Kleist-Bär und Übersetzer Harry Rowohlt

Nachruf Das Pompöse und Humorlose war so gar nicht sein Genre, alles Aufgeblasene traf sein Spott. Zum großen Schaden der Literatur und der Nachwelt ist Harry Rowohlt tot
Ausgabe 25/2015
Den 70. Geburtstag konnte er zu Lebzeiten gerade noch ignorieren: Harry Rowohlt
Den 70. Geburtstag konnte er zu Lebzeiten gerade noch ignorieren: Harry Rowohlt

Foto: Gezett/Imago

Als Bären von geringem Verstand hat er sich selbst charmant und ganz und gar inkorrekt tituliert, in seiner über Jahre hinweg laufenden, mal aussetzenden, dann unerwartet zur großen Freude der Fans wiederkehrenden Zeit-Kolumne Pooh’s Corner. Das mit dem Bären kam so rein äußerlich ungefähr hin, aber täuschen sollte man sich da besser nicht: Er war eher so ein Bär wie der in Kleists Marionettentheater, der schnell reagiert und alles pariert, ein Mann von Geist, Witz und ja, eben, messerscharfem Verstand. In Wahrheit schoss er schneller als sein vollbärtiger Schatten und er hat, so gemütlich er äußerlich schien, mitunter tödlich getroffen.

Er war der Sohn des großen Ernst Rowohlt – erst außerehelich, dann wurde das legalisiert –, Halbbruder des legendären Verlegers Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, aber er selber wollte auch als Erbe mit der Sache nichts mehr zu tun haben, der Verlag wurde 1982 verkauft, und Harry Rowohlt wurde statt Verleger, nun ja, alles Mögliche. Übersetzer natürlich, für Kinder-, Jugend- und Erwachsenenbücher (wobei ihm der Unterschied so schietegal war wie die Frage, ob etwas als ernsthafte Literatur galt oder nicht); er war aber auch großer Autor kleinerer Formen, als solcher ein Meister der Komik, und wo es nottat war er auch Autoren- und Texte-für-den-deutschen-Sprachraum-Entdecker und Missionar, außerdem grandioser Vorleser, undogmatischer Linker, Witzemacher und Anekdotenerzähler, öffentlicher Säufer und offizieller Ambassador of Irish Whiskey (bis ihm die Nerven an den Füßen krepierten, 2007, da hörte er auf mit dem Trinken), Lindenstraßendarsteller (Penner Harry) und weiß der Himmel was noch. Am wichtigsten war ihm die geistige und sonstige Unabhängigkeit; dazu gehörte die Freiheit auch von Berufs- und Rollenzuschreibungen, die dennoch nicht ausbleiben konnten.

Sicher war er Übersetzer zunächst mal und vor allem, das aber auf ganz eigene Art. Sehr fleißig, bald sehr gefragt, mehr als 200 Titel, am meisten gelesen wohl seine Neuübersetzung von Pu der Bär. Am Spruch, dass man im Falle Rowohlts besser die Übersetzungen lese, weil beim Original zu viel verloren gehe, ist viel dran. Im Zweifel machten die Autoren im Deutschen die tolleren Witze, Frank McCourts Weltbestseller Die Asche meiner Mutter war in deutscher Sprache das bessere Buch. Den Iren Flann O’Brien hat Rowohlt als neben Pu liebsten Seelenverwandten den Deutschen mit Nachdruck nahegebracht: Joyce mit Humor, sagte er und machte sich bei der Gelegenheit auch über den Joyce-Übersetzer und Kollegen Wollschläger lustig. Das Pompöse und Humorlose war so gar nicht sein Genre, alles, was aufgeblasen durch die Gegend stolzierte, traf sein Spott.

Die Zunft war nicht immer sicher, für wie koscher sie Rowohlts gelegentliche brillante Untreue halten sollte, die aber immer Treue zur Sprache, zum Sound war. Er war der Übersetzer als Neuschöpfer, die distinkteste Figur seit der Disney-Übersetzerin Erika Fuchs. Am Ende gab es dann aber doch Preise zuhauf, er war einer der wenigen, der es dahin schaffte, wohin alle Übersetzer gehören: aufs Buchcover, in die nächste Nähe des Autors. Vor ein paar Jahren hat Harry Rowohlt der Krebs erwischt; er hatte sich noch mal berappelt, jetzt aber nicht mehr. Den 70. Geburtstag konnte er zu Lebzeiten gerade noch ignorieren. Nun aber ist er, als Übersetzer so unsterblich wie als Mensch, zum großen Schaden der Literatur und der Nachwelt leider für immer tot.

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Geschrieben von

Ekkehard Knörer

Redakteur Merkur und Cargo.

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