Liebesbrief Das Prinzenbad und Columbiabad in Berlin stehen wegen Prügeleien in der Kritik. Unsere Autorin ergreift die Gelegenheit, um dem meist friedlichen Ort planschender, chillender und Pommes essender Körper ihre Liebe zu erklären
Wir kennen uns ja schon ein paar Jahre, stimmt’s, wie viele mögen es sein, vielleicht zehn, fünfzehn – nein, es sind schon zwanzig Jahre! Verrückt, das hätte ich nun auch wieder nicht gedacht, so lange kennen wir uns schon, liebes Prinzenbad. Aber noch nie habe ich dir geschrieben. Ich hoffe, das hat dich nie gekränkt, dass ich dir nicht schreibe, denn an dich gedacht habe ich sehr oft!
Ich denke fast immer an dich im Sommer, wenn mir in der Hitze des Büros der Schweiß den Rücken hinunterrinnt, dann denke ich an dich, oder auf dem Fahrrad in der prallen Sonne zwischen den Blechkarren Unter den Linden, und wenn auf Arbeit mal weniger los ist und mir das leise Rauschen des Sommerwinds schon verkündet, dass ich früher Schluss machen
uss machen und zu dir fahren kann, dann pocht mein Herz, dann prickelt meine Haut und alles, an das ich noch denken kann, ist das streichelnd-nasse Gefühl, in dein türkises Wunder einzutauchen ...Ach, Prinzenbad, was wäre ich nur ohne dich! Du bist immer für mich da. Wie machst du das bloß? Kaum betrete ich deine Wimmelbild-Welt, fühlt sich alles einfach nur noch großartig an. Ich streife die Sandalen ab und spüre die heißen Steine unter meinen Füßen, ich laufe nicht vorbei an der Pommesschlange, nein, ich möchte schonmal einen Blick erhaschen vom Planschglück, das auf mich wartet, ich laufe durch das erfrischende Fußbecken wie durch einen Gebirgsbach, dem Kreischen, Lachen und Schreien entgegen, bis ich ganz eingetaucht bin, kein Gedanke mehr an zu schreibende Artikel, an nervtötende Kollegen, nein, das Kinderjauchzen bläst einfach alle Sorgen aus meinem Kopf heraus, und vor mir eröffnet sich dein Wunderland:Eine Vierjährige rutscht kreischend deine rote Rutsche herab; drei Teenager jagen sich kichernd vor mir her bis an den Beckenrand, halten sich aneinander fest, ziehen sich ins kühle Nass, tauchen prustend wieder auf und machen diesem riesigen pinken Flamingo Platz, der angeschwommen kommt, angetrieben von vier paddelnden Jungenbeinen; auf dem heißen Boden vor mir liegen abgekühlte, glitzernde Menschenkörper und nehmen die Energie für kommende Winter in sich auf, ihre Augen vor Wohltat geschlossen; an der Seite lehnt eine Mutter gegen die Mauer und richtet vor sich auf der Decke das Picknick an, es gibt gerollte Weinblätter und Wassermelone und eiskalte Cola in einer großen 1,5-Liter-Flasche; ein Mädchen im Burkini hält sich die Nase zu, kneift die Augen zu, holt tief Luft und traut sich, sie springt in das große, kalte Becken vor den Sonnenterrassen – rückwärts!; hinter ihr gehen zwei junge Frauen das Kinderbecken entlang, ganz gemächlich, ihre Haare noch tropfend, ihre Brüste noch ganz glücklich über das kühle Nass von Gänsehaut überzogen, sie halten Händchen und präsentieren ihre neuerdings ganz legal bikinifreien Oberkörper und iieh, verdammt, ich werde es nie lernen, schon wieder war ich zu nah am Beckenrand, platsch!, hat es gemacht, und die Arschbombe von dem Kleinen da hat mich wirklich erwischt.Ich atme noch einmal tief den Chlor-Wasser-Pommes-Cola-Sonnenmilch-Duft ein, dann gehe ich an den Becken vorbei, an dem Klohäuschen vorbei über die Wiese zwischen den picknickenden Familien hindurch bis ganz hinten, wo das Kinderglück-Rauschen sich mit dem sanften Rascheln der Blätter meiner zwei Lieblingsbäume mischt, hier ist Platz, hier liegen die Paare und die einzelnen Frauen auf ihren Decken und tun, was ich auch tun werde: Sie schauen in die Blätter, die mit der Sonne spielen, den ganzen Tag spielen diese Blätter mit dem Wind und der Sonne und spenden uns wohltuenden Schatten.Das Wunder im PrinzenbadLiebes Prinzenbad, ich weiß wirklich nicht, wie du das alles schaffst. Der Mutter der Mädchen im Burkini kann es doch nicht leicht fallen, die blanken Brüste der jungen Frauen zu betrachten, die glücklich und frei vor ihnen auf und ab hüpfen? Der älteren Dame da hinten, deren Brüste zufrieden