Psychologe zur Macht von Rammstein & Co: „Fans sonnen sich im Ruhm der Stars“
Im Gespräch Die Band Rammstein hat Millionen Fans. Aber wieso wirkt die Macht von Stars so anziehend? Wann missbraucht ein Star wie Till Lindemann seine Rolle? Der Psychologe Robert Körner schaut auf den schmalen Grat zwischen Macht und Machtmissbrauch
Ganz ehrlich: Es ist doch schön, Bestimmerin zu sein und an den richtigen Stellen zu sitzen, um etwas zu bewirken! Aber: Macht haben? Schon das Wort löst bei vielen Unbehagen aus. Kein Wunder, zeigte doch schon William Shakespeare in seinem Macbeth, wie Macht aus Königen Tyrannen werden lässt. Seit den jüngsten MeToo-Debatten um Till Lindemann von Rammstein werden Macht und ihr Missbrauch auch in unseren Tagen wieder heiß diskutiert. Was macht Macht mit den Menschen – jenen, die sie besitzen, und jenen, die ihr ausgeliefert sind? Wieso wirkt Macht auf viele so anziehend? Der Psychologe Robert Körner erforscht diese Fragen der Funktionsweise von Macht in Beziehungen und in Gruppen.
der Freitag: Herr Körner, warum wollen überhaupt so viele Ra
;rner, warum wollen überhaupt so viele Rammstein-Fans zur After-Show-Party, warum suchen sie die Nähe von Rockstars?Es gibt ein Phänomen in der Sozialpsychologie, das nennt sich „basking in reflected glory“: sich im Glanze des Ruhmes eines anderen sonnen. Das heißt, man verbindet sich mit einem erfolgreichen Menschen, um selbst ein wenig von seinem Erfolg und seiner Besonderheit zu erhaschen.Und was wäre diese Besonderheit?Mehrere Studien haben gezeigt, dass mächtige Menschen authentischer sind, zu ihrem wahren Selbst stehen, sich enthemmter geben und sich ihrer eigenen Persönlichkeit entsprechend verhalten. Authentizität ist anziehend, sie findet Anhängerschaft.Die Vorwürfe gegen den Rammstein-Frontmann Till Lindemann haben es in sich: Es geht um mutmaßliche Straftaten wie sexuelle Übergriffe oder sogar Vergewaltigung. Bis dahin war jedoch oft zu hören, dass herausragende Persönlichkeiten im Namen der Kunst alles dürfen. Sollten sogenannten Genies Grenzen gesetzt werden?Das ist eher eine ethische Frage als eine psychologische. Natürlich darf niemand Straftaten begehen. Auch psychologisch geht es immer darum, dass andere Menschen durch das Handeln eines Menschen nicht verletzt und gefährdet werden dürfen. Und Macht kann auch ein sogenanntes „Genie“ verlieren, wenn es zu einem Machtmissbrauch kommt – und der aufgedeckt wird.Wann wird Macht ausgeübt, wann wird sie missbraucht?Man unterscheidet zunächst mal zwischen verschiedenen Ebenen der Machtausübung. Manche sehen das im antisozialen Sinne: Sie wollen sich bereichern und tun dies aus einer egoistischen Motivation heraus. Dazu gehören dann auch Aggression, Zwang und Einschüchterung.Sie sagen „manche“? Weil sich nicht alle nur bereichern wollen?Ja, man kann die Macht auch anders sehen. Nämlich als Verantwortung. In Form von Kooperationen, dass man andere fördert und an das größere Gemeinschaftswohl denkt. Die Frage ist also: In welche Richtung wird Macht ausgeübt? Gesellschaftlich wird es sanktioniert, wenn Macht ins Negative kippt. Von daher dürfen Genies nicht alles. Sie erlauben sich vielleicht mehr, weil Macht risikofreudiger macht und Verhalten enthemmt. Aber es kommt eben auch immer auf die Persönlichkeitsstruktur an.Was ist Macht eigentlich?In der Psychologie unterscheidet man zwischen objektiver und subjektiver Macht. Objektive Macht bedeutet, dass man Ressourcen kontrolliert, die wertvoll für andere Personen sind, und dadurch die andere Person beeinflussen kann.Sie meinen mit Ressourcen materielle und immaterielle Güter?Das kann alles Mögliche sein: Geld, Informationen, Jobmöglichkeiten, aber auch Liebe und Zuneigung. Wenn eine Person von diesen Ressourcen abhängig ist, hat sie weniger Macht, und so kann die mächtigere Person das Denken und Verhalten der anderen Person beeinflussen. Ein Beispiel dafür wäre, dass in einem Unternehmen ein Manager typischerweise mehr Macht als die Angestellten hat und entsprechend auf