Musikmanagerin über Machtmissbrauch: „Wo der Konsens endet, ist die Grenze“
Interview Wie umgehen mit sexualisierter Gewalt in der Musikbranche? Verbote seien kurzsichtig, gelebte Freiheiten wichtig, so Anika Jankowski, Vorstand von „Music* Women Germany“
Till Lindemann, Frontmann der Band Rammstein, auf einem Konzert 2020 in Stockholm, Schweden
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Die deutsche Musikszene hat nun ihre eigene, vielleicht längst überfällige #Me-too-Debatte. Der bundesweite Verband „Music Women* Germany“ hat sich 2020 gegründet, um Frauen und nonbinäre Personen im Musikbusiness zu vernetzen und so für mehr Sichtbarkeit zu sorgen. Die Anschuldigungen von Betroffenen bezüglich Konzerten der Gruppe Rammstein habe sie sprachlos gemacht, so die Musikmanagerin. Gegen die Sprachlosigkeit hat nun das sächsische Ländernetzwerk „Music S Women*“ zusammen mit anderen Organisationen die Plattform musicmetoo.de gegründet. Dorthin können sich Betroffene wenden, um anonym ihre Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt in der Musikszene zu teilen.
der Freitag: Frau Jankowski, Sie sind seit üb
Frau Jankowski, Sie sind seit über 20 Jahren im Musikbusiness aktiv und veranstalten unter anderem Konzerte. Was hat Sie an den letzten Vorwürfen zu sexualisierter Gewalt am meisten schockiert?Das System dahinter. Dass so viele mitgespielt haben, wahrscheinlich auch in meinem erweiterten Umfeld von Kollegen, die die Band veranstaltet haben. Wo ich gedacht habe: Wusstest du das? Auch die eigene Wortlosigkeit schockiert, weil man nur denkt: Fuck. Ich habe die ersten zwei Tage nur sagen können: Nein, ich will das alles gar nicht wissen.Das kann ich sehr gut nachvollziehen.Mein allergrößter Respekt gilt den Betroffenen, die diese Vorwürfe öffentlich machen. Egal in welcher Branche, egal wann und egal wie. Unfassbar mutig ist das. Schon durch das öffentliche Kommentieren in meiner Rolle merke ich, was für einen Gegenwind allein ich erlebe.Bereits 2017 haben Musiker der Gruppe Tokio Hotel erzählt, dass ihr Manager ihnen sogenannten Groupie-Sex organisierte.Die Sache mit Tokio Hotel hatte ich nicht auf dem Schirm. Dass es eine Systematik dahinter gibt, war mir nicht bekannt. Da merke ich erneut meine Außenseiterinnenposition in der Branche, ich gehöre in diesen Kreisen nicht dazu. An der Spitze der Musikszene, wo es um viel Geld und Macht geht, finden natürlich Backstage mitunter sexuelle Handlungen statt. Das ist allgegenwärtig. Das muss nicht sein, aber das darf sein, solange es auf gegenseitigem Einverständnis beruht.Also einvernehmlich?Genau. In solchen Situationen können sexuelle Handlungen einstimmig stattfinden.Wenn ein Fan seinen Star trifft, ist bereits ein klassisches Machtgefälle angelegt: Reich, berühmt, womöglich älter und männlich trifft auf unbekannt, nicht reich, jung und weiblich.Ja, wir haben hier per se bereits einen Power Gap – wenn wir dies binär denken: männlich und weiblich. Da ist bereits ein Machtgefälle angelegt, dazu kommen Reife, Alter und Erfahrung. Da muss ich schon wissen: Wie kommuniziere ich meine Grenzen? Es wird jungen Menschen ja kaum vermittelt, wie das geht. Aber vielleicht passiert das nun immer mehr in solchen Situationen. Aber noch mal: Menschen dürfen sich sexuell ausleben. Auch dafür ist in der Kreativität Raum.Ist „Sex, Drugs and Rock’ n’ Roll“ nicht ein Deckmantel für übergriffiges Verhalten?Es darf kein Deckmantel für Missbrauch und für Machtmissbrauch sein. Bei dem gelebten „Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll“ geht es darum, Freiheiten zu leben, mit bestehenden Systemen zu brechen, auszubrechen aus dem Alltag. Und das, finde ich, darf meiner Meinung nach wirklich sein und darf gelebt werden.Wo ziehen Sie da die Grenze?Dort, wo der Konsens aufhört, ist der Moment, wo es übergriffig wird. Oder wenn ich