Machtmissbrauch in der Filmbranche: Über Vorbilder, die es besser machen
Strukturwandel Ob beim Filmpreis in Berlin oder rund um das Festival in Cannes: Machtmissbrauch in der Filmbranche ist in diesem Jahr das große Thema. Was also muss sich konkret ändern?
Ziemlich gestrig: Männer machen Sachen, Frau darf die Klappe halten
Foto: Armin Smailovic/Agentur Focus
Claudia Roth war echauffiert. Wenn überhaupt jemand als Nestbeschmutzer bezeichnet werden könne, verkündete die Kulturstaatsministerin bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises am vergangenen Freitag in Berlin, dann sei das jenes Schweigekartell, das Machtmissbrauch erst möglich macht. Und nicht die Menschen, die toxische Arbeitsbedingungen und strukturelle Ungerechtigkeiten aufzeigen und anklagen. Die Moderatorin der Veranstaltung, Schauspielerin und Musikerin Jasmin Shakeri, fand ebenfalls eine treffende Spitze: Schlimmer noch als der Schweiger, sagte sie unter Applaus auf der Bühne, sind DIE Schweiger.
Recht haben beide. Und das ist nur ein Aspekt einer vielschichtigen Debatte. Dass nach Berichten über Gewalt und Schikane am Set von Til Schweigers Film Ma
rs Film Manta Manta Zwo in Deutschland auch unabhängig vom Metoo-Setting über Machtmissbrauch in der Filmbranche diskutiert wird, ist logisch: Wieso sollte es in einem künstlerischen Umfeld anders sein als in der Politik, bei der Polizei, in einer Schule oder in einer Schnürsenkelfabrik? Es scheint, als ob der Missbrauch von Macht in Form von willkürlichen, gewalttätigen oder missbräuchlichen Handlungen jedem hierarchischen System inhärent ist.Neben den notwendigen und in der Branche zum Teil bereits verwirklichten Vertrauensstellen (etwa Themis), bei denen sich Betroffene Hilfe holen können, bleibt jedoch die Frage, ob eine wirtschaftliche Kunstform wie der Film ganz oder weitgehend auf Hierarchien verzichten kann, gar verzichten muss. Und wie unterschiedliche künstlerische Visionen zu berücksichtigen sind, Arbeitsteilung zu betreiben, Verantwortung klar zuzuweisen ist – während dennoch gerecht, offen und demokratisch agiert wird. Geht das – oder steckt der Missbrauch zu tief in den Strukturen?Auch, um genderbasierte Vorurteile oder Zuschreibungen zu vermeiden, ist die Differenzierung wichtig: Im Fall des auf Produktionsseite sehr männlich geprägten Films Im Westen nichts Neues, der die neun frisch gewonnenen Lolas auf einen beeindruckenden Stapel aus Oscars, Baftas und weiteren Statuen werfen kann, betonen die männlichen wie weiblichen Verantwortlichen und „Head of Departments“ unermüdlich, wie wichtig bei dieser großen, teuren und aufwendigen Produktion das „Miteinander“, das Arbeiten auf Augenhöhe gewesen sei. Kameramann James Friend drückte es in seiner Dankesrede mit dem Satz aus, er habe beim Dreh zum ersten Mal in seiner Karriere „das Gefühl gehabt, dass alle den gleichen Film machten“.Machtmissbrauch geht auch von Frauen ausDas diesjährige Filmfestival Cannes dagegen hat sich mit Le Retour von Regisseurin Catherine Corsini bereits eine Debatte um das Thema sexuelle Belästigung eingehandelt – gegen zwei männliche Mitarbeiter wurden dementsprechende Vorwürfe laut, aber auch der Regisseurin selbst war „autoritäres Verhalten“ und ein falscher, missbräuchlicher Umgang mit minderjährigen Darsteller:innen in Bezug auf eine Masturbationsszene vorgeworfen worden. Cannes lud den Film nach der Berufung in den Wettbewerb zunächst wieder aus, entschied aber, ihn nun doch zu zeigen.Der Missbrauch von Autorität und Stellung wurde jahrhundertelang männlich konnotiert, weil die einschlägigen beruflichen Machtpositionen Männern vorbehalten waren. Nicht erst seit Todd Fields Drama Tár, in dem eine narzisstische Dirigentin gnadenlos ihre Macht ausspielt, ist jedoch klar, dass mit der notwendigen Geschlechtergerechtigkeit auch die negativen Eigenschaften von machthungrigen und unempathischen Frauen in Führungspositionen getriggert werden können. Der rbb hat es mit dem Fall Schlesinger vorgemacht, andere Kultur- und Medienbetriebe mit weiblichen Spitzen leiden unter den gleichen Problemen wie die Überzahl an ähnlichen Häusern, die von Männern geführt werden. Konsequenterweise sollte der Diskurs darum stets in alle Richtungen geführt werden – auch wenn die gläserne Decke noch ebenso existiert wie der Gender Pay Gap, verkrustete Männerbündnisse und struktureller Sexismus.Dass Machtmissbrauch in der Filmbranche aus wirtschaftlichen Gründen üblicher ist als beim Theater, ist eine These, die unter anderem die französische Schauspielerin Adèle Haenel vertritt: Die 34-Jährige hatte vergangenes Jahr angekündigt, keine Filme mehr drehen zu wollen, weil die Filmbranche „reaktionär, rassistisch und patriarchalisch“ sei. Nun hat die mehrfach für den César nominierte Künstlerin in einem offenen Brief im Kulturmagazin Télérama erklärt, warum sie sich entschieden hat, ihren „Abschied vom Kino zu politisieren“: Sie habe keine anderen Waffen als ihren Körper und ihre Integrität, schrieb sie, und klagte das kapitalistische und patriarchale System an, das Menschen wie Polanski, Depardieu und den wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe in die Schlagzeilen geratenen französischen Produzenten Dominique Boutonnat in Schutz nehme. Theater und Tanz betreibe sie weiter, so Haenel, denn dort seien „die finanziellen Einsätze geringer“ und die „Machtinteressen weniger stark“, es gebe darum „mehr Handlungsspielraum“. Andere wie die Schauspielerin und Autorin Mateja Meded beklagen den „Rassismus und Sexismus im Theater“ dagegen bereits seit Jahren.Der egomane Visionär: Das Genie thront über allenDass die Verantwortung für ein Stück Kultur eben auch eine monetäre ist, macht das Geflecht umso komplexer: Die meist hochkomplizierte und heikle Finanzierung (durch Förderungen und durch Wiedereinspielen) bringt Zeitnot mit sich. Jeder Drehtag kostet, jede Verzögerung, etwa durch längere Entscheidungsfindungen, schmälert das Budget. Und wenn ein Film eine negative Auswertung hat, etwa schlechte Kritiken, geringe Besucherzahlen oder gleich einen handfesten Skandal, wird die Verantwortung schnell von sich gewiesen und Schuldige gesucht. Wird eine Produktion jedoch mit minimalen finanziellen Mitteln gestemmt und ist damit auf den guten Willen, die Hingabe und die Begeisterung der Beteiligten angewiesen, findet die Ausbeutung auf anderer Ebene statt: Diejenigen, die sich oder ihre Familie durch ihre Tätigkeit finanzieren müssen, sind gegenüber denjenigen im Nachteil, bei denen das anders ist.Das Ausspielen von Privilegien und das Ausnutzen von Abhängigkeiten hängt zudem ebenso stark an den Persönlichkeiten wie an den Strukturen. Lange Zeit war der Archetyp des (zunächst vorwiegend männlichen) Regisseurs, egal ob im Theater oder im Film, der egomane Visionär – ein beratungsresistenter Künstler, dessen Genius über allem thront und dessen Festhalten an den eigenen Vorstellungen seine „Handschrift“ und seinen Erfolg garantiert. Von Fritz Lang, dessen Regiestil als „diktatorisch“ bezeichnet wurde, über Roman Polanski, von dem es hieß, er würde stets ungefragt sämtlichen Gewerksverantwortlichen zeigen, wie es besser geht, bis hin zu den Debatten um Ulrich Seidl oder das Mammutprojekt Dau des russischen Regisseurs Ilja Chrschanowski scheinen die Beteiligten vom gleichen Schlag zu sein. Oder glauben zumindest alle daran, dass es starker, unaufweichbarer Hierarchien bedarf, um ein Ergebnis zu bekommen. Künstlerische Arbeitssituationen wurden und werden mit militärischen Rangfolgen gleichgesetzt: Der oder die Verantwortliche steht an der Spitze, fällt Entscheidungen und trägt das Risiko.Die Atmosphäre der Schweiger-SetsTrotzdem: Es muss möglich sein, diesen Diskurs zu führen, effektive Machtkritik zu betreiben und die Strukturen zu verändern. Beispiele wie Im Westen nichts Neues müssen im Filmbereich Vorbild werden und die launisch-herrische Atmosphäre der Schweiger-Sets ablösen; und auch, wenn es bei Filmproduktionen zuweilen schlichtweg (künstlerischer) Entscheidungen bedarf und man darüber vermutlich für immer streiten könnte, zeigen ideen- und erfolgreiche Regiekollektive wie Rimini Protokoll oder She She Pop schon lange, wie es bestenfalls im Theater geht. Vertrauensstellen müssen genauso konsequent aufgestockt werden wie die Kulturbudgets – nicht nur, um (freien) Künstler:innen ihr Auskommen und die Freiheit der Kultur zu sichern, sondern auch, um mehr Diskussionen, mehr Feedback, längere Vorbereitungs- und Drehzeiten zu ermöglichen. Und die Bewunderung für ambivalente, auch historische „Genies“ sollten schon die Schulen hinterfragen, damit das Bild des Künstlers sich ändert. Vielleicht kann die seit ein paar Jahren endlich geführte Debatte um die Trennung von Werk und Autor:in dabei helfen, Kunst in Relation zu sehen.Bertolt Brecht, dem von einigen Exeget:innen die literarische oder persönliche Ausbeutung von Frauen vorgeworfen wurde, lässt Peachum in der Dreigroschenoper desillusioniert deklarieren: „Ein guter Mensch sein? Ja, wer wär’s nicht gern? / Doch leider sind auf diesem Sterne eben /die Mittel kärglich und die Menschen roh. /Wer möchte nicht in Fried’n und Eintracht leben? / Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so“. Aber Brechts Aphorismen sind immer Aufforderungen. Und von ihm stammt schließlich auch der Satz: „Ändere die Welt, sie braucht es.“