Würde sie die Zeit um etwa zehn Tage zurückdrehen wollen? Bahar Aslan, 38, überlegt kaum und sagt entschieden: Nein. Denn am 20. Mai twittert sie: „Ich bekomme mittlerweile Herzrasen, wenn ich oder meine Freundinnen in eine Polizeikontrolle geraten, weil der ganze braune Dreck innerhalb der Sicherheitsbehörden uns Angst macht. Das ist nicht nur meine Realität, sondern die von vielen Menschen in diesem Land #Polizeiproblem.“ Was dann folgt, ist ein „Shitstorm, den ich so noch nicht erlebt habe“, sagt Aslan. „Ich war weniger in meiner Rationalität als in meiner Emotionalität, als ich den Tweet verfasste“, sagt die Lehrerin, die hauptamtlich an einer Realschule arbeitet, am Telefon.
Michael Mertens, NRW-Chef der Gewerkschaf
ewerkschaft der Polizei (GdP), vermutet dennoch eine „Rassismuskeule“ bei Aslans Tweet. „Wer sich öffentlich so äußert, will die Gesellschaft spalten“, schrieb er. „Konstruktive Diskussion ja, so allerdings nicht!“Die Bezichtigte erhält nun Hassnachrichten auf Twitter im Minutentakt, vor allem aus eher polizeifreundlichen Kreisen. Im mildesten Falle glaubten eine Menge Menschen, Bahar Aslan ein „Dann-geh-doch-in-deine-Heimat-wenn-es-Dir-hier-nicht-gefällt“ entgegentwittern zu dürfen. Wer hier die Gesellschaft spalten will und wer nicht, darüber könnte man ein Musical in fünf Akten schreiben. Oder eine Netflixserie mit mehreren Staffeln. Irgendwann.Aslan, als älteste Tochter einer eingewanderten Arbeiterfamilie in Köln aufgewachsen, wurde nach einigen Polizeiskandalen in NRW im Januar 2022 als Lehrbeauftragte für „Interkulturelle Kompetenz“ an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Gelsenkirchen am Standort Duisburg eingestellt. Nach dem besagten Tweet, dessen Wortwahl „brauner Dreck“ sie inzwischen bedauert, wird sie nun aus dem aktuellen Vertrag mit der Hochschule entlassen. Interessant daran: Aslan habe dies aus den Medien erfahren, wie sie erzählt. Nun klagt ihr Anwalt gegen den Rauswurf. Auch die Bezirksregierung Münster prüfe als Schulaufsicht den Vorgang, da Aslan verbeamtete Lehrerin ist. Ihr Anwalt sieht auch hier kein Vergehen, da die Äußerung außerdienstlich gefallen sei. Inzwischen ist ein offener Unterstützerbrief mit mehreren Hundert Unterschriften erschienen, mehrheitlich von Medien-und Politprominenz. Dort wird der „Umgang mit einer migrantischen Frau, die sich für eine bessere Polizei einsetzt“, kritisiert. Der erste Satz des Briefs „Wir stehen hinter der Polizei“ wird nun ebenfalls kontrovers diskutiert. Denn: Können migrantische und linke Menschen die Polizei in dieser Form anerkennen und diesen Satz so unterschreiben? Eine Frage, die sich wohl jede, die die harten Reaktionen auf einen emotional verfassten Tweet ungläubig beobachtet, ebenfalls stellt. Die Verfasser erklärten zu ihrem offenenen Brief nur, dass sie „keine Angriffsfläche“ bieten wollten.Was bleibt, ist die Reaktion und der Umgang mit dem, was Bahar Aslan kritisiert, und die Konsequenzen daraus. „Ich wurde ja damals empfohlen, um migrantische Perspektiven in die Polizeiarbeit einzubringen“, erzählt sie. Nun fragt sie sich: „Wie ernst meinen sie es?“ Sie werde gefeuert, und das sei auf jeden Fall „ein Widerspruch zu dem, was meine Arbeit an der Hochschule angeht“. Ob sie gedacht hätte, dass das Thema struktureller Rassismus sie nicht mehr betreffe, weil sie sich eben gesellschaftlich einsetzt und sogar an der Ausbildung für Polizistinnen beteiligt ist? „Es ist doch Konsens“, sagt Aslan, „dass wir gemeinsam gegen Rechtsextremismus kämpfen. Aber es ist krass, dass es nicht so ist.“ Generell zeige der Umgang mit ihr, wie ernst oder notwendig der Kampf gegen Rassismus und Rechtsextremismus sei.Auch sie kenne das noch von ihren Eltern: Lieber die Klappe halten! Von klein auf sei ihr eingebläut worden: „Du bist keine Deutsche, sei lieber leise.“ Darf sich Aslan nun auf Meinungsfreiheit berufen, als Lehrbeauftragte einer Polizeihochschule, die sich öffentlich wiederholt gegen rechtsextreme Umtriebe äußerte und bereits als Lehramtsstudentin ein Buch über rechten Terror und Rassimus herausgab – also sich schon länger mit dem Thema befasste? Anlass für Aslans Befürchtungen könnten zum Beispiel Meldungen wie diese sein: Seit 2020 hatten rechtsextreme Chats von mehreren Polizisten aus Nordrhein-Westfalen immer wieder bundesweit für Aufsehen gesorgt. Laut dem Lagebericht des Verfassungsschutzes aus dem vergangenen Jahr verzeichnet NRW mit 54 Personen die höchste Zahl an „erwiesenen Rechtsextremisten oder Verdachtspersonen“ von allen Bundesländern. Aslans Tweet dazu und die heftige Diskussion, die dieser auslöste, verrät einiges darüber, wie es um die Erfahrungswerte und die Annahmen darüber, wer sich wann wozu äußern sollte, hierzulande steht.Das Einzige, was gerade hilft, sagt Aslan, ist die öffentliche Solidarität und der Zuspruch von den Studentinnen und Studenten der Hochschule. Eine Bachelorarbeit, die sie als Erstgutachterin betreuen sollte, wurde ihr entzogen, obwohl sie die Genese der Arbeit eng betreute. Kurse wie „Interkulturelle Kompetenz“, die sie gab, seien nicht der Schlüssel für den Kampf gegen strukturellen Rassismus. Da müsse viel weiter gedacht werden: Etablieren einer Fehlerkultur etwa, oder unabhängige Ermittlungsbehörden.Auch dürfe man sich nicht darauf verlassen, dass Rassismus nicht mehr vorhanden sei, wenn 35 Prozent der Polizei Migrationsgeschichte haben. Bahar Aslan bleibt weiterhin Lehrerin und prüft nun drei Angebote, die sie von anderen Hochschulen erhalten habe. Vor allem werde sie sich erholen, „denn die letzte Woche war hart“.