Corona und linke Kritik(un)fähigkeit

Corona-Debatte Bei einer gut besuchten Online-Diskussion zeigte sich großer Diskussionsbedarf, ebenso wie die Grenzen des Mediums.

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Am 7. Dezember 2020 trafen sich Anne Seeck, Peter Nowak, Gerhard Hanloser und die Autorin dieses Beitrags zu einer kritischen Corona-Diskussion – online, wie das heute so üblich ist. Wir hatten uns für Jitsi entschieden, ohne detailliertere Kenntnisse der verschiedenen Plattformen, aber mit dem Vorsatz, das vielfach kritisierte Zoom zu meiden.

Es sollte eine politische Diskussion werden, wir wollten uns also nicht mit medizinischen Fragen – wie beispielsweise Ansteckungswegen, oder wie mensch sich vor einer Infektion schützen kann – beschäftigen, und auch nicht mit Fragen nach der Gefährlichkeit von Covid-19 oder nach der Pandemie-Definition und deren Veränderung durch die WHO.

Politisch diskutieren

Die Veranstaltung hatten wir schon länger geplant. Bereits im Oktober bekamen wir – unabhängig von den Corona-Maßnahmen – eine Absage für einen Raum in einem linken Projekt, vor allem mit der Begründung aus dem Plenum: "Einige Anwesende haben große Bauchschmerzen und die Einschätzung, dass wir uns damit ein problematisches Publikum anziehen und diesem Spektrum hier kein Raum geboten werden soll“.

Uns sind jedoch kritische Fragen von links wichtig und wir wollen das Feld der Kritik nicht den Rechten überlassen. In dieser politisch mitunter sehr verhärteten Situation wollten wir uns mit der Veranstaltung dem politischen Thema fragend annähern, ohne den Anspruch, endgültige Antworten zu finden oder uns gar einigen zu müssen, denn wir haben ganz unterschiedliche Zugänge zum Thema und schätzen die unterschiedlichen Perspektiven. So gingen wir also online.

Wir wollten danach fragen, was diese Krise für Einzelne bedeutet, welche gesellschaftlichen Auswirkungen sich beobachten lassen. Und wir wollten darüber sprechen, wer da eigentlich bei diesen sogenannten Hygiene- und Querdenkerdemonstrationen auf die Straße geht, und wie Linke – gemeint selbstverständlich die gesellschaftliche Linke und nicht die Partei, die sich diese Bezeichnung als Namen genommen hat – darauf reagieren.

Ebenso sollte es um die Frage gehen, was aus einer linken Kritik an Staat, Konzernen und bürgerlicher Gesellschaft wird, wenn plötzlich staatlich approbierte Virolog*innen als unhinterfragte Wahrheitsinstanz auftreten und alle Hoffnungen auf der Pharmaindustrie zu ruhen scheinen. Ist die Kritik an autoritärer Staatlichkeit suspendiert, wenn ein scheinbar naturwissenschaftliches Ereignis keine Diskussion zulässt? Muss jetzt eine Antifa die Einhaltung der Hygieneregeln anmahnen? Oder gibt es auch in Zeiten von Corona Raum für linke Kritik und Zweifel an vermeintlichen Alternativlosigkeiten?

Technische Grenzen

Uns überwältigte das riesige Interesse an der Diskussion – im wahrsten Sinne des Wortes. Als 100 Teilnehmende im virtuellen Raum waren, verschloss sich die Jitsi-Tür automatisch. Davon wussten wir vorher nichts, hatten auch im Internet andere Informationen gefunden, aber nun war es so. Wir erfuhren von vielen, dass sie vergeblich versuchten hatten, teilzunehmen, wie schade! Jedoch waren auch die 100 Anwesenden viel zu viele, technisch gesehen.

Besonders bedauerlich war es, dass Anne Seeck, die über die sozialen und psychosozialen Folgen der Krise sprechen sollte, gar nicht reden konnte. Auch im Gespräch mit den Teilnehmenden kamen wir an einige Grenzen. Manche Leute waren überhaupt nicht zu verstehen, andere hörten nichts. Besonders skuril: Ich wurde erst durch eine SMS darauf aufmerksam gemacht, dass meine Versuche, das Gespräch zu moderieren, irgendwann offensichtlich zeitversetzt in die Konferenz eingespielt wurden, so dass ich vollkommen zusammenhanglos in andere Wortbeiträge reingesprochen habe.

Bei großen Live-Veranstaltungen braucht eigentlich die Moderation „nur“ darauf achten, dass sich die Leute in der Mikrofonschlange kurz fassen, und vielleicht nach einer vorher verabredeten Quotierung die Reihenfolge umsortieren. In der Online-Konferenz gab es im Chat sowohl Wortmeldungen als auch schriftliche Beiträge. Sobald eine*r etwas eintippte, wurde mir der Scrollbalken aus der Hand, bzw. aus der Maus gezogen. Eine sinnvolle Moderation war kaum möglich.

