„Ein Junge ohne Killerinstinkt droht unterzugehen.“ Echt jetzt?
Foto: Christiane von Enzberg/Agentur Focus
Was, wenn der eigene Kopf darüber erschrickt, dass das, was da im eigenen Bauch heranwächst, womöglich keine Tochter (und somit eine natürliche Fortführung der feministischen Linie) ist? Die Journalistin Shila Behjat erschrickt jedenfalls erst einmal: „Aus dem künftigen Mann in meinem Bauch schloss ich schlicht das Fürchterlichste, so viel ich auch theoretisch über die Konstruiertheit von Geschlecht wusste. Ein künftiger Mann im Bauch einer Feministin!“
Aber halt, so beginnt dieses Buch, dieses „Streitgespräch mit sich selbst“, wie Behjats Buch im Untertitel heißt, gar nicht. Denn es beginnt warm und weich und zärtlich –zwei Kinderarme drücken sich an ihren Hals und sie hört ihr Kind sagen: &
d sagen: „Du bist die beste Mama der Welt.“ Ein Kompliment ohnegleichen, denn was Kinder sagen, stimmt. Zwei Söhne hat die Autorin, noch im vorpubertären Alter. Zu bestaunen sind die beiden Kinder in Heldenkostümen, zusammen mit der besten Mama der Welt, ebenfalls im Heldinnenkostüm, unter der Widmung im Buch (natürlich an die Söhne). Ein intimer, glücklicher Moment einer Mutter mit ihren beiden Söhnen.Das Familienfoto setzt auf den anfänglichen Seiten des 200-Seiten-Buchs den Ton. So teilt Behjat liebevolle Momente aus ihrem Familienalltag mit Anekdotischem aus der harten Realität da draußen. Nein, Deutschland ist kein kinderfreundliches Land, aber vielleicht und vor allem kein söhnefreundliches Land. Denn zwischen dem „Nicht anfassen!“, dem allgemeingültigen Erwachsenensatz, der allen Kindern gilt, gibt es auch noch spezielle Warnhinweise wie „Macht hier nichts kaputt“ für die männlich gelesenen.Es sei ja auch kein Wunder, schreibt die Autorin und wendet den Blick in erster Linie auf sich selbst. „Panisch und wütend und hoffnungsvoll“ wolle sie Fragen stellen, von der ersten Begegnung, als sich ihr erster Sohn ankündigt, bis hin zu dem Punkt, wo ihre Söhne erwachsene Männer sein werden.Badass Bitches und der Einfluss des Feminismus auf die MutterIn einer Zeit, wo sich Heteromänner mit Nagellack zeigen können und viele Männer sich als Feminist bezeichnen, aber gleichzeitig die Zahlen für häusliche Gewalt gegen Frauen (mit Kindern) durch Männer jährlich steigen, sind diese Fragen nicht unberechtigt. Aber es geht Behjat nicht nur um das Feindbild Mann, denn auch ihre Kinder würden mit ihrer hellen Haut und ihren blonden Haaren zu dieser Kategorie gehören, die (noch) am meisten mit Privilegien ausgestattet ist. Als Tochter eines iranischen Vaters und einer deutschen Mutter trennten sie und ihre Söhne Momente der Erfahrungen mit Sexismus und Rassismus, die sie gemacht habe, „weil er ihnen in der Form als zukünftige weiße Männer niemals zustoßen würde“.Die Verbindung Mann gleich Aggressor sei auch in ihr noch tief verankert, schreibt Behjat. Welchen Einfluss Feministinnen als Mütter haben, zeige sich auch darin, welchen Einfluss der Feminismus auf die Mutter und Frau habe, stellt sie fest. Die hehren Errungenschaften des Feminismus kann die Autorin kaum abstreiten, denn sie gehöre selbst zu der Generation der „Badass Bitches, der Powerfrauen, der Frauen mit Erfolgsstorys“. Unumwunden gibt sie aber zu, dass ihre körperliche Sicherheit davon abhänge, dass ihr Männer nichts tun, wenn sie sie sehen. Und das Fatale: Ihr Erfolg oder das, was man in dieser Gesellschaft als Erfolg definiert, hänge auch wiederum von Männern ab, Frauen wie sie zu sehen. Um sie zu fördern. Auch wenn die Förderung von Frauen sogar beim schnarchigsten mittelständischen Unternehmen nun schon auf der Website als „Nice to have“-Button klebt, so sind es doch eher die blonden Sabines und nicht die halbiranischen Shilas, die als Gegenentwurf zum männlichen Pendant im (deutschen) Feminismus gemeint sind.