Expats: Die im Hintergrund ausgebeutet werden

Serie Unsere Autorin hat die neue Amazon-Serie „Expats“ mit Nicole Kidman gesehen
Ausgabe 07/2024
Margaret (Nicole Kidman) führt mit ihrer Familie in einem edlen Apartment des Stadtteils Victoria Peak ein komfortables Leben
Margaret (Nicole Kidman) führt mit ihrer Familie in einem edlen Apartment des Stadtteils Victoria Peak ein komfortables Leben

Foto: Jupiter Wrong/Prime Video

Die Miniserie Expats eröffnet mit einem dokumentarisch wirkenden Prolog: Eine Reihe von Personen blickt ausdruckslos in die Kamera. Sie haben, so erklärt die Stimme aus dem Off, ohne Absicht tragische Unfälle verursacht. Eine von ihnen ist eine Ärztin, die nach einer Nachtschicht am Steuer ihres Autos eingenickt und in eine Menschenmenge gerast ist. Die Erzählstimme gehört der Mittzwanzigerin Mercy Cho (Ji-young Yoo), nach eigener Beschreibung selbst Unglücksverursacherin, die den Blick auf das lenken will, was nach solch tragischen Begebenheiten meist außer Acht gerät: das lebenslange Schuldbewusstsein dieser Täter wider Willen.

Mercy ist Amerikanerin mit koreanischen Wurzeln und Uniabsolventin, die sich im Jahr 2014 dennoch mit Gelegenheitsjobs durch Hongkong schlägt. Hier leben auch die zwei Frauen, deren Dasein ihretwegen – so denkt Mercy zumindest – aus den Fugen geraten ist. Eine von ihnen ist Margaret Woo (Nicole Kidman), die mit ihrer Familie in einem edlen Apartment des Stadtteils Victoria Peak ein komfortables Leben führt, aber ins Stocken gerät, wenn sie gefragt wird, wie viele Kinder sie hat. Eigentlich sind es drei, aber ihr jüngster Sohn, der dreijährige Gus, ist ein Jahr zuvor in der dichten Menschenmenge des Nachtmarkts im Stadtteil Mongkok verloren gegangen und wird spurlos vermisst.

In der Gegenwart bemüht sich Margaret angesichts der immanenten Ungewissheit dieses Schicksalsschlags, ihre Fassung vor ihren zwei anderen Kindern und ihrem Ehemann Clarke (Brian Tee) zu wahren. Doch die Vorbereitungen einer Geburtstagsfeier für Clarke werden für sie zur Tortur und als sie dort unverhofft auf Mercy trifft, die Anteil an Gus’ Verschwinden trug, hat es mit ihrer Gefasstheit ein Ende. Lediglich ihre Freundin und Nachbarin Hilary Starr (Sarayu Blue) kann Margaret wieder beruhigen. Dabei hat Hilary selbst mit Eheproblemen zu kämpfen, die scheinbar ebenso just am Tag von Gus’ Verschwinden begannen, als ihr Mann David (Jack Huston) nach längerer Abstinenz wieder dem Alkohol verfallen ist. Dass dieser inzwischen eine Affäre mit Mercy hat, ahnt Hilary am Abend der Geburtstagsfeier noch nicht.

Der Vorlage von Janice Y. K. Lees 2016 erschienenem Roman The Expatriates folgend, nähert sich Regisseurin und Showrunnerin (The Farewell) in Expats mit viel Fingerspitzengefühl den ungeahnten Verflechtungen zwischen diesen drei Frauen. Dabei findet sie treffende Bilder für die Zerrissenheit ihrer Figuren, etwa als sich Davids verschwimmendes Profil beim Bruch seiner einjährigen Abstinenz im blank polierten Bartresen spiegelt oder wenn die Kamera Margarets zerbrechliche Silhouette vor dem leeren Nachtmarkt einfängt. Diese prägnanten, bravourös eingefangenen Momente stehen aber im Gegensatz zu Szenen, die einer plumpen Werbespot-Ästhetik folgen, beispielsweise als Margaret und Hilary in einem Nudelimbiss nachts über ihr Leben sinnieren und plötzlich Blondies Heart of Glass anstimmen.

Doch obwohl Expats sich in solchen Momenten vollends den Lebensdramen wohlsituierter Expats in Hongkong zu verschreiben scheint, bergen die sechs Episoden doch etwas mehr. So lässt Wang auf subtile Weise immer wieder die Menschen ins Bild treten, die das Leben der Gutverdienenden in der Fremde erst so richtig komfortabel machen: Etwa Puri (Amelyn Pardenilla), die Haushaltshilfe der Starrs, die in einem Gespräch des Ehepaars gar mit dem Inventar gleichgesetzt wird. Wie Essie (Ruby Ruiz), die Margaret seit der Geburt von Gus zur Hand geht, ist Puri eine von vielen Philippinerinnen, die in Hongkong in teils ausbeuterischen Verhältnissen für das Wohl der Wohlhabenden sorgen.

Etwas lang lässt Expats darauf warten, dass diesen nur scheinbaren Randfiguren das Wort erteilt wird, zumal das enorme Gefälle in der Sozialstruktur des hier eingefangenen Hongkongs immer wieder durchscheint. Dabei macht schon die zweite Folge via Rückblende eine komplexe Kausalitätskette für Gus’ Verschwinden aus, in der auch der rücksichtslose Umgang der reichen Expats mit ihren Angestellten eine Rolle spielt. Das rückt wiederum den Prolog in ein neues Licht und hinterfragt – ein wenig an Alejandro González Iñárritus Babel erinnernd – die Last der alleinigen Verantwortung in einer vor Verflechtungen aller Art schier berstenden modernen Welt.

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