtfertigt) als „Edelfedern“ hochstilisierte, ein Blatt im Doppel-Neo-Konnex (s. oben) erstarren lassende alte Herren wie Josef Joffe (nehmen wir ihn, um bei der „Zeit“ zu bleiben; transatlantische Vernetzung, Mitgliedschaften, Funktionen, Teilnahmen, wohl nur Auszüge, laut Wikipedia: Aspen Institute Berlin, Atlantik-Brücke, Hoover Institution, American Academy in Berlin; Mitglied im Verwaltungsrat des Leo Baeck Institut New York; Beirat der Goldman Sachs Foundation, Mitglied der Trilateralen Kommission, des International Institute for Strategic Studies und der Münchner Sicherheitskonferenz. 2006 nahm er an der Bilderberg-Konferenz teil. Beirat des Aspen Institut, Autor und im Vorstand im American Institute for Contemporary German Studies und Mitglied der Atlantik-Brücke e. V.; Mitglied in den folgenden Redaktionsbeiräten: „International Security“ [Harvard/MIT],The American Interest“[Washington]) endgültig in den Ruhestand zu verabschieden und dafür einige junge Leute in die wichtigsten Krisenherde der Welt zu schicken?

Zum Abschluss: Die ideologisch-propagandistische Festlegung auf die „Essentials“ der vor allem amerikanischen Eliteninteressen hat auch einen entscheidenden Einfluss darauf, wer für die Medien aus aller Welt berichtet oder (mittlerweile in den meisten Fällen) eben nicht berichtet.

7.) Auch vom Büro in Hamburg oder sonstwo aus: Besserer Journalismus ist möglich

Auch vom sicheren „Zeit“-Büro in Hamburg aus wäre freilich ein besserer Journalismus möglich. Die fehlenden eigenen Leute vor Ort können keine Entschuldigung für das eklatante Versagen der Medien in der Nahost-Berichterstattung (wie in anderen Bereichen) sein. Der springende Punkt ist hier auch wieder die Anpassung an die „Essentials“ einer Gesellschafts-, Wirtschafts-, Sozial- und vor allem Außen- und Militärpolitik im Sinn der Vorgaben der Interessen der US- und anhängender Eliten.

Mit der eigentlichen Arbeit von Journalisten – kritische Sichtung und Analyse aller Quellen unter Umgehung aller speziellen Interessen und ohne eine an diese angelehnte propagandistische Agenda – hat das, was wir täglich oder wöchentlich zu lesen bekommen, herzlich wenig zu tun. Egal ob über ein Thema viel berichtet wird, d. h. im Klartext, ob hier viel Propagandabedarf besteht (wie Ukraine; Syrien), oder man es links liegen lässt wie den Jemen, diese kritische Sichtung und Analyse der Quellen findet nicht statt. Für eine solche in der Wolle propagandistisch gefärbte Berichterstattung greift man dann gerne auf in das eigene Propagandaschema passende „Informationen“ bzw. Propaganda aus zweiter und dritter Hand zurück.

Ein schönes Beispiel ist der Umgang mit dem ominösen „Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte“, was sich bombastisch anhört, aber nicht mehr ist als ein Ein-Mann-Unternehmen in einem Reihenhaus in Coventry in England. Hierzu siehe auch hier und hier und hier und vor allem auch hier. Von dort wird auch jede Menge gänzlich unbelegter Behauptungen verbreitet, gerne auf „Aktivsten“ zurückgeführt, hinter denen sich oft genug knallharte Jihadisten (mit klaren propagandistischen Interessen) verbergen. Unsere Medien nehmen’s gerne.

Was nicht in das Propagandaschema passt, wird weggelassen.

Anders als über den Syrienkrieg wird, wie bereits erwähnt, über den Jemenkrieg kaum berichtet. Nun, auch für den Jemenkrieg ließe sich von Hamburg aus eine wesentlich bessere Berichterstattung machen. Das Internet bietet, wenn auch reichlich verstreut, (englischsprachiges) Material genug dafür, trotz der in Abschnitt 1.) besprochenen Defizite.

