Am 16. November gab es ein großes Aufatmen: Nach mehreren Treffen zwischen Abgesandten der Sozialistischen Partei PSOE mit dem exilierten Carles Puigdemont in dessen Brüsseler Büro sowie einem Telefonmarathon gab es die Zusage der vom katalanischen Ex-Regierungschef gelenkten Partei Junts per Catalunya, für die Investitur von Pedro Sánchez als Premierminister zu stimmen. Die Gegenleistung: ein Katalog von Forderungen, die vor allem um eine Amnestie für alle kreisten, die für Angeklagte und Verurteilte gedacht war, die am katalanischen Unabhängigkeitsreferendum von 2017 beteiligt waren. Puigdemont hatte noch vor der Amtsübernahme durch Sánchez eine konstruktive Zusammenarbeit mit dessen Regierung versprochen.
Die Spannungen zwischen Podemos u
n Podemos und Sumar haben sich verschärftDeren Basis ist eine Koalition zwischen dem PSOE und dem von Yolanda Díaz geführten Linksbündnis Sumar, dem sich Podemos – in der letzten Regierung noch führender Koalitionspartner – angeschlossen hatte mit dem Versprechen, die neue Regierung loyal zu unterstützen. Dann war am 5. Dezember einer Presseerklärung von Ilone Belarra, neue Generalsekretärin von Podemos, zu entnehmen, dass man mit Sumar breche, doch mit den fünf Podemos-Abgeordneten Sánchez weiter unterstützen werde. Podemos hatte für Irene Montero, Psychologin und Gleichstellungsministerin im vorangegangenen Kabinett, einen Ministerposten in der neuen Regierung verlangt. Dagegen sperrte sich Yolanda Díaz, Gründerin und Leitfigur von Sumar, hartnäckig. Sie tat das auf eine von Podemos als verletzend empfundene Weise. In der Folge fand aus Sicht von Podemos eine weitgehende Marginalisierung der Partei statt, über viele Jahre entscheidende Kraft der alternativen Linken in Spanien. Kurz: Am Ende steht die persönliche Feindschaft zwischen Belarra/Montero und Yolanda Díaz, der psychologische Hintergrund des Austritts von Podemos aus dem Bündnis Sumar. Stoff für eine Psychotherapie. Nur wie das jetzt politisch ausagieren?Am 10. Januar dann während der ersten regulären Sitzung des Parlaments brachte die neue Regierung drei „Dekrete“ zur Abstimmung ein. Bei jedem handelte sich um ein Bündel von Gesetzen, ein von der spanischen Verfassung zugelassener Modus zur beschleunigten Verabschiedung von Gesetzen. Eines dieser Pakete enthielt Maßnahmen zum Schutz sozial schwacher Opfer von Inflation und Wirtschaftskrise. Bei einem zweiten ging es um eine Reform von Abläufen im Justizsystem, beim dritten um Veränderungen bei den vom Staat finanzierten Rentenbeiträgen für über 52 Jahre alte Arbeitslose. Dies kam aus dem von Yolando Dïaz geleiteten Ministerium für Arbeit und Sozialwirtschaft.Puigdemont ließ vorweg aus Brüssel verlauten, dass seine Partei Junts per Catalunya mit ihren für eine Mehrheit unverzichtbaren sieben Abgeordneten gegen alle drei Pakete stimmen werde, sowohl aus Formgründen (Gesetzespakete statt Einzelgesetze) als auch wegen der Inhalte, etwa wegen der Befürchtung, das Justizpaket könne die geplante Amnestie, die eigene inklusive, gefährden.Gesetze werden nur dann nicht verhindert, wenn das zu Vorteilen für Katalonien führtBis buchstäblich zur letzten Minute der Parlamentssitzung liefen die Telefone zwischen der Regierung und Brüssel heiß: ein Erpressungsszenario wie in einem schlechten Film. Ergebnis: Zugeständnisse der Regierung für die Änderung einiger Gesetze und das Abtreten einiger beim Staat liegenden Kompetenzen an Katalonien. Am Ende blieb Junts per Catalunya der Abstimmung fern, zwei der drei Pakete fanden eine Mehrheit. Die Botschaft: Es werden nur dann Gesetze nicht verhindert, wenn das zu Vorteilen für Katalonien führt. Aber auch Podemos ließ vor der Parlamentssitzung mitteilen, über die Stimmen ihrer fünf Abgeordneten wäre noch nicht entschieden, besonders was das von Yolanda Díaz erarbeitete Paket zu den Rentenbeiträgen für ältere Arbeitslose betreffe. Das roch stark nach einem Racheakt von Belarra und Montero für die Marginalisierung ihrer Partei und die Ausschaltung von Irene Montero bei der Regierungsbildung.Tatsächlich brachte dann nicht Puigdemont, sondern Podemos das dritte Paket zu Fall. Auch ein Appell von Oscar Matute, Führungsfigur der baskischen linksnationalistischen Partei EH Bildu (heute zweitstärkste Partei im Baskenland) half nichts. Der erinnerte Podemos an ihre Verantwortung mit den Worten: „Wir haben uns bisweilen geirrt, aber niemals, was die Feinde und die Schützengräben betrifft.“ Er sprach dann von Parallelen zwischen der aktuellen politischen Situation und der von 1936 vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs. Ohne Wirkung. Das Paket fand keine Mehrheit. Düstere Aussichten für die für vier Jahre angetretene Regierung.In der Tat rufen die Zuspitzungen im Land finstere Erinnerungen wach. Santiago Abascal etwa, Chef der faschistischen Partei Vox, nutzte kürzlich einen Presseauftritt in Buenos Aires, wo er sich anlässlich der Amtsübernahme des neuen argentinischen Präsidenten Javier Milei als dessen persönlicher Gast aufhielt, zu folgender Warnung: „Es wird der Moment kommen, da das spanische Volk Sánchez an den Füßen aufhängen wird“, mit der späteren Ergänzung: „… so wie es vielen Diktatoren erging“. Davon angespornt nutzten seine Anhänger den Aufruf dazu, vor der PSOE-Parteizentrale in Madrid eine Riesenpuppe mit dem Gesicht von Pedro Sánchez mit Knüppeln zu zerfetzen. Der Vox-Abgeordnete Ortega Smith schleuderte einem linken Politiker eine Plastikflasche ins GesichtUnd die Gewalt macht Schule: Im Parlament der Autonomen Region Madrid griff der Vox-Abgeordnete Ortega Smith einen linken Abgeordneten an und schleuderte ihm eine Plastikflasche ins Gesicht. Kurz danach kündigten die Faschisten einen neuen Gesetzentwurf an, der das Verbot von nationalistischen Parteien, die das Recht auf Selbstbestimmung fordern, und die Verhaftung ihrer Führer vorsieht. Der rechte Partido Popular (PP) folgte dem einige Tage später in abgemilderter Form. Unterdessen hebeln PP und Vox in den von ihnen regierten Regionen im Rahmen ihrer Kompetenzen das „Gesetz zur historischen Erinnerung“ aus, welches auf die Aufarbeitung von Verbrechen der Franco-Diktatur zielt.Und die EU schweigt nicht nur zu alledem, sondern liefert, vom PP mobilisiert, den rechten und faschistischen Kräften Spaniens Schützenhilfe mit Warnungen vor dem geplanten Amnestiegesetz, dessen endgültige Fassung vom Parlament noch gar nicht verabschiedet worden ist.