Meine Schwester ist netterweise an meiner Gesundheit interessiert. So riet sie mir zu einem bestimmten Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke. Dort haut mich dann die schiere Menge an Auswahlmöglichkeiten bei ein und demselben Produkt um. Die Packung mit dem Hinweis, sie sei für die „Generation 50+“ gedacht, kann ich gleich ausschließen. Für die versprochene „Mikronährstoff-Formel für Best Ager“ fühle ich mich noch zu jung. Etwas anderes beschäftigt mich: Soll ich zu der „speziell für Männer“ entwickelten Variante greifen? Oder doch lieber zu der Standardversion, in der alles drin ist, von Vitamin A bis Z wie Zink?
Nahrungsergänzungsmittel haben wohl eine Geschlechterkomponente: Sie werden, so steht es in der Deutschen Apotheker Zeitung, „besonders häufig“ von Frauen über 40 mit höherem Bildungsstatus und gesünderem Lebensstil konsumiert. Aber muss es deswegen auch getrennte Produkte „Für sie“ und „Für ihn“ geben?
Auf der „Für ihn“-Packung steht, dass sie super für den Muskelaufbau sei. Illlustriert ist das Ganze mit einem Oberarm samt dickem Bizeps. Und was soll ich mich abquälen im Fitnessstudio, denke ich, wenn ich dann, wenn es darauf ankommt, meinen Muckis nicht die richtigen Nährstoffe gönne? „Ditt kann ich Ihnen jetzt och nicht sagen“, raunt die Apothekerin, während sie mich kritisch von Kopf bis Fuß mustert. Wahrscheinlich reagiert sie nur so, weil sie genau weiß, was für ein Hokuspokus diese ganzen Nahrungsergänzungsmittel sind, schießt mir spontan durch den Kopf. Mit dem – zugegebenermaßen noch ausbaubaren – Umfang meiner Oberarme hat das nichts zu tun!
Sicherheitshalber greife ich trotzdem zu dem Produkt „für anspruchsvolle Männer“, lege dafür knapp 16 Euro auf den Tisch und frage mich anschließend, worin wohl der Unterschied zur „Für sie“-Variante besteht.
Von welchen Mineralstoffen brauche ich mehr als Frauen? Oder spielen die hier mit meiner Gesundheit, indem sie mich mit klassischem Gender-Marketing zum Kauf x-beliebiger Feel-good-Produkte verleiten? Auf einem Vergleichsportal steht, das von mir gekaufte Präparat sei „speziell auf die Bedürfnisse des männlichen Körpers abgestimmt“, das beruhigt mich erst einmal. Dann vergleiche ich die Zutatenliste: In der Sorte „Für sie“ sind in jeder Tablette 10 Milligram Eisen drin, in der für Männer nur 3,75.
In deren Tabletten stecken dafür jeweils 20 Milligramm mehr Magnesium als in dem für Frauen gedachten Präparat. Das ist ja auch notwendig, denke ich: Magnesium sorgt dafür, dass sich die Muskeln nach einem Krafttraining wieder entspannen und man am nächsten Tag keinen bösen Muskelkater hat. Und wenn ich etwas über uns Männer weiß, dann dass wir tagein, tagaus ins Gym rennen, um dort unsere Astralkörper zu stählen. Wegen des Blutverlusts brauchen Frauen während der Periode natürlich mehr Eisen. Deswegen ist bei der weiblichen Variante auch kein dicker Bizeps auf der Packung, sondern ein roter Tropfen, mit dem Schriftzug „Gut für die Blutbildung“. Außerdem brauchen Frauen mehr Eisen, weil sie statistisch gesehen seltener Fleisch essen als Männer.
Schwierig wird es, wenn man ein gänzlich untrainierter Mann mit Streichholz-Oberarmen ist, der sich vegan ernährt. Oder eine steakliebende Frau nach der Menopause, die viel Zeit auf der Hantelbank verbringt. Das könnte einen am Verkaufsregal dann in echte Kalamitäten bringen. Die Apothekerin ist ja auch keine Hilfe.
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