Sozialistische Republik Katalonien: Linke Aktivisten gegen Übertourismus

Protest „Ar­ran“ nennt sich die Gruppe und gilt im zu 60 Prozent linksorientierten Spektrum Kataloniens als Ju­gend­be­we­gung der am klar­s­ten an­ti­ka­pi­ta­li­s­ti­schen Partei. Die se­paratistische CUP hat allerdings kein Durchgriffsrecht
Ausgabe 49/2023
„Eine sozialistische Republik, außerhalb der Europäischen Union“, das ist das Ziel der linken Aktivist:innen der Gruppe „Arran“
„Eine sozialistische Republik, außerhalb der Europäischen Union“, das ist das Ziel der linken Aktivist:innen der Gruppe „Arran“

Foto: picture alliance/ZUMAPKESS.com/Marc Asensio Clues

Diese Aktivisten will ich kennenlernen, seit sie vor Jahren in Barcelona einen Reisebus stoppten und die Reifen aufstachen. Sie protestierten damit gegen den „Übertourismus“, der die überlaufene Destination Barcelona erstickt. Die Gruppe heißt Arran und gilt im momentan zu 60 Prozent linksorientierten Spektrum Kataloniens als Jugendbewegung der am klarsten antikapitalistischen Partei, ohne dass die separatistische CUP ein Durchgriffsrecht hätte.

Vielleicht weil ich verspreche, meine Leserschaft von Barcelona-Reisen abzuhalten, empfängt man mich nach langem Betteln. Die Arran-Sektion von Gràcia, einem sehr antispanisch eingestellten und sehr touristischen Viertel, hat sich schon einmal maskiert an Antoni Gaudís berühmten Drachen im Park Güell gekettet. Man bestellt mich ins Café La Barraqueta. Der umliegende Kiez atmet eine linke Ästhetik, eine Hauswand wird mit einem Mural bemalt, die Gentrifizierung ist allerdings zum Greifen präsent. Expats führen auf Englisch ihre Hündchen aus.

Ricky, ein schlaksiger, weitgehend schwarz gekleideter Student, schiebt den Rollladen hoch und macht mir einen „Tallat“, einen katalanischen Macchiato. Da der zukünftige Mittelschullehrer für Philosophie hier kellnert, kennt er das Dilemma: Weil das Lokal ein Recht auf Schönheit reklamiert, zieht es Touristen an. Auch die Agitprop-Plakate im frühsowjetischen Design machen etwas her, und dann ist La Barraqueta als Non-Profit-Betrieb auch noch ziemlich billig.

Ricky selbst stand noch nicht vor Gericht, sehr wohl aber Genossen, die sich beim Unabhängigkeitsvotum am 1. Oktober 2017 an die Börse ketteten. Die Amnestie für die Separatisten um den im Exil lebenden Carles Puigdemont findet er „clever“, Premier Pedro Sánchez schwäche damit die Bewegung für die Unabhängigkeit. Ricky moniert, „dass die Amnestie an die Bedingung gebunden ist, dass die Betroffenen so etwas nie wieder tun“. „Wir sind Kommunisten“, sagt er, „wir kommen von den Befreiungsbewegungen“.

Vorbild Kuba

Sein Ziel sei „eine sozialistische Republik, natürlich außerhalb der Europäischen Union“. Die EU habe erstens in der Finanzkrise 2008, dann während der Flüchtlingskrise 2015 und jetzt durch die Unterstützung Israels „ihr wahres Gesicht gezeigt“. Der Kampf für Unabhängigkeit sei nur durch Sozialismus möglich, und Sozialismus nur „durch die Zerstörung des spanischen Staates“. Spanien sei so unabdingbar um Katholizismus und Zentralismus gebaut, dass nur eine Zerschlagung helfen könne. Wie sich die „tiefere Demokratie“ der sozialistischen Republik zum Thema Tourismus verhalten würde, weiß er noch nicht so genau. Einerseits „kann man die Grenzen nicht schließen“, andererseits sollte man sie doch kontrollieren, „aber nicht auf eine superautoritäre Weise“. Ricky würde die Tourismusbranche verstaatlichen. Gibt es irgendwo ein Vorbild? Er zögert kurz: „Kuba vielleicht.“

Zwischendurch zeigt er mir seinen Anwohnerausweis, mit dem man jederzeit gratis im Park Güell spazieren gehen darf. Vor der Einführung von Eintrittspreisen liefen bis zu 5.000 Menschen pro Stunde hindurch, augenblicklich dürften es nur noch 800 sein. Gaudís nahe Megaattraktion „Sagrada Familia“ hat er noch nie betreten. „Wir sehen sie als etwas Touristisches und nicht als Barcelona.“

Da Ricky keine Mehrheit für ein sozialistisches Katalonien sieht, würde er sich zunächst auf das Ziel weniger Tourismus konzentrieren. Will Arran das durch Abschreckung erreichen? – „Nein.“ – „Das wäre aber leicht“, versuche ich ihn aufzustacheln. „Touristen aus Mitteleuropa sind sehr furchtsam.“ Er lacht und sagt noch einmal: „Nein.“ Seine Gruppe wolle eine Debatte lostreten, was ihr gelungen sei. „Seit 2017 ist das Thema auf dem Tisch.“

Was soll ich meiner Leserschaft ausrichten? Kommt nicht? Ricky liebt es, seine katalanische Kultur mit anderen zu teilen, „der Tourismus bringt mich aber dazu, meine Kultur zu verkaufen“. Besonders britische Touristen würden die Einheimischen anglotzen „wie einen Teil der Natur“. Schließlich richtet er aus: „Wenn ihr herkommt, werdet ihr ein falsches Bild von Barcelona sehen. Ihr werdet eine Maske sehen, über die wir uns lustig machen.“

Serie Europa Transit Regelmäßig berichtet Martin Leidenfrost über nahe und fernab gelegene Orte in Europa

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