Spanien: Pedro Sánchez muss bis Ende November eine neue Regierung präsentieren

Programm Sozialisten und Linksallianz Sumar haben sich auf eine politische Agenda verständigt, für die sie bisher aber noch keine Mehrheit im Parlament haben. Vor allem die katalanischen Parteien werden umworben
Ausgabe 44/2023
Pedro Sanchez und Yolanda Diaz sind sich einig, aber reicht das?
Pedro Sanchez und Yolanda Diaz sind sich einig, aber reicht das?

Foto: Imago / SOPA Images

Nach wochenlangem Schweigen gibt es endlich Konkretes bei den Verhandlungen über eine neue „fortschrittliche Regierung“ in Madrid. Aber die Annahme täuscht, eine erneute Investitur von Pedro Sánchez als Ministerpräsident sei damit gesichert. Zunächst einmal haben sich die Sozialistische Partei PSOE und das Linksbündnis Sumar auf das Programm einer künftigen Koalitionsregierung geeinigt. Es handelt sich mehr um eine Absichtserklärung zweier Parteien, die über keine Mehrheit in einem Parlament mit insgesamt 350 Abgeordneten verfügen. Die 121 PSOE-Parlamentarier und die 31 von Sumar kommen zusammen auf 152 Mandate, womit 24 zur absoluten Mehrheit fehlen. Ohne die 14 Stimmen der katalanischen Parteien ist ein Verbleib von Pedro Sánchez als Regierungschef kaum denkbar – er braucht nicht zuletzt die sieben Abgeordneten von Junts per Catalunya, deren Kopf Carles Puigdemont im belgischen Exil lebt und in Spanien zur Fahndung ausgeschrieben ist. Die anderen sieben Stimmen müssten von der Republikanischen Linken ERC kommen. Ob es letztlich einen Regierungsauftrag für Sánchez gibt, steht wegen der ungeklärten Bedingungen dieser Parteien somit weiter in den Sternen.

Eine Bedingung ist eine Amnestie für alle Beteiligten wegen des nicht gesetzeskonformen Vorgehens vom 1. Oktober 2017, als es in Katalonien ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region gab. Die andere ist die von den Sozialisten strikt abgelehnte Anerkennung des Rechts auf Selbstbestimmung für die Katalanen, worüber dann in einem Plebiszit erneut abgestimmt werden könnte.

Nicht einmal mit den 31 Abgeordneten von Sumar kann der amtierende Premier sicher rechnen. Zu der von Yolanda Díaz angeführten Linksallianz gehört die Partei Podemos, die es noch immer nicht verkraftet hat, wie ihre Galionsfigur Irene Montero als Ministerin für Gleichheit im bisherigen Kabinett kaltgestellt wurde. Montero war an der Seite des aus der Regierung ausgescherten Pablo Iglesias jahrelang eine Ikone von Podemos als einer Partei mit linksalternativen Wurzeln. Jedenfalls weigerte sich Podemos dieser Tage, eine Garantie für die Unterstützung von Pedro Sánchez abzugeben.

Das nun vorgelegte Programm einer denkbaren Koalition gerät zwar höchst ausführlich, liest sich aber wie eine vorweihnachtliche Bescherung für alle in Frage kommenden Zielgruppen. Fokussiert ist man auf eine Sozialpolitik, die bis 2025 eine 37,5-Stunden-Woche durchsetzen will. Gleichzeitig sollen die Mindestrenten aufgestockt werden (bei bereits bankrotter Rentenkasse). Dazu will man die durch steigende Zinsen erhöhten Hypothekenraten für Jahreseinkommen bis zu 38.000 Euro einfrieren. Weiter soll ab 2030 ein Anteil von 81 Prozent des Stroms aus erneuerbarer Energie kommen und bis 2030 der Strom aus privaten Photovoltaik-Quellen von jetzt fünf auf 16 Gigawatt zunehmen. Die Kosten für eine künstliche Befruchtung von lesbischen und alleinstehenden Frauen hätte demnächst das staatliche Gesundheitssystem zu tragen. Und dann wird versprochen, den „Knebelparagrafen“ abzuschaffen, der Sanktionen von bis zu 600.000 Euro bei polizeilich nicht genehmigten Versammlungen vorsieht. Dass dieser Paragraf während der letzten Legislaturperiode nicht kassiert wurde, lag am Widerstand der Sozialisten. Insgesamt ist festzustellen, dass viele Vorhaben bereits zur Agenda der vergangenen „Fortschrittsregierung“ zählten, aber nie umgesetzt wurden. Zum Thema Katalonien findet sich im neuen Programm kein Wort.

Neuwahlen im Januar?

Währenddessen mobilisiert der rechte Partido Popular (PP) wie die faschistische Partei Vox mit allen Mitteln gegen einen weiteren Regierungsauftrag für Pedro Sánchez. Die Strategie heißt: Druck ausüben durch Demonstrationen wie in Madrid und Barcelona, Mobilisieren gegen eine mögliche Amnestie für katalanische Spitzenpolitiker. Die wird als finaler Angriff auf Spaniens Verfassung angeprangert. Wie bisher schon stimmen Felipe González und Alfonso Guerra als Veteranen der Sozialistischen Partei in den Chor der Empörten ein, mit einer Pointe: González war zu Anfang seiner politischen Karriere leidenschaftlicher Verfechter des Rechts auf Selbstbestimmung für die Regionen.

Bei alledem wird verschwiegen, dass zu Beginn der Demokratisierung nach dem Tod von Francisco Franco das Amnestiegesetz von 1977 stand. Alle Verbrechen der Diktatur wurden somit „gelöscht“, gegen die Stimmen der Franco-Nachfolgepartei Alianza Popular. Diese entrüstete sich, weil das Gesetz die Freilassung der politischen Häftlinge Francos einschloss. Selbst König Felipe VI. wird von der Rechten neuerdings als „Verräter“ beschimpft, weil er Sánchez nach dem Scheitern des PP-Kandidaten Alberto Núñez Feijóo mit der Regierungsbildung beauftragt hat.

Wie das Ganze ausgeht, ist ungewiss. Wenn bis zum 26. November keine Investitur von Sánchez zustande kommt, sind automatisch Neuwahlen für den 14. Januar 2024 fällig. Nach den aktuellen Umfragen befinden sich der Partido Popular und Vox im Aufwind, sie könnten diesmal eine absolute Mehrheit erringen.

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