die Angestellten einwirken kann.Placeholder infobox-1Und was ist subjektive Macht?Dass man denkt, dass man andere beeinflussen kann. Dazu muss man nicht zwangsläufig über wertvolle Ressourcen verfügen, sondern die Selbstwahrnehmung zur Einflussnahme ist relevant. Natürlich hängt die objektive Macht auch mit der subjektiven Macht zusammen.Zum Beispiel?Nehmen wir eine Mutter-Kind-Beziehung, in der die Mutter objektiv mehr Macht hat als das Kind, aber sich dem Willen des Kindes ausgesetzt fühlt. Hier verläuft die Machtbeziehung umgedreht.Schwierig, oder?In der Wissenschaft sehen wir Macht an sich wertneutral. In Deutschland hat man aufgrund unserer Geschichte allerdings negative Stereotype, wie wir auch in Experimenten mit Versuchspersonen immer wieder erfahren.Was erfahren Sie denn von Ihren Versuchspersonen?Dort kommt es auch mal vor, dass wir hören: „Ich will gar keine Macht haben“, aber das ist ein Teil unserer Assoziation: Macht verstehen wir als negativ. In der Psychologie untersuchen wir Macht als ein Phänomen, das negative wie auch positive Folgen haben kann. Wir könnten das auch Einflussnahme nennen.Das klingt gleich weniger negativ.In der Paarbeziehung versucht man ja auch, den Partner oder die Partnerin zu beeinflussen, sodass er oder sie bestimmte Dinge macht. So lassen sich Kompromisse und Lösungen finden. Das ist ja ganz normal, so finden menschliche Beziehungen statt.Aber auch in Beziehungen findet Machtmissbrauch statt. Dann wird Einflussnahme zur Manipulation.Wer seine Macht missbraucht und wer nicht, das hängt mit den Prädispositionen eines Menschen zusammen, mit seinen grundlegenden Einstellungen. Wenn jemand eher antisozial orientiert ist, wird er, wenn er die Macht erhält, sich entsprechend antisozialer verhalten. Ein Mensch, der freundlich, hilfsbereit und gemeinschaftlich orientiert ist und dann eine Machtposition erhält, wird das prosoziale Verhalten verstärken und sich verantwortlich fühlen. In der Machtposition treten die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen stärker hervor.Ist das geschlechterabhängig?In unserer Forschung schauen wir uns meist die emotionalen und verhaltensbezogenen Folgen von Macht an. Da gibt es kaum geschlechtsspezifische Unterschiede. So erleben sowohl Männer als auch Frauen durch Macht mehr positive Emotionen, höheren Selbstwert und mehr Vergebungsbereitschaft, aber auch mehr Risikofreudigkeit bis hin zur Selbstüberschätzung oder Stereotypisierung. Wenn wir aber zum Beispiel in den Bereich sexueller Aggression und sexuellen Missbrauch schauen, wird deutlich, dass diese Form häufiger von Männern ausgeübt wird als von Frauen.Wie reagieren andere auf Machtausübung – und wann produziert Macht eine Machtlosigkeit?Damit Macht über andere ausgeübt werden kann, muss es auch den machtloseren Part geben. In einer Paarbeziehung gibt eventuell eine Person eher nach, und deswegen kann sich der mächtigere Part durchsetzen, was bei dysfunktionalen Beziehungen negative Folgen wie Aggression bedingen kann. Im Schulkontext gibt es meistens nicht nur einen Bully, sondern auch Mitläufer oder sogenannte Bystander, also Personen, die zuschauen, aber nicht einschreiten. Im Arbeitskontext muss eine Person bestimmte andere überzeugen, um in eine Machtposition zu kommen. Daher sind je nach Kontext verschiedene Personen involviert, die den Machtmissbrauch dulden können.Wie könnte man so einen Missbrauch der Macht am besten verhindern, gerade am Arbeitsplatz?Dass Macht negativ genutzt wird, kann man durch Gesetze oder durch Codes of Conduct in Unternehmen reglementieren. Aber wenn sich jemand durch antisoziales Verhalten in diese Machtposition gebracht hat, dann funktionieren auch Verhaltensregeln nicht gut, sie können den Machtmissbrauch nur eindämmen. Mit der Einführung von Kontrollinstanzen könnte das klappen. Noch besser aber wäre es, wenn die Rolle desjenigen mit mehr Macht klar wäre. Es muss nachvollziehbar sein, welche Regeln genau einer Person diese Macht übertragen. Dann ist Macht legitim.