Der größte der Underdogs: The Young Turks

Online-News Eine Kamera, kein Geld: Der Aufstieg von Cenk Uygurs YouTube-Kanal zur vielleicht größten Online-Newsshow der Welt.

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Der größte der Underdogs: The Young Turks

Foto: Joe Scarnici/Getty Images

Das neue Jahrhundert ist, neben einer Zeit der sich verschärfenden Kulturkonflikte und des völlig aus dem Ruder laufenden Kapitalismus, eine Zeit der Medienkrise. Das Internet und seine sozusagen kostenlose Verbreitungsmöglichkeit von Inhalten in Schrift, Ton, Bild oder Video hat sowohl die klassischen Medien wie Radio, TV und Print als auch die Kinowirtschaft und die Schallplattenindustrie bis ins Mark erschüttert. Seitdem haben unzählige Zeitungen und Zeitschriften kapituliert, ein Fernsehteam besteht kaum noch aus mehr als einer Person, die sowohl Kamera, Ton als auch Redakteur in einem sein muss, kaum jemand kann noch vom Musik machen leben und auch der Beruf des Schriftstellers wird zunehmend prekär. Im Bereich der Nachrichtenmedien gesellt sich zur allgemeinen Schrumpfung des physischen, nicht virtuellen Teils des Produktes auch noch eine – möglicherweise – zunehmende Empfänglichkeit für Beeinflussung von außen. Unabhängigen Journalismus muss der mündige Bürger teils suchen wie die Nadel im medialen Steckhaufen.

Formate wie die Freitag-Community oder die Huffington Post beziehen neben einer klassischen – bezahlten – Redaktion auch zu großem Teil user content ein, auf YouTube tummeln sich abertausende Kanäle auf denen sowohl Hobby- als auch Profijournalisten, die keinen Platz in der herkömmlichen Medienwelt gefunden haben (oder sich dort nicht wohlfühlten), versuchen, ihren Beitrag zur Berichterstattung, zur Wissenssammlung zu leisten. Sie existieren parallel zu einer überbordenden Masse an zweifelhaften, trolligen, unreflektierten, unrecherchierten Inhalten, von Ahnungslosigkeit zu plumper Propaganda. Jeder hat das Wort.

In den USA ist die News-Medienwelt gespalten. Neben den offensichtlichen Gegenpolen Fox News und MSNBC und vergleichbaren Paarungen in der Printwelt ist im Zeitalter der 24-Hour-News-Channel, die sich seit dem 11. September 2001 nicht nur in der amerikanischen Medienlandschaft festgebissen haben, das Vertrauen in die News-Medien immer stärker gesunken. Satireshows wie The Daily Show with Jon Stewart (Comedy Central), Last Week Tonight with John Oliver (HBO) oder Real Time with Bill Maher (HBO) genießen beim Publikum den Ruf von Nachrichtenersatz, da ihnen mehr Recherche, Hinterfragung und tatsächliche Information nachgesagt wird als den eigentlichen Journalisten. So vereinfacht gedacht das auch ist, und so maßlos übertrieben, so bezeichnend ist es.

Während als das Publikum sich abwendet von Talk Radio und Fernsehnachrichten, nicht zuletzt weil die Medienformate selbst nicht mehr state of the art sind und On-Demand-Formate und Streaming in den jüngeren Generationen immer mehr der modus operandi werden, bildet sich nun eine neue Form des Journalismus: Die der Online-Video-Kommentarkanäle. Der wahrscheinlich weltweit größte solche Kanal nennt sich „The Young Turks“ und ist eine ganz klassische amerikanische Erfolgsgeschichte.

Der in der Türkei geborene Cenk Uygur (sprich: "Dschenk Juger") gründete das Projekt im Jahr 2002 zusammen mit Journalismus-Collegefreund Ben Mankiewicz als Radiosendung, 2006 entstand daraus die erste tägliche Streaming-Talkshow weltweit auf YouTube. Mit erbärmlichen technischen wie finanziellen Mitteln ausgestattet war The Young Turks meist das: Der sehr – sagen wir mal – expressive Cenk Uygur saß vor einer Kamera, mal alleine, mal mit Co-Moderatoren, und kommentierte aktuelle Newsthemen, vornehmlich aus Politik, aber auch im Bereich der Popkultur. Klar progressiv/liberal ausgerichtet, ging es dem Projekt wie seinem Erfinder von Anfang an nicht um neutrale Berichterstattung, sondern um Kommentierung, Beleuchtung von Hintergründen, Aufdecken von Widersprüchen, Scheinheiligkeit, Falschaussagen, Propaganda in den Aussagen von Politikern. Vordergründig unterschied sich das Programm der Young Turks somit nicht maßgeblich von vergleichbaren Programmen auf TV-Sendern wie MSNBC (wo Uygur im Jahr 2011 kurzfristig auch eine eigene Show hatte) mit Shows wie denen von Rachel Maddow, Chris Matthews oder Lawrence O'Donnell. Der Unterschied war das völlige Fehlen von Infrastruktur, Promotion und finanziellen wie technischen Mitteln.

Doch der Underdog sprach sich herum. Mittlerweile bezeichnen sich The Young Turks als „The Largest Online News Show In The World“, mit knapp 2 Millionen Subscribern, ca 1,4 Millionen Views pro Tag und mittlerweile über 2 Milliarden Views insgesamt. Neben der Hauptshow, die werktags 2 Stunden lang live sendet, gibt es mittlerweile diverse weitere Shows und Kanäle unter dem Oberbegriff „TYT Network“, darunter eine Filmkritik-Sendung namens „What the Flick?!“, ein Kanal mit Interviews, einen Comedy-Kanal, eine Wissenssendung und diverse zusätzliche Kommentarsendungen wie „The Point“ oder „Rubin Report“ (der mittlerweile zu RYOT News gewechselt ist). 30 feste Mitarbeiter zählt The Young Turks mittlerweile und derzeit erscheint ein Dokumentarfilm über Cenk Uygur und sein Projekt in den amerikanischen Kinos. Es ist beinahe ein ganz normaler TV-Sender geworden, nur eben auf YouTube und komplett selbstfinanziert.

Mittlerweile sind die Young Turks sogar ein aktiver political player, mit dem political action committee Wolf PAC, das sich für einen Artikelzusatz in der amerikanischen Verfassung stark macht, der den Einfluss von Geld auf die Politik signifikant beschränken soll.

Wenn man als unbedarfter Neuling auf Ausschnitte der Hauptshow auf YouTube stößt, fällt einem etwas sofort auf: Die Menschen vor der Kamera sind tatsächlich Menschen, for better or worse. Cenk Uygur ist ein bulliger, aufbrausender, polternder Kasper, der kaum einen Satz herausbringt ohne mehr oder weniger völlig durchzudrehen. Da ist kein Newsanchor, der behutsam, neutral und professionell Texte vom Telepromter abliest, nein, er spricht frei und erlaubt sich permanent alberne Running Gags mit einer Sound-Machine, wenn es gerade zum Thema passt. Es wirkt hin und wieder ein wenig so, als würde man Stefan Raab zu seiner Vivasion-Zeit eine Politiksendung moderieren lassen. