Aus dem Leben gegriffen

Erfahrung Zum 14. Jahrestag der IDAHOBIT tritt die Autorin weiter in die Sichtbarkeit und legt dar, was es heißt, trans* zu sein. Ein persönlicher Bericht

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Aus dem Leben gegriffen

Foto: Mark Makela/Getty Images

Diesen Text widme ich meiner Freundin Yuuki.

Am Freitag, den 17. Mai 2019, fand der Internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie (IDAHOBIT) statt. Der im Jahre 2005 ins Leben gerufene Aktionstag soll auf die Feindschaft und Diskriminierung gegenüber queeren Menschen aufmerksam machen, die in allen Ecken der Welt nach wie vor existieren. Er soll jedoch auch den Menschen Mut schenken, die noch im Prozess sind, sich selbst der eigenen Identität bewusst zu werden. Tatsächlich sollte man nicht von einer Phobie sprechen, da es der Unsichtbarmachung der Gefahr, die sich dahinter verbirgt, gleichkommt. Es handelt sich hierbei nicht um Aversionen oder Abneigungen, sondern in der Regel bewusste Haltungen, die das Selbstbestimmungsrecht jener Menschen nicht achten und eine zutiefst misanthrope und gefährliche Ansicht darstellt, die vor Körperverletzungen bis zu Morden nicht halt machen. Dazu kommt das herrschende Narrativ und die bürgerlich-kapitalistische Gesellschaft, die im binären Denken verankert ist. Das hat zur Folge, dass queere Menschen dazu aufgefordert und gezwungen werden, sich in eine Gesellschaft zu integrieren, die sie womöglich abstößt. Man wird als „nicht normal“ definiert, was sich in gesellschaftlichen und bürokratischen Diskriminierungen kumuliert.

Ich erinnere mich noch gut an 2013. Der epubli-Verlag rief in diesem Jahr zum Schreibwettbewerb „Mein Coming-Out“ auf, um über „Eure persönliche Geschichte“ zu schreiben. In dieser Zeit war ich am Anfang, mir meiner selbst bewusst zu werden. Geoutet war ich nicht. In Anbetracht der Anonymität des Wettbewerbs reichte ich einen Beitrag ein, der auf zwei Seiten meinen anfänglichen Weg der Selbstakzeptanz nachzeichnete. Zu meiner Überraschung wurde er angenommen und folglich auch in Buchform gedruckt. Ohne eine ehemalige Freundin, die mich darin bestärkte, aus der Unsichtbarkeit herauszukommen, wäre ich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an dem Punkt, an dem ich heute bin. Die letzten sechs Jahre waren dabei gekennzeichnet von Entscheidungen, Brüchen und Neubildungen. Heute stellt es kein Problem für mich dar, offen meinen Namen zu nennen. Oft folgt jedoch eine Stille, in der versucht wird, das Gesagte zu verarbeiten. Denn es gehört auch zur Wahrheit, dass ich weder geschlechtsangleichende Operationen in Anspruch genommen habe und mich entgegen dem bürgerlichen Bild nicht „weiblich“ kleide. Das wurde mir tatsächlich indirekt zum Vorwurf gemacht, was besonders schmerzhaft war, als es von einer Person kam, die mich eigentlich auf dem Weg unterstützt und akzeptiert hatte. „Du gibst dir auch keine wirklichen Mühen, wie eine Frau auszusehen“, wurde mir entgegnet, als einmal mehr die Situation im Raum stand, mein Geschlecht einer mir unbekannten Person zu erklären.

Es sind die subtilen Äußerungen und Blicke, die mir häufig vor Augen führten, dass ich für die Welt nicht das ausstrahle, was ich bin. Das markierte auch den Bruch mit meiner Familie, die bis heute ostentativ davon spricht, dass ich der Sohn der Mutter oder der Bruder der Geschwister sei. Es sind diese Situationen von Menschen, die einem vermeintlich nahestehen, welche erdrückender sind, als transfeindliche Äußerungen im Internet aus der Anonymität. „Ich verstehe, was Du meinst, aber es fällt mir schwer, dich als Frau zu sehen“, bekam ich vor fünf Jahren von einer Freundin zu hören, als ich versuchte zu erklären, dass ich kein Mann bin. Wie man damit umzugehen hat, dafür gibt es keine allgemeingültige Lösung. Ich verspürte in solch Situationen keinen Hass oder Unverständnis, sondern Enttäuschung. Enttäuschung, die sich gegen mich richtete. Wieso wurde ich in einen Körper geboren, der mir so völlig fremd und falsch ist? Diese Gedanken begleiteten mich sehr lange und es wäre eine Lüge zu behaupten, ich wäre heute vollkommen frei von ihnen. Das größte Hindernis, mich zu akzeptieren, war ich selbst. Oft waren es Kleinigkeiten, die mich auf das binäre Geschlechterbild stießen. Es vergingen viele Monate, bis ich erkannte, dass ich nicht als Mann geboren wurde, der eine Frau werden will, sondern als Frau, die als Mann erzogen wurde.

Heute bin ich 27 Jahre und habe durch einen kleinen Kreis an Menschen einen Halt und eine Stütze, da sie mich als Frau unabdingbar akzeptieren. Durch die Steigerung des Selbstwertgefühls und -bewusstseinsso erscheint es mir jedenfallshat sich auch die Reaktion der anderen allmählich gewandelt, wenn es darum geht, sich als Mensch vorzustellen. Nichtsdestoweniger bleibt der Hass der Misanthrop*innen tagtägliches Geschehen. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran, obgleich es niemals Normalität sein und bleiben darf. Dabei muss unterschieden werden zwischen Internet und Nicht-Internet. Außerhalb des Netzes erfuhr ich bis dato nur sehr wenige Anfeindungen, größtenteils verbal, die mir mit biologistischen Argumenten erklären wollten, weshalb ich keine Frau bin. Im Netz dagegen wird mein Geschlecht herangezogen, um politische oder gesellschaftliche Äußerungen meinerseits zu erklären. Es wird als „Krankheit“ bezeichnet, die dringender „Behandlung“ bedürfe – dazu komme auch noch mein Autismus. Ob man einen Termin beim Optiker brauche, wird boshaft an Menschen gewandt, die mich als Frau lesen. Äußerungen, die man nur noch überfliegt, überliest, aber doch wahrnimmt. Ich gehe darauf nicht (mehr) ein, da dies den Hass nur bestärkt. Ein Hass, der unglaublich, unverständlich und gefährlich ist, doch mich in meiner Entwicklung nicht negativ beeinflusste. Ganz im Gegenteil.

Ich bin an einem Punkt in meinem Leben gelangt, an dem sich wieder die Frage auftut, ob man eine geschlechtsangleichende Maßnahme in Anspruch nehmen soll. Für mich ist das jedoch keine Voraussetzung, um als die Person gesehen zu werden, die man ist. In meinem Coming-Out Text von 2013 lese ich mich als sehr unsichere und teils verzweifelte Person, die sich nicht sehnlicheres wünscht, als eine Frau zu sein. Mir war damals alles andere als klar, dass ich das bereits seit meiner Geburt bin, es fehlte nur der Grad zur Selbstakzeptanz. Diesen habe ich in dieser Sache erreicht, auch wenn das nicht ohne ein soziales Netz geschehen konnte. Man ist nicht alleine, auch wenn man oft so fühlt. Nichtsdestoweniger fühle ich mich häufig immer noch unsichtbar, größtenteils außerhalb des Netzes, da mir die Fähigkeit fehlt, es offen nach außen zu kommunizieren. Natürlich könnte ich „weibliche“ Kleidung tragen, doch mir ist mein Stil so ganz recht. Ich verbuche es jedenfalls schon als Erfolg, dass die Telefonistin von der Anrufsammeltaxistelle mich als Frau verstand. Es bleibt ein Weg, der in sich geschlossen kein Ende finden wird, denn entwickelt wird immer. Jedenfalls steht es niemandem zu, mir oder jedem anderem Menschen vorzuschreiben, was für ein Geschlecht er hat.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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