Die Wahlen in Spanien, in denen eine vernichtende Niederlage der linken Regierung erwartet wurde, sind vorbei, und das (vorläufige) Ergebnis ist folgendes: Die Rechtspartei Partido Popular kommt auf 33,05 Prozent und 136 Abgeordnete, die Sozialistische Partei PSOE auf 31,7 Prozent und 122 Abgeordnete, die faschistische Partei Vox auf 12,39 Prozent und 33 Abgeordnete, und das Linksbündnis Sumar, das mit den Sozialisten koalieren möchte, auf 12,31 Prozent und 31 Mandate. Mit 169 Abgeordneten würde eine Koalition von PP und Vox die absolute Mehrheit von 176 Abgeordneten also verfehlen.
Inflation der Umfragen
In seiner letzten Umfrage kurz vor den Wahlen kam das Institut GAD3 auf 37,2 Prozent und 160 Sitze für den Partido Popular mit großem Abstand zu den Sozialiste
rz vor den Wahlen kam das Institut GAD3 auf 37,2 Prozent und 160 Sitze für den Partido Popular mit großem Abstand zu den Sozialisten mit nur 28,5 Prozent und 113 Abgeordneten. Mit den vorausgesagten 28 bis 30 Vox-Parlamentariern war damit, wie Narciso Michavila, Chef von GAD3, in Interviews versicherte, die Mehrheit für eine Regierung PP-Vox garantiert – kein Kunststück bei einer Differenz von fast neun Prozent zwischen PP und PSOE. Er machte sich über die Politiker lustig, die etwas anderes behaupteten. Aber auch in den von eher regierungsfreundlichen Medien wie El País veröffentlichten Umfragen war der Vorsprung der Rechtspartei erdrückend, eine Neuauflage der Linkskoalition unmöglich.Nun gab es vor diesen Wahlen eine regelrechte Inflation von fast täglich neuen Umfragen, die alle einen Wahlsieg für ein Bündnis aus Rechten und Faschisten voraussagten. Einen systematischen Voraussagefehler („bias“) gab es auch schon bei anderen Wahlen in anderen Ländern (s. den Wahlsieg von Donald Trump 2016). Das Interessante in Spanien war diesmal, dass die Niederlage der Sozialisten umso erdrückender war, je regierungsfeindlicher das Medium agierte, das die Umfrage bezahlte: Demoskopie als Gefälligkeitsleistung zur Unterfütterung der politischen Linie des jeweiligen Auftraggebers? Natürlich war es mehr als das: Die niederschmetternden Voraussagen führten zeitweise zur Lähmung des linken Wahlkampfs und zur Resignation potenzieller Wähler. Und tatsächlich hatten ja PP und Vox nach den Regional- und Kommunalwahlen am 28. Mai massenhaft sozialistische Regierungen in Städten, Provinzen und Regionen verjagt.Taktische FehlerDas reicht aber nicht, um die überraschende Erholung der Sozialisten zu erklären: nur ein Prozent statt neun hinter der Rechtspartei und statt eines Einbruchs sogar zwei Sitze mehr im neuen Parlament. Und in der Tat: Im Finale des Wahlkampfs ist einiges für Alberto Núñez Feijóo schiefgelaufen: Vor einer Debatte im öffentlich-rechtlichen Fernsehkanal TVE1 mit Pedro Sánchez (PSOE) und Yolanda Díaz (Sumar), den beiden Kandidaten einer Linkskoalition, hatte er sich gedrückt. Er zog es vor, seine geplante Kumpanei mit den Faschisten nicht in einem gemeinsamen Auftritt mit Vox-Chef Santiago Abascal vor den Kameras für alle Zuschauer sichtbar zu machen. Aus der Debatte am 17. Juli gingen Yolanda Díaz und Pedro Sánchez, beide in bester Form, gestärkt hervor.Wenige Tage danach wurde Feijóo im gleichen Fernsehkanal von Silvia Intxaurrondo interviewt. Statt der verbreiteten Unterwürfigkeit bestand die mutige Journalistin auf der Klärung der falschen Behauptung von Feijóo, die PP-Regierungen hätten die Renten immer um den Inflationsausgleich erhöht. Schließlich musste Feijóo zugeben, dass das nicht zutraf. Andere Lügen wurden ebenso unwiderruflich aufgedeckt. In der gleichen Zeit tauchte Feijóos während des Wahlkampfs erfolgreich ausgeklammerte jahrelange Freundschaft mit dem Drogenboss Marcial Dorado wieder auf. Feijóos Entschuldigung: In den Zeiten ohne Google sei es ihm nicht möglich gewesen, sich über die dunkle Seite seines Freundes zu informieren.Gleichzeitig wurden in der Schlussphase des Wahlkampfs immer mehr Maßnahmen der gerade gebildeten Regierungen aus PP und Vox auf regionaler und kommunaler Ebene bekannt: Abschaffung der Ministerien und Gemeinderäte für Gleichstellung der Geschlechter, Entfernung von Fahnen und Plakaten der LGBT-Initiativen, Streichung von Theaterstücken von Lope de Vega (1562–1635) und Virginia Woolf sowie des Films „Lightyear“ (in dem sich zwei Mädchen küssen) in lokalen Kulturprogrammen. Alles das hat wohl bei Wählern, die nur den verhassten Pedro Sánchez zum Teufel jagen wollten, ein gewisses Gruseln und womöglich ein Nachdenken ausgelöst.Abgewendete VernichtungWie kann es jetzt angesichts dieser Wahlergebnisse weitergehen? Was eine Neuauflage einer linken Regierungskoalition betrifft, muss zwischen der abgewendeten „Vernichtung“ des PSOE mit ihrem Kandidaten Pedro Sánchez und der Situation des möglichen Koalitionspartner Sumar mit dessen Kandidatin Yolanda Díaz unterschieden werden: Während Unidas Podemos noch mit 42 Abgeordneten im Parlament vertreten waren, hat Sumar, in der Unidas Podemos aufgegangen ist, nur noch 31. Der Koalition PSOE-Sumar fehlen also mit 153 Abgeordneten 23 Stimmen für die absolute Mehrheit. Selbst mit der Unterstützung aller nationalistischen Splitterparteien würden vier Stimmen zur absoluten Mehrheit fehlen.Bleiben die sieben Stimmen von Carles Puigdemonts „Junts per Catalunya“: Strikt für die Unabhängigkeit Kataloniens, ist ihnen die Regierbarkeit Spaniens egal. PP und Vox dagegen, in der Summe 169, dürften die für die absolute Mehrheit fehlenden sieben Stimmen bei den restlichen Parteien vergebens suchen. Wenn sich die Rechtspartei im übergeordneten Staatsinteresse beim zweiten Wahlgang, wenn es um einen neuen Regierungschef geht, nicht enthält, was an ein Wunder grenzen würde, stände Spanien vor einer Blockadesituation – die Wiederholung der Wahlen wäre unvermeidlich. Eine rechtsfaschistische Regierung ist zwar somit erst einmal abgewendet, aber wie es in Spanien weitergeht, steht in diesem Moment in den Sternen. Bis zu einer Wiederholung der Wahlen würden einige Monate vergehen. Die Chance für eine linke Regierungsmehrheit könnte dann darin bestehen, dass das Agieren der PP-Vox-Regierungen in Regionen, Provinzen und Kommunen noch mehr Wähler das Gruseln lehrt.