Parlamentswahl in Spanien: Fahrt in einen düsteren Tunnel
Rechtsruck Die faschistische Vox legt zu und die in den Umfragen führenden Konservativen scheuen das Bündnis nicht. Wenn Spaniens Sozialisten unter Pedro Sánchez nicht in letzter Minute den Trend umkehren, winkt dem Land eine extrem rechte Regierung
Ein Parteibanner reklamiert Ebenbürtigkeit mit den Nationalfarben
Foto: Jon Nazca/Reuters/dpa
Nach dem atemberaubenden Durchmarsch der Rechten bei den Kommunal- und Regionalwahlen läuft die Kampagne der rechten Medien vor der zum 23. Juli anberaumten Parlamentswahl auf Hochtouren. Der sozialistische Premier Pedro Sánchez verwandelt sich dabei in eine Inkarnation des Bösen. Das gipfelt in dem Slogan „Sánchez oder Spanien“. Fast täglich erscheinen Umfragen, die einen nicht mehr aufhaltbaren Sieg des rechten Partido Popular (PP) voraussagen, jedoch ohne absolute Mehrheit. Als wäre das völlig normal, setzten die Kommentatoren auf eine Koalition des PP mit der faschistischen Partei Vox.
Wenigstens ist Pedro Sánchez aus der Schockstarre erwacht und greift an. Er, der seit Jahren die rechten Fernsehsender gemieden hat, trat plötzlich
ubenden Durchmarsch der Rechten bei den Kommunal- und Regionalwahlen läuft die Kampagne der rechten Medien vor der zum 23. Juli anberaumten Parlamentswahl auf Hochtouren. Der sozialistische Premier Pedro Sánchez verwandelt sich dabei in eine Inkarnation des Bösen. Das gipfelt in dem Slogan „Sánchez oder Spanien“. Fast täglich erscheinen Umfragen, die einen nicht mehr aufhaltbaren Sieg des rechten Partido Popular (PP) voraussagen, jedoch ohne absolute Mehrheit. Als wäre das völlig normal, setzten die Kommentatoren auf eine Koalition des PP mit der faschistischen Partei Vox.Wenigstens ist Pedro Sánchez aus der Schockstarre erwacht und greift an. Er, der seit Jahren die rechten Fernsehsender gemieden hat, trat plXX-replace-me-XXX246;tzlich am 27. Juni in der Primetime-Sendung El Hormiguero von Kanal Antena 3 auf, die Pablo Motos durch seine aggressiven Interviews berühmt gemacht hat. Sánchez tat dort, was ihm zuvor der sozialistische Ex-Premier José Luis Zapatero empfohlen hatte – in die Blase der regierungsfeindlichen Propaganda hineinzustechen und die fabrizierten Mythen zu demontieren. Entspannt und zielgenau erklärte er den Unterschied zwischen veröffentlichter und öffentlicher Meinung. Um am Ende zu fragen, wie es möglich sein kann, dass die Position der Reformkräfte, die in Spanien während der vergangenen Jahre stark genug waren, eine linke Regierung zu ermöglichen, in den Medien kaum vorkommt. Er zog Parallelen zu Fox Newsin den USA, nicht ohne Ironie. Die rechten spanischen Medien hatten ausgerechnet ihn als „Trumpisten“ beschimpft.Sánchez erinnerte an seine Neuorientierung im Katalonienkonflikt, um von einer „Justizialisierung“ zu einer Politik des Zusammenlebens zu kommen, begleitet von der Abschaffung des „Aufruhrs“ als Straftat, die katalanischen Politikern langjährige Freiheitsstrafen eingebracht hatte – in Europa ein Anachronismus. Tatsächlich konnte eine Begnadigung der Verurteilten die Region spürbar beruhigen, in der die katalanischen Sozialisten unter Salvador Illa inzwischen die stärkste Kraft sind. Die Rechte und ihre Medien beschimpfen diese neue Politik als „Belügen des Wählers“. Sánchez stellte dem eine kalkulierte Lüge seines Rivalen, des PP-Vorsitzenden Alberto Nuñez Feijóo, gegenüber. Der hatte nach der rechtskräftigen Verurteilung der islamistischen Attentäter vom 11. März 2004 in Madrid (193 Tote) behauptet, hinter dem Anschlag könne die baskische ETA stecken. Offenbar sollte das Motiv des Attentats verwischt werden: der militärische Beistand der damaligen Rechtsregierung unter José María Aznar für den völkerrechtswidrigen Überfall der USA auf den Irak. Diese Unterstützung hatte zu einer Wahlniederlage Aznars geführt. Die überraschten Mainstreammedien, die Pedro Sánchez schon für politisch tot erklärt hatten, reagierten verstört und wütend auf dieses Interview.Premier Pedro Sánchez geht in die OffensiveNicht lange danach, am 3. Juli, tauchte er im Programm von Ana Rosa auf, einer Primetime-Sendung des Kanals Tele 5, deren Protagonistin Ana Rosa Quintana für ihre regierungsfeindliche Haltung bekannt ist. Sánchez