Neulich las ich Elina Penners sehr unterhaltsames Buch Migrantenmutti. Darin erzählt sie von ihrer Kindheit als Tochter von Einwanderern sowie von Mutterschaft jenseits der Grenzen einer gut situierten Mittelklasse. Penners These lautet, dass sich weiße Mittelklassemütter das Leben unnötig schwer machen. Etwa dann, wenn sie sich über Ernährungsfragen oder die richtige Schulranzenwahl den Kopf zerbrechen. Hierfür hätten Migrantinnen oder Alleinerziehende gar keine Zeit.
Wer die viel beschworene mentale Last („mental load“) der Frauen vor allem in Fragen der Kindergeburtstagsorganisation oder Vollwertkostverabreichung sieht, der hat vermutlich keine existenziellen Sorgen. Migrantenmutti ist die Aufforderung, sich einfach mal locker zu machen.
Das propagierte Mutterbild zurückweisen
Damit rennt Penner bei mir offene Türen ein. Es ist richtig, dass bisweilen irrwitzige Ansprüche an Mütter herangetragen werden. Aber so sehr sich die Gesellschaft fragen muss, wie realistisch das propagierte Mutterbild wirklich ist, so sehr muss sich jede einzelne Frau fragen, warum sie die irren Forderungen nicht kurzerhand abweist. Die anderen Mütter gucken seltsam, wenn man einen Tiefkühlkuchen zum Kuchenbasar mitbringt? So what! Man ist gestern nicht dazu gekommen, die Hosen des Kindes zu waschen? Davon geht die Welt nicht unter. Das heißt keineswegs, dass man über strukturelle Probleme, etwa den Mangel an Kinderbetreuungsmöglichkeiten, hinwegsehen und alles als Einstellungsfrage abtun sollte. Aber der Migrantenmutti gelingt es vielleicht leichter, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen.
Penner erzählt auch von ihren eigenen Eltern, die aus der Sowjetunion stammen und nach Deutschland emigrierten. In ihrem Elternhaus habe der Vater selbstverständlich geputzt, während ihre Mutter arbeitete. Laut Penner sei das sogar die Regel unter den Migrantenvatis – sie putzen bei sich zu Hause, während ihre Frauen bei anderen putzen. Ob wirklich alle Migrantenvatis so vorbildlich sind, kann ich nicht beurteilen. Aber die Selbstverständlichkeit, mit der Penners Vater Aufgaben im Haushalt übernahm, findet sich ebenso bei den jüngeren Ostmännern, die von arbeitenden Müttern sozialisiert wurden.
Die Ostmutti
Überhaupt lässt sich eigentlich alles, was Penner von der Migrantenmutti erzählt, auf die Ostmutti übertragen. Das überrascht erst einmal nicht, denn die DDR orientierte sich am Familienmodell der Sowjetunion. Beide wiesen traditionelle Vorstellungen der bürgerlichen Familie zurück. Die Mutter galt als Werktätige. Sehr viel Erziehungsverantwortung wurde an staatliche Institutionen übertragen.
Man kann aber weitergehend feststellen, dass Penner weder eine Ost- noch eine Migrantenspezifik beschreibt, sondern schlicht eine Form der working class-Elternschaft. Dabei diktiert die Notwendigkeit elterliche Möglichkeiten: Wer weniger Zeit hat, um sein Kind zu kreisen, muss diesen mehr Eigenverantwortung abverlangen. Wer viele Stunden außerhalb des Hauses arbeitet, muss den Haushalt gemeinsam mit dem Partner organisieren, damit nicht alles liegen bleibt. Und wer schauen muss, wie er das Geld für einen Schulranzen zusammenkratzt, widmet sich keinen Stiftung-Warentest-Auswertungen zu den ergonomischen Qualitäten der unterschiedlichen Ranzen-Marken.
Erziehung ist also Klassenfrage. Keine Überraschung. Aber im Falle von Penners Buch überraschend witzig.
Migrantenmutti Elina Penner Aufbau Verlag 2023, 208 S., 18 €
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