Ungleichgewicht der Aufarbeitung

Rechtsruck Bottrop und Amberg zeigen den tief verankerten Rassismus der Deutschen

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Vom Balkon aus lässt sich schwerlich der Standpunkt wechseln
Vom Balkon aus lässt sich schwerlich der Standpunkt wechseln

Foto: Sean Gallup/Getty Images

Das neue Jahr beginnt dort, wo das alte aufhörte. Die Diskussion über die Verschärfung der Asylgesetze werden nach der von der Presse bezeichneten „Prügeltour“ im bajuwarischen Amberg weiter auf die Spitze getrieben, da es sich bei den vermutlichen Tätern um Flüchtende aus Syrien, Iran und Afghanistan handelt. Dass zwei davon von Abschiebung bedroht waren, lässt die Diskussion darüber radikal eskalieren. Nicht nur formieren sich vermeintliche Bürgerwehren - die von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) inszeniert werden - auch schaltete sich der Innenminister Hort Seehofer höchstpersönlich in die Debatte, und bedauerte pflichtgemäß das Grundrecht auf Asyl.

Etwa zur gleichen Zeit ereignete sich zur Silvesternacht ein rassistischer Anschlag in Bottrop, der - belegt durch die Aussagen des Täters N. - gezielt auf ausländisch wirkende Menschen gerichtet war. Er fuhr mit seinem PKW in eine Menschenmenge, bei der Menschen zwischen vier und 48 Jahre verletzt wurden, die aus Syrien und Afghanistan stammen. Der Täter N. rechtfertigte seinen Anschlag mit rassistischen Argumente, doch verweist auf eine vermeintlich psychische Störung.

Die inhaltlich ähnlichen Ereignisse in Amberg und Bottrop erfahren von der gesellschaftlichen Aufarbeitung, Presse und Politik allerdings eine stark unterschiedliche Gewichtung. Ein Anschlag eines Deutschen auf Nichtdeutsche wird - in der Regel von der rechten bürgerlichen Landschaft - diskursiv betrachtet, mit Benennung mehrerer Faktoren, deren Ziel es ist, einen dezidiert deutschen Terrorismus zu negieren. „Prügelattacken“ oder ähnliche Straftaten von Nichtdeutschen indes werden generalisiert und geradezu aggressiv behandelt, bei der jegliche individuelle Betrachtung verloren geht.

Ideologisches Ungleichgewicht

Diese Diskrepanz der jeweiligen Aufarbeitungen von Gewalt gegenüber Menschen steht der formalen Gleichheit vor dem Gesetz widersprüchlich entgegen. Vorverurteilungen durch rassistische Attribute im Sinne von Aussehen, Namen, Herkunft, Religion und auch sozialer Status ergeben für die politische Rechte ein einseitiges, propagandistisches Bild, um die Gewalt von Deutschen teilweise zu rechtfertigen. Besonders geschmacklos wurde es durch die Äußerungen des Bundestagsabgeordneten der Alternativen für Deutschland (AfD) Thomas Seitz, der eine Diskussion über die Reaktivierung der Todesstrafe fordert. Hintergrund war die Rückkehr eines Flüchtenden aus Kamerun, dem durch zivile Solidarität die Möglichkeit geöffnet wurde, nach einer Abschiebung erneut Asyl in der BRD zu beantragen.

Zwar hat sich der Vorstand der AfD von den Äußerungen Seitz’ distanziert und es als „Privatmeinung“ abgetan, doch die Zuspitzung dessen zeigt eine weitere Radikalisierung des Politischen in der deutschen Gesellschaft. Diese tief nationalistische Logik der selektiven Küchenjuristerei ist schon längst in der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ angekommen. Politik und Presse tun ihr übriges, kriminelle Tätigkeiten von flüchtenden Menschen zentral in die Berichterstattung und Agenda zu stellen, um so ein gewünschtes Bild zu transportieren. Die „Prügelattacke“ in Amberg hätte mitnichten eine bundesweite Tragweite erreicht, hätte es sich um die Täter*innen um Deutsche gehandelt.