Erst später, als einige die Veranstaltung wieder verlassen hatten, mit 60 und dann noch weniger Teilnehmenden, war ein Gespräch möglich. In sehr viel kleinerer Runde saßen wir noch bis spät in die Nacht, ein einsam Zurückgebliebener schnarchte noch eine Weile vor sich her.

Ironisch stellten wir hinterher fest, dass wir wohl das sprichwörtliche „Neuland“ betreten hatten. Den ersten Teil der Veranstaltung mit unseren (leider nur drei) Inputs haben wir aufgezeichnet und trotz aller technischen Unzulänglichkeiten auf Vimeo veröffentlicht. Das Video dokumentiert – neben den Inhalten – auch die technischen Probleme, und ist insofern auch ein Zeitdokument, nicht perfekt, aber aussagekräftig, und ziemlich lustig.

Hier mein Input (nicht genau wörtlich, aber sinngemäß):

Was ist da passiert, was haben „wir“ verpasst?

Corona trifft nicht alle gleich, das ist offensichtlich. Auch die Maßnahmen treffen nicht alle gleich, sondern sie vertiefen die gesellschaftlichen Spaltungen. Der Schutz – oder der vermeintliche Schutz – hat eine Schieflage ins klassistische und ins rassistische, denn er gilt nicht für alle gleich. Er gilt nicht in Niedriglohnbereichen, nicht für Obdachlose oder Geflüchtete. Ein Blick über die Grenzen zeigt das pure Grauen, zum Beispiel Lager wie Moria auf Lesbos oder jetzt das neue Lagergefängnis. Aus den Medien war zu entnehmen, dass es durch den Zusammenbruch von Lieferketten zu Weihnachten keine tolle neue Elektronik geben wird. Wie banal. Durch die unterbrochenen Lieferketten nimmt vor allem der Hunger im globalen Süden millionenfach zu, da wirkt das Jammern doch merkwürdig.

Aber auch hierzulande gewinnen vor allem die Großen, während Kleinunternehmen und Soloselbstständige ihre Existenzgrundlagen verlieren. Die Privatisierung des Gesundheitssystems war schon lange vor Corona ein Problem, bei den aktuellen besonderen Belastungen wird das besonders deutlich. Mit Privatisierungen und der Einführung der Fallpauschalen-Finanzierung (DRGs) wurden Krankenhäuser auf Profitabilität gebürstet, Beratungsfirmen haben gut an dieser Umstrukturierung verdient. In dem Film „Der marktgerechte Patient“ werden die Auswirkungen auf Patient*innen und auf Beschäftigte gezeigt. Aber es wird auch gezeigt, wie es anders gehen könnte.

Am Beispiel des Gesundheitswesens wird deutlich, wie widersinnig es ist, die Infrastrukturen der Grundversorgung zu privatisieren. Alternativ sollten sie nun jedoch nicht verstaatlicht, sondern in öffentliche Unternehmen überführt werden, die demokratisch gesteuert und betrieben werden.

Profiteure der Krise sind – wie immer – vor allem Konzerne, insbesondere Digitalkonzerne und Pharmaindustrie. Daran gibt es durchaus Kritik von links. Aber es gibt gleichzeitig eine Unversöhnlichkeit gegenüber den Protesten und denen, die dort mitlaufen. Verpasst nicht die Linke damit den historischen Moment, gegen Staat und Kapital vorzugehen, die Kritik aufzugreifen und emanzipatorisch zu wenden? Stattdessen wird die Maske zum Symbol der Solidarität – oder der Selbstdarstellung?

Ich frage das nicht anklagend, sondern selbstkritisch, denn ich sehe mich als Teil der gesellschaftlichen Linken und würde gerne diskutieren, was da passiert ist und was „wir“ verpasst haben.

Danke an alle Teilnehmer*innen, die geduldig mitgemacht und ohne Murren das technische Holpern ertragen haben.

Wer mehr zu den Beteiligten wissen möchte, hier ein bisschen was:

Anne Seeck gibt einen regelmäßigen Newsletter mit Terminen und Veröffentlichungen heraus, der bei ihr bestellt werden kann.

Gerhard Hanloser hat sich die Corona-Proteste genauer angeschaut und darüber unter anderem im nd berichtet.

Peter Nowak hat mit Gerald Grüneklee und Clemens Heni das Buch „Corona und die Demokratie. Eine linke Kritik“ veröffentlicht.

Wir machen weiter!

Nächstes Mal am Montag, 14.12.2020 um 17:30h Hier geht es zur Einladung und zum Einwahllink

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

elisvoss

Freiberufliche Autorin, Journalistin, Vortragende und Beraterin zu Solidarischem Wirtschaften und Selbstorganisation in Wirtschaft und Gesellschaft.

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