„Für mich brauchte es die Existenz meiner Söhne“, schreibt Behjat, „um zu erkennen, dass der Feminismus, wie ich ihn kennengelernt und verteidigt habe, nicht nur sehr wenig für sie übrig hat, sondern letztlich auch Teile von mir ausgrenzt“. Denn das sei ja das Patriarchat in seiner reinsten Form, ein „System der Begrenzung“, wo der „Kampf überhaupt die Möglichkeit der Existenz“ sei.„Ein Junge ohne Killerinstinkt droht unterzugehen“Trotzdem, und hier beginnt das Streitgespräch, ertappt sie sich bei dem Gedanken: „Ein Junge ohne Killerinstinkt droht unterzugehen.“ Der archimedische Punkt liegt für Behjat in diesem Gedankengang. Schonungslos artikuliert sie ihre eigene Panik und Wut darüber, wie sie sich für ihren Sohn zwar insgeheim Killerinstinkte wünscht, damit er in dieser Gesellschaft bestehen kann, aber gleichzeitig habe sie panische Angst davor, was ihr Kind später mit diesen Aggressionsmomenten anstellen könnte. „Wie würde er dann erst später mit anderen Frauen umgehen? Mit Schwächeren?“Dass auch Jungs, vor allem nichtweiße Jungs und Männer, zu den Schwächeren gehören, erzählt sie am Beispiel ihres Vaters, der nicht selten als Migrant „deutschsplained“ wurde. In einer patriarchalen Gesellschaft käme das Besserwissen und Gängeln nicht nur durch weiße Männer, sondern auch von weißen Frauen. So erlebte sie es als Kind eines Mannes, der trotz zweifachen Studiums und seiner Promotion noch in der Außenwelt gegängelt wurde. Hier zitiert sie die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie mit ihrer Forderung, endlich Platz für Männer im Feminismus zu machen, denn „sonst kämen wir nirgendwohin“.Nicht nur die Proteste im Iran seit dem Tod von Jina Mahsa Amini, an denen sich seit dem September 2022 unzählige Frauen und queere Menschen für Freiheit und Gleichheit beteiligen und auf die Straßen gehen und dabei von ihren Männern, Söhnen und Freunden unterstützt werden, seien ein Beispiel dafür, wie es ein neuer Feminismus, „ein neues Haus“, wie sie schreibt, schaffen könnte, alle zu vereinen, um feste Rollenzuschreibungen aufzulösen und somit einer echten Gleichstellung den Weg zu ebnen.Flankiert sind Behjats Überlegungen, wie man dies am besten anstellen könnte, von Schriften Schwarzer Feministinnen wie bell hooks und Audre Lorde, aber auch von neueren Überlegungen, wie etwa des/der nonbinären Preisträger*in des deutschen Buchpreises, Kim de l’Horizon.Ist das Buch versöhnlich? Vielleicht. Denn zum Schluss wird doch über Weiblichkeit nachgedacht, die fürsorglich ist, fürsorglich sein darf, auch gegenüber Söhnen, ohne dass die innere Feministin mit dem ausgestreckten Zeigefinger drohend daneben steht. Ja, Shila Behjat öffnet neue Türen mit diesem Debüt. Fragt sich nur, wer mutig genug ist, hindurchzugehen.Placeholder infobox-1
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