die Personen, die sich in den Räumen befinden, nicht einordnen kann. Das ist etwas ganz anderes, wenn ich in einen Swingerclub oder zu einer Orgie gehe, das darf ja sein. Nur muss es allen Beteiligten bewusst sein, in welchem Kontext sie sich dort befinden.Trotzdem werden Sicherheitsmaßnahmen rund um solche Veranstaltungen gefordert. Für die Berliner Konzerte von Rammstein Mitte Juli sollen die After-Show-Partys in Berlin verboten werden und Awareness-Teams eingesetzt werden. Richtig so?Verbote sind meiner Meinung nach kurzfristig und eigentlich auch nur bedingt sinnvoll. Es geht mir um die Menschen, die ihre Macht missbrauchen und übergriffiges Verhalten an den Tag legen. Da müssen wir doch ansetzen!Manchmal versteht man aber erst sehr viel später, was passiert ist.Frauen kommen aus übergriffigen Situationen und berichten fast alle davon, zu denken: „Warum habe ich das gemacht? Eigentlich wollte ich das gar nicht.“ Alle sind erst einmal in der eigenen Schuldzuweisung, wo dies scheinbar verhindert werden könnte. Aber in dem Moment, in dem zum Beispiel gefragt wird: „Ist das okay für dich? Wollen wir das machen? Ich hätte Lust, das und das zu machen, wie ist das für dich?“, wäre das Problem vom Tisch.Wie würden Sie die Sicherheit der weiblichen Fans vor Ort garantieren?Ich finde schon, dass die Mechanismen und die Struktur, die dort aufgebaut wurde, kurzfristig zu unterbrechen sind. Indem man eben sagt: Stopp, es gibt keine Row Zero und keine After-Show-Party. Grundsätzlich sind auch Awareness-Teams großartig …Ehrenamtliche Sicherheitsteams, die man ansprechen kann, wenn man sich unwohl fühlt …… weil das eine Bewegung ist, die aus dem Club-Kontext kommt, wo tendenziell öfter Drogen konsumiert werden und es zu sexuellen Handlungen unter Drogeneinfluss kommen kann. Aus diesem Missverhältnis sind solche Teams entstanden. Eine super Sache. Allerdings sehe ich hier ein Problem in der Ehrenamtlichkeit. Awareness-Teams und Security sollten Hand in Hand gehen bzw. idealerweise die Rolle des Awareness-Teams von der lokalen Security übernommen werden.Aber Sie wirken ja als Verband dagegen, dass das Musikbusiness weiterhin derart männlich geprägt ist.Nur sehr wenige Menschen und Firmen haben sehr, sehr viel Macht. Drei Major-Labels beherrschen den Markt, wovon allein ein Major-Label 75 Prozent Marktanteil hat. Es gibt einen kleinen, sehr machtvollen Kreis, wo alle miteinander verbunden sind. Aber wo sind die Allys?Eben, wo sind diejenigen, die sich mit den Frauen verbünden und solche Strukturen ablehnen?Das sind ja Leute, die mit vor Ort sind: Security, Tontechnik, also die, die den kompletten Apparat am Laufen halten. Hunderte von Menschen, die dort arbeiten. Ich kann mir vorstellen, dass dies der gemeinschaftliche Konsens war. Unter dem Deckmantel „Das ist schon irgendwie okay“ ist viel falschgelaufen, vermute ich.Wie genau stärkt denn Ihr Netzwerk Frauen und weiblich gelesene Personen im Musikbusiness?Als Verband sind wir vor zwei Jahren angetreten, um mehr Sichtbarkeit für Frauen und FLINTA* zu generieren. Wir setzen uns nicht nur für Musiker*innen ein, sondern für alle hinter und auf der Bühne. Ob das jetzt Booker*innen sind, Veranstaltende, Tontechniker*innen oder Produzentinnen. 2019 hatten wir bereits eine Datenbank gelauncht und am ersten Tag meldeten sich 450 Frauen an, aus allen Gewerken. Heute sind es über 1.300 Einträge.Ist Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt auch bei Musikerinnen oder Frauenbands ein Thema?Ich gehe davon aus, dass Frauen nicht vor Machtmissbrauch geschützt sind: Auch Frauen und FLINTA* können Machtmissbrauch betreiben. Das hat sicherlich schon stattgefunden, mir ist aktuell aber kein Fall bekannt. Trotzdem glaube ich, dass es am Ende ein prozentual viel geringerer Anteil ist, da in Deutschland Frauen weniger Machtpositionen innehaben.