Und so verstreut ist dieses Material im Grunde auch nicht mehr: In mittlerweile 152 „Yemen Press Reader“ habe ich seit dem 24. Juni 2015 (mit zwei Vorläufern am 1. und 4. April 2015) einen großen Teil des im Internet verfügbaren relevanten Materials zusammengestellt. Bei etwa 30 einzelnen Verlinkungen pro „Yemen Press Reader“ dürften das bis jetzt 4.000 bis 5.000 einzelne Links zu Analysen, Berichten, Kommentaren, Meldungen aus dem Jemen sein: nicht genug für die Mainstreampresse, um damit etwas anzufangen?

Wenn man gelegentlich einmal mit Google nach Neues zum Jemen sucht (mit Datumsangabe; Letzte 24 Stunden; Letzte Woche o. ä.; Yemen = englischsprachig; Jemen = deutschsprachig), findet man auf den ersten Trefferseiten Vieles. Dabei zwangsläufig, da der „Freitag“ im Google-Ranking immer weit vorne steht, einen der im Schnitt alle zwei Tage neu erscheinenden „Yemen Press Reader“. Und damit hätte man gewusst, wie viele es schon gibt und dass spätestens in zwei Tagen wieder etwas Neues kommt.

Aber offenbar macht sich im sicheren Redaktionsbüro irgendeines Mainstreammediums niemand die „Mühe“ (dieses Wort hierfür wirklich in Anführungszeichen zu schreiben), einmal nähere Informationen über den Jemenkrieg aus dem Internet zu googeln. Wenn das schon zu viel ist… (oder steckt noch etwas anderes dahinter?). Die Klage von Frau Backhaus sei hier also nicht akzeptiert, zu eklatant zeigt sich hier wieder das eigene Versagen im schönen Hamburger „Zeit“-Büro oder auch im kriegsfernen Kairo.

8.) Nahostkriege und Jemenkrieg im Besonderen als moralischer Bankrott des „Westens“

Warum ist der Jemenkrieg so wenig Thema? Seien wir kritisch: Der Krieg in Afghanistan, der Irakkrieg, der Syrienkrieg, der Krieg in Libyen wie auch der Jemenkrieg sind nicht nur militärische und politische, sondern auch moralische Bankrotte des „Westens“. Die Propaganda müht sich redlich an solchen außenpolitischen Themen ab, indem sie Bösewichte aufbaut (die Taliban; Saddam Hussein; Bashar Al Assad; Muammar al-Gaddafi; hier auch anzuführen: Wladimir Putin), die alle natürlich wenig erfreuliche Erscheinungen sind. Der „Westen“ selbst hat sie freilich zu früheren Zeiten benutzt, hofiert und gestützt, manchmal sogar selbst aufgebaut. Nun haut die Propaganda kräftig auf sie drauf, und sie müssen die zur Rechtfertigung aller westlichen Interventionen herhalten. Natürlich müssen daneben auch „unsere“ Leute als „good guys“ stilisiert werden – heraus kommt eine Berichterstattung alias Propaganda mit der Intelligenz und dem Differenzierungsvermögens eines Westernfilms.

Doch gerade im Jemenkrieg könnte der „Westen“, der sich ja in vielerlei Weise eingemischt hat, auch mit der schönsten Propaganda moralisch keinen Blumentopf gewinnen. Allein der Westen hat den zerstörerischen Luftkrieg der Saudis möglich gemacht: durch jahrzehntelange Waffenlieferungen, durch die ständige politische Unterstützung auf der internationalen Bühne, durch die Ausbildung saudischer Kampfpiloten, durch eigenes Personal im saudischen Luftwaffenzentrum wie am Boden; durch das Auftanken der saudischen Kampfflugzeuge in der Luft; durch Beteiligung der eigenen Marine an der Seeblockade des (Nord-)Jemen.

Und es war auch von Anfang an der „Westen“, der den Weg in dem jemenitische Katastrophe mit geprägt hat: durch Wegschauen bei allem, was die Saudis im Jemen gemacht haben; durch die jahrzehntelange Zusammenarbeit mit dem Regime von Ex-Präsident Saleh; durch den Drohnenkrieg; durch die Neutralisierung des „Arabischen Frühlings“ im Jemen, in Zusammenarbeit mit den Saudis und ihren Verbündeten am Golf, um durch einen kontrollierten Übergang von Saleh auf den eigenen Wunschkandidaten, dessen Vize Hadi, die Entwicklung im Land weiter unter Kontrolle zu behalten.