nahm gekonnt und gut vorbereitet die medialen Lügen auseinander: Er hätte den Wählern versprochen, nie mit dem linksalternativen Bündnis Unidas Podemos eine Regierung zu bilden; er hätte mit den Ex-ETA-Terroristen der baskischen Partei Bildu ein Regierungsbündnis gebildet; er hätte sein Versprechen gebrochen, die katalanischen „Separatisten“ mit der ganzen Härte des Gesetzes zu bestrafen usw. Kurz: Er sei ein Freund von Terroristen und „Putschisten“, damit selbst ein „Putschist“ und seine Regierung daher „illegitim“. Sánchez zerlegte alle diese „fakes“ ruhig und freundlich, und Ana Rosa Quintana, die dem geladenen Premier schlecht das Wort abschneiden konnte, wurde immer kleinlauter und ratloser. Zum Thema manipulierte Berichterstattung zählte er die Erfolge seiner Regierung auf, die in den Medien faktisch ausgeblendet würden: ein von 735 auf 1.080 Euro erhöhter Mindestlohn, ein Plus beim Bruttosozialprodukt in den zurückliegenden zwölf Monaten um 4,2 Prozent, weniger prekäre Arbeitsverhältnisse, 2023 eine Rentenerhöhung um 8,5 Prozent. Am Ende verließ Sánchez entspannt das Fernsehstudio.Von da an blieb die Sozialistische Partei PSOE offensiv, indem sie täglich Verhandlungen und Pakte zwischen der Rechtspartei PP und den Faschisten in den Regionen und Kommunen anprangerte. Es gelang ihr, den Absturz in den Umfragen zu bremsen, sogar den Abstand zum Partido Popular etwas zu verringern. Die Chance auf eine Regierungsmehrheit mit dem neuen Linksbündnis Sumar blieb aber außer Reichweite.Und dann die lange erwartete Fernsehdebatte am 10. Juli zwischen Sánchez und dem PP-Spitzenkandidaten Alberto Núñez Feijóo, das einzige von diesem akzeptierten Duell mit seinem Rivalen. Zuweilen entstand der Eindruck, bei einer dieser unsäglichen Klatschsendungen des gleichen Senders Antena 3 gelandet zu sein, wenn sich drei Frauen und zwei Männer wegen der Trennung des Fußballers Gerard Piqué von der Sängerin Shakira ankeifen. Bei Sánchez und Feijóo sind oft nur Satzfetzen zu vernehmen, ständig fällt einer dem anderen ins Wort, kurz: eine Kakofonie. Da balgen sich zwei Kampfhähne vor zwei ratlosen Moderatoren.Die Konservativen schielen auf einen Pakt mit der faschistischen Vox-ParteiPedro Sánchez brachte seinen Trumpf erst gar nicht ins Spiel, den Status des Regierungschefs, der noch einige Tage zuvor feierlich das Amt des EU-Ratspräsidenten übernommen hatte, ein Staatsmann also, der sich als solcher vom Eifer seines zum Erfolg verurteilten Herausforderers abhebt. Nervös fiel er auf alle Provokationen von Feijóo herein, und in den wenigen verständlichen Fragmenten wiederholte er immer dasselbe, nämlich die positive Bilanz seiner Regierung. Und das 90 Minuten lang. Ein vermasselter Auftritt. Auf den wundesten Punkt, nämlich den zwingenden Pakt mit Vox nach dem erwarteten Wahlsieg, ging Feijóo erst gar nicht ein. Kein Wort zu deren in Regionen und Kommunen bereits in der Umsetzung befindlichen faschistischen Agenda.Stattdessen hatte er sich zur präventiven Rechtfertigung dieses Pakts eine „Schelmerei“ ausgedacht: Feijóo unterschrieb vor laufender Kamera ein vorbereitetes Schriftstück, in dem er sich verpflichtet, mit den Stimmen des Partido Popular eine Regierung von Sánchez zu ermöglichen, sollten die Sozialisten als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen – natürlich nur, wenn Sánchez sich per Unterschrift verpflichtet, im umgekehrten Fall das Gleiche zu tun. Als er Sánchez das Schriftstück zuschob, brach dieser zu Recht in Gelächter aus, ist doch das Prinzip – die stärkste Partei bildet die Regierung – nach den Regional- und Kommunalwahlen im Mai von der Rechtspartei in Hunderten von Fällen mit Füßen getreten worden, zuletzt bei der Regierungsbildung in Extremadura, wo der PP mit den Faschisten paktiert, obwohl der PSOE in dieser Region die stärkste Partei ist. Zudem spaltet sich die Linke wie seit vielen Jahren in zwei Parteien auf, diesmal PSOE und Sumar. Ein Grund, weshalb die Sozialisten allein kaum stärkste Partei werden können.Spanien ist dabei, am 23. Juli in einen „düsteren Tunnel“ hineinzufahren, so Pedro Sánchez, wenn nicht noch etwas Unerwartetes, was das sozialistische Wählerpotenzial aus seiner Lethargie herausreißt, alle Prognosen zunichtemacht.