auf ihrem Bauch ruhen, muss es doch komisch vorkommen, dass in Berlin Mädchen im Burkini schwimmen gehen? Oder nicht? Sind hier etwa ganz andere Menschen als auf Twitter, liebes Prinzenbad?Oder gib es zu, das habe ich schon immer vermutet: Du tust etwas in deine Pommes! Das muss es sein. Denn wenn es schon kein Wunder ist, dass all diese Menschen, bedeckt oder unbedeckt, halal oder currywurstessend, jeden Tag zu Tausenden auf diesem engen Raum miteinander jauchzen, kichern und planschen, dann ist es aber wohl ein Wunder, dass die Pommesschlange so dermaßen friedlich bleibt. Versteh mich nicht falsch, ich finde den Pommesmenschen toll, dieser Mann ist ein Multitalent: Von morgens bis abends hat er diese fünfzig Meter lange Menschenschlange vor sich, auch nach Hunderten Pommesgefütterten (fast 20.000 Pommesportionen pro Monat!) kann er sich merken, wer weiß und wer rot und wer rotweiß bestellt hat, und nie, nicht ein einziges Mal, habe ich es erlebt, dass er ungeduldig wird, wenn ein Kind nach einer Lakritz-Schnecke, zwei Schnullis, drei Krachern (zwei Cola und ein Frucht), fünf sauren Pommes und einem Schlumpf überlegt, ob es den Schlumpf lieber doch gegen eine saure Zunge eintauschen will. Nicht mit der Wimper! Zuckt der. Steht da, die Süßigkeiten-Zange in der Hand, wartet, fragt sogar nach: „Sicher, dass du den Schlumpf behalten willst?“Nein, der Pommes-Mensch, den lieben wir alle. Aber auch seine Zauberkräfte können nicht erklären, warum der Mensch, der über eine Stunde in der Pommesschlange stand, um dann gesagt zu bekommen, dass nur die Kundinnen vor ihm noch Pommes bekommen, und danach ist alle für heute – dass dieser Mensch nicht völlig ausrastet. Gib es zu, Prinzenbad: Du tust etwas in die Pommes! Was ist es? Ketamin? MDMA?Ich will es gar nicht wissen. Ich nehme mein Planschglück, wie es kommt. Ich liege und höre raschelnden Blättern zu, ich schlummere ein, ich spiele Volleyball, ich lese, ich tauche, ich pommesschlangiere, ich esse Pommes (weiß!), ich schwimme ein paar Bahnen, ich plansche, ich rutsche, ich springe vom Beckenrand (zu steil), ich schaue mir alle an, die Kids, die Burkinis, die glänzende Haut, und nie, wirklich noch nie, habe ich eine Prügelei gesehen. Ha! Jetzt findest du, ich schmeichele dir zu sehr. Das stimmt wahrscheinlich, liebes Prinzenbad, ich weiß, dass selbst du nicht immer ganz Kreuzberg in Frieden halten kannst. Ich lese die Berichte über blutig geschlagene Nasen, tue ich, und nein, schön ist das nicht. Junge Typen, die so bescheuert ausrasten, das muss nicht sein.Aber bitte sei jetzt nicht zu streng zu dir. Wie viele Menschen kommen zu dir an einem heißen Sommertag? Bis zu 9000 Besucher waren es schon an heißen Tagen? Ach, liebes Prinzenbad, das ist ja die Bevölkerung einer kleinen Stadt! Was denkst du denn, dass in einer Kleinstadt nie die Polizei ausrückt wegen einer Prügelei? Und wie viele nimmst du pro Sommer auf? Zwei Millionen? Ach, komm! Da muss ja was passieren.Es tut mir leid, dass du jetzt so kritisch beäugt wirst, wirklich. Das wollte ich dir sagen. Ich weiß, was du hier leistest in Kreuzberg, seit Jahrzehnten schon. Ich meine: Tausende Körper auf 56.000 Quadratmetern, hochgekocht bei über 30 Grad! Da kann dein Wasser noch so türkis sein, deine Steine noch so warm, deine Wiese noch so saftig, deine Bäume noch so raschelnd und deine Pommes noch so knusprig, da kippt die Stimmung eben mal. Ich meine: zwischen zwei Männern! Ist sie gekippt. Zwei! Von zwei Millionen! Mach dir nichts draus, liebes Prinzenbad, das passiert dem besten Freibad mal. Das Columbiabad, scheint es, hat seine Badenden nicht so im Griff wie du. Du machst das schon richtig gut!Ich verspreche dir, ich komme, so oft ich kann. Und wenn ich nicht kann, denke ich an dich. Immer und immer wieder. Zu dir kann ich kommen, wie ich bin. Müde, gestresst, schlecht gelaunt. Unrasiert, nackt, angezogen. Aufgedunsen, mit Pickeln, mit Periode. Egal, wie ich komme: immer machst du aus mir einen glücklichen, erfrischten, schwimmenden, pommesgesättigten, glitzernden, jauchzenden Körper. Ich wollte es dir schon so lange sagen: Ich liebe dich, Prinzenbad.