Und, es gibt im Jemen niemanden (unter den Gegnern der US-Interessen), den man so recht zum „Bösewicht“ stilisieren könnte. Gegen Al Qaida geht es jetzt nicht – wer soll dann den Bösewicht machen? Die Huthis taugen nicht recht dazu, diese Mischung aus Jihadisten und Che Guevara, wie sie einmal jemand genannt hat. Dann eher die Iraner als die angeblichen Strippenzieher im Hintergrund (was sie nicht sind, aber das kann ja einer Propaganda egal sein).

Aber dazu taugen sie in diesem Fall auch nicht recht, müssten dann doch für unsere Propaganda auf der Gegenseite ausgerechnet die Saudis als unsere „good guys“ aufgebaut werden. Diese Konstellation kann nicht einmal die westliche Propaganda zaubern. Wenig erfreuliche islamische bis islamistische Theokratien sind beide, die Saudis freilich in jeder Hinsicht noch undemokratischer, noch bornierter, noch frauenfeindlicher, noch radikaler, noch intoleranter.

Und sind es doch im Jemen nun einmal unsere guys, die Saudis, die das halbe Land in Schutt und Asche bomben, die Iraner begnügen sich weitgehend mit der Rolle des kommentierenden Zuschauers, der seinem Favoriten ab und zu einmal eine Kleinigkeit zusteckt. Das kann auch die beste Propaganda nicht umdrehen.

Und, noch etwas: Russland ist hier überhaupt nicht beteiligt, und damit entfällt noch ein weiterer Grund für westliche Propaganda und Aufmerksamkeit überhaupt.

Wie gesagt, im Jemenkonflikt gibt es für westliche Propaganda nichts zu gewinnen. Bei jeder Thematisierung des Jemen steht der „Westen“, den geopolitischen Interessen der USA treu ergeben, schlecht da. Da lässt man es dann lieber so gut es geht ganz sein mit der Berichterstattung.

9.) Das Schweigen der deutschsprachigen Medien zum Jemenkrieg: Beispiele

Hier noch einige Beispiele aus der letzten Zeit, bei denen auf Englisch ausführlich über den Jemen berichtet wurde und auf Deutsch nur Fehlanzeige zu vermelden ist:

1.) Ausgezeichnete ausführliche Analyse des Jemenkonflikts von Peter Salisbury, worüber auch andere Medien zusammenfassend berichtet haben. Auf Deutsch: Null (YPR 149, cp1).

2.) Die Verwendung britischer Streubomben im Jemen und die Opfer von Streubomben: Ausführliche Berichte von Amnesty International, von anderen Medien aufgegriffen. Auf Deutsch im Mainstream gar nichts, kurze Berichte von Sputnik News und einer iranischen Agentur, einen Tag später ein Kurzbericht auf Swiss.info, freilich so oberflächlich, dass nicht einmal Amnesty International als Hauptquelle erkannt wurde (YPR 148, cp1).

3.) Berichte über einen Wandel der saudischen Haltung zum Jemen und zu den Huthis, was iranische Medien nach Angaben des bekanntesten saudischen Whistleblowers (und Asia News) melden, Auf Deutsch: Null (YPR 149, cp1; YPR 148, cp1).

Schauen Sie sich einfach ein paar Yemen Press Reader an und sehen Sie, was Sie auf Englisch und im Vergleich dazu auf Deutsch mitbekommen…

10.) Jemen ein Einzelfall? Das Schweigen der deutschsprachigen Medien zu Brasilien

Ist es nun ein bedauerlicher Einzelfall, dass der Jemenkrieg in den deutschsprachigen Medien noch mehr vernachlässigt wird als in den englischsprachigen? Offensichtlich leider nein. Reisen wir dazu um die halbe Welt und von einem kleinen und bettelarmen Land in das an Fläche wie an Einwohnerzahl fünftgrößte, nach dem Bruttosozialprodukt siebte Land der Erde: nach Brasilien.

Dort wurde Präsidentin Dilma Rousseff durch eine Art parlamentarischen Putsch von ihrem Amt suspendiert – von einem Parlament, von dessen Abgeordneten gegen gut die Hälfte wegen Korruption ermittelt wird, den an Rousseffs Stelle tretenden Vizepräsidenten Temer eingeschlossen. Die von Temer neu ernannte Regierung, ausschließlich aus Vertretern der alten reichen Oberschicht gebildet und selbst reichlich korrupt, versucht nun, in kürzester Zeit das Land einer neoliberalen Radikalkur und Privatisierungsorgie zu unterziehen, bei der es Milliarden abzugreifen gibt: vor allem für ihre Schicht selbst, natürlich.

Dann tauchten Gesprächsmitschnitte auf, die zeigen, dass der Hintergrund des Putsches gegen Rousseff weniger deren eigene Verfehlungen waren als die Absicht der Komplotteure, die gegen sie selbst laufenden Korruptionsverfahren nach der Beseitigung der Präsidenten abwürgen zu können.

Und was den Skandal noch vervollständigt und quasi internationalisiert, sind die offensichtlichen Verbindungen der USA zu „Putschisten“-Präsident Temer und die Interessen an diesem Machtwechsel. Hatte sich doch Rousseffs Brasilien mit Russland, Indien, China und Südafrika unter dem Akronym der BRICS-Staaten verbündet, fünf aufstrebende Schwellenländer, die ein Gegengewicht zur USA und zum „Westen“ bilden wollen. Und das geht ja nun schon gar nicht. Jetzt ist es nur noch RICS. Mission accomplished.

Und was machen nun die deutschen Mainstreammedien aus diesem abenteuerlichen Skandal von Komplott, Korruption, ausländischer Einmischung und Abzocke? Da offensichtlich elementare Interessen der USA berührt sind: Ball flachhalten!

27. Mai 2016 – Nachdenkseiten

Das Schweigen zum Putsch in Brasilien

Was in diesem Monat in Brasilien geschah, wurde dem deutschen Medienpublikum als eine der üblichen politischen Krisen in Südamerika präsentiert. Doch seit den jüngsten Enthüllungen vom Montag dieser Woche kann man die Vorgänge dort, im fünftgrößten Staat der Erde, kaum mehr anders, denn als einen Putsch bezeichnen, ausgeführt von konservativen, zum Teil korrupten Kräften. Doch davon erfuhr man hierzulande nur in kurzen Agenturmeldungen oder aber gar nicht – wie etwa bei Spiegel Online, ARD und ZDF – von Paul Schreyer

http://www.nachdenkseiten.de/?p=33561

23.5.2016 – The Intercept

New Political Earthquake in Brazil: Is It Now Time for Media Outlets to Call This a “Coup”?
But, unlike the events of the last two weeks, these transcripts are not merely clues or signs. They are proof: proof that the prime forces behind the removal of the president understood that taking her out was the only way to save themselves and shield their own extreme corruption from accountability; proof that Brazil’s military, its dominant media outlets, and its Supreme Court were colluding in secret to ensure the removal of the democratically elected president; proof that the perpetrators of impeachment viewed Dilma’s continued presence in Brasilia as the guarantor that the Car Wash investigations would continue; proof that this had nothing to do with preserving Brazilian democracy and everything to do with destroying it. (…)
Until now, The Intercept, like most international media outlets, has refrained from using the word “coup” even as it (along with most outlets) has been deeply critical of Dilma’s removal as anti-democratic. These transcripts compel a re-examination of that editorial decision, particularly if no evidence emerges calling into question either the most reasonable meaning of Jucá’s statements or his level of knowledge. This newly revealed plotting is exactly what a coup looks, sounds, and smells like: securing the cooperation of the military and most powerful institutions to remove a democratically elected leader for self-interested, corrupt, and lawless motives, in order to then impose an oligarch-serving agenda that the population despises – von Glen Greenwald

https://theintercept.com/2016/05/23/new-political-earthquake-in-brazil-is-it-now-time-for-media-outlets-to-call-this-a-coup/

Das kommentiert Paul Schreyer auf den Nachdenkseiten am 27. Mai 2016 so:

Was in Brasilien stattfand, war offenkundig ein Putsch, wie Glenn Greenwald hier klarstellt. Die deutschen Leitmedien sind aber noch weit davon entfernt, die Dinge so deutlich beim Namen zu nennen. Überhaupt wird hierzulande bermerkenswert wenig zu den aktuellen Enthüllungen aus Brasilien berichtet. Die Süddeutsche Zeitung schreibt zurückhaltend von „intrigantem Verhalten“ eines der Putschisten. Zeit Online spricht zwar von einem „Komplott“, lobt die Drahtzieher aber zugleich, „echte Politik“ zu machen, vermeintlich auch „aus der Überzeugung heraus, dass die notleidende Wirtschaft des Landes gerettet werden muss.“ Bei der FAZ gab es über eine Agenturmeldung hinaus zunächst keinen eigenen Bericht zu der Enthüllung. Auch auf Spiegel Online suchte man Analysen und Kommentare zum Putsch im fünftgrößten Staat der Erde selbst zwei Tage nach Bekanntwerden vergeblich.

http://www.nachdenkseiten.de/?p=33554#h02

Telepolis berichtet, aber das ist ja nicht gerade ein Mainstreammedium:

25.5.2016 – Telepolis

Abhörskandal belegt Putsch in Brasilien
Der Präsident der PMDB, Romero Jucá, spricht in geleakten Aufnahmen von Absprachen mit Militär und Richtern und gibt Gründe für Amtsenthebung preis.

In Brasilien wird die De-facto-Regierung unter dem rechtsgerichteten Politiker Michel Temer von einem Abhörskandal erschüttert, der die Kritik von Widersachern des parlamentarischen Putsches (In Brasilien herrschen jetzt Alte, Reiche, Weiße und Rechte) gegen die gewählte Präsidentin Dilma Rousseff bestätigt. Den Aufnahmen zufolge, die der einflussreichen Tageszeitung Folha de São Paulozugespieltwurden, hat der bisherige Planungsminister im Kabinett von Temer,Romero Jucá, den Sturz von Rousseff geplant, um Korruptionsermittlungen gegen sich selbst, Temer und andere Vertreter der Oligarchie in Politik und Wirtschaft zu verhindern – von Harald Neuber
http://www.heise.de/tp/artikel/48/48334/1.html

Und es wird ja immer besser:

31.5.2016 – Telepolis

Brasiliens Regierung am Abgrund
Nach dem neuen Planungsminister musste nun ausgerechnet der Minister abtreten, der für Transparenz gegen die verbreitete Korruption sorgen sollte. Es zeigt sich immer klarer, dass es in der Übergangsregierung in Brasilien seltsam zugeht. Nach dem Planungsminister Romero Jucá musste nur eine Woche später der für die Korruptionsbekämpfung zuständige Minister Fabiano Silveira seinen Hut nehmen. Auch er stolperte über Aufnahmen, in denen er sich eher in der Rolle zeigt, Korruption zu befördern und zu decken, statt sie zu bekämpfen.
http://www.heise.de/tp/news/Brasiliens-Regierung-am-Abgrund-3223705.html

Und es gibt noch vieles, um das die Mainstreammedien lieber einen großen Bogen machen…

11.) Resumée

Der Ausflug nach Brasilien war notwendig, um ganz klar zu zeigen, wie deutsche Mainstreammedien in der Auslandsberichterstattung ticken und dass die Art der Berichterstattung über den Jemen eben keine Ausnahme, sondern Standard ist. Entscheidend ist die weitgehend vollständige Rücksichtnahme auf die geostrategischen wie wirtschaftlichen (ohnehin kaum zu trennen) Interessen der USA-Elite, wodurch die Berichterstattung zur dazu passenden Propaganda verkommt. Im Vergleich mit den im selben Fahrwasser schwimmenden britischen und amerikanischen Medien fällt bei den deutschen auf, dass diese offenbar sogar noch stärker den amerikanischen Interessen hörig sind.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Dietrich Klose

Vielfältig interessiert am aktuellen Geschehen, zur Zeit besonders: Ukraine, Russland, Jemen, Rolle der USA, Neoliberalismus, Ausbeutung der 3. Welt

Dietrich Klose

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