Dieser Rassismus des 21. Jahrhunderts ist praktisches Resultat einer seit Jahrzehnten verschärften Politik der herrschenden Klasse. Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordneten der Linkspartei, bezeichnete die zirkulierende Reaktion als Ausdruck des Rechtsrucks der BRD. Denn „wer ständig suggeriert, dass der Rechtsstaat zu lasch“ sei, müsse sich nicht wundern, dass „rechte Wutbürger*innen und Neonazis sich dadurch zu Lynchaktionen wie in Bottrop und Essen ermutigt fühlen.“

Bedingt durch den rassistischen Anschlag in Bottrop entfaltete sich auch eine Forderung, den Rassismus nicht unter „Fremdenfeindlichkeit“ zu subsumieren. Persönlichkeiten wie die Journalistin Kübra Gümüşay, der SPIEGEL-Journalist Hasnain Kazim und der Politikwissenschaftler Ismail Küpeli kritisieren die Verwendung des Begriffs „Fremdenfeindlichkeit“ stark. Er verschleiere den rassistischen Kern dahinter und fungiere als Erklärungsversuch selbst rassistisch, da durch die Betonung einer „Fremde“ mindestens semantisch eine Selektion stattfindet. Die Debatte darüber, den Rassismus sowohl als Begriff als auch Ideologie zu rezipieren, verstehen und zu begreifen, schließt eine Selbstreflexion mit ein. Die reaktionäre Rechte hat es sich stets zur Aufgabe gemacht, ihre Menschenfeindlichkeit durch begriffliche Entschärfungen salonfähig zu machen. Das betrifft nicht nur den Rassismus, sondern auch Verachtungen gegenüber Frauen*, LGBTQIA* und weiteren Menschen, die der abschottenden Ideologie entgegensteht.

Die selbstverteidigende Notwendigkeit

Während die Rechte alles daran tut, ihren Rassismus als selbstverteidigende Notwendigkeit zu präsentieren, konstruieren sie einen „Rassismus gegen Deutsche“. Dieser begründet sich durch vermeintliche Anfeindungen gegenüber Deutschen und Attacken wie in Amberg, die mit völkischer Logik eines „Bevölkerungsaustausch“ zusammenwirkt. Diese Entwicklung hat bereits einen Punkt erreicht, in dem „Kartoffel“ als rassistische Beleidigung gegenüber Deutsche gewertet werden, derweil die eigene, teils kolonialistische Sprache als gesetzmäßig und der Tradition verpflichtet nicht hinterfragt wird.

Torpediert wird auch dieses Phänomen durch die AfD, die in ihren ermüdenden Ausführungen der nicht enden wollenden „Flüchtlingsfrage“ auch immer wieder angeblich antideutsche Äußerungen und Taten ansprechen. Beliebtes und polemisch wirksames Beispiel ist die damalige Teilnahme Claudia Roths Anfang der 1990er Jahren, bei der vor einer nicht unbegründeten Gefahr eines vereinten Deutschlands demonstriert wurde. Nichtsdestoweniger wurde der nicht existente Rassismus gegen Deutsche zu einem Kristallisationspunkt, bei der der deutsche Rassismus als Selbstreferenz akzeptiert wird. Der rechte Klassismus wird dabei ebenso als Reaktion auf einen Rassismus gegen Deutsche interpretiert, wenn polemisch postuliert wird, flüchtende Menschen würden lediglich Sozialleistungen beziehen, hernach den „deutschen Steuerzahler ausnutzen“.

Was bleibt, ist die bittere Erkenntnis eines sich weiter radikalisierenden Rechtsrucks in Gesellschaft und Politik. Die herrschende Klasse hat kein Interesse daran, den ureigenen Rassismus zu bekämpfen, gleichwohl der stetigen Beteuerungen, dieser hätte keinen Platz in der Gesellschaft. Er ist längst verselbstständigtes Instrument geworden, die eine objektive und ausgewogene Erzählung und Aufarbeitung von Gewalttaten nicht mehr zulassen. Das erwirkte Ungleichgewicht droht gemäß seiner Funktion in sich zusammenzubrechen, bei der, wie Ulla Jelpke betonte, die Selbstjustiz sich immer häufiger einen Weg bahnen wird. Die Worte der Regierungsfraktion muten mahnend und vernünftig an, doch ihre Realpolitik befeuert die rassistische Propaganda durch Verschärfungen der Asylgesetze, Abschiebungen in Kriegsgebiete, Waffenlieferung in Diktaturen wie Türkei und Saudi-Arabien sowie eines immer stärker werdenden rechten Flügels in den Unionsparteien, die einen gesellschaftlichen Rollback immer wahrscheinlicher machen. Verlier*innen sind nicht nur flüchtende Menschen, sondern auch Prekäre, von Armut gefährdete Arbeiter*innen und all jene Menschen, die sich dieser Entwicklung entgegenstellen.

Amberg und Bottrop haben die Karten offengelegt, wie das Jahr 2019 aussehen wird. Die Gefahr wird im Antirassismus und Antifaschismus gesucht, dem immer häufiger vorgehalten wird, selbst eine rassistische und faschistische Politik zu verfolgen. Das Jahr wird auch richtungsweisend sein, inwieweit sich die Möglichkeit offenbart, die AfD in Regierungsverantwortung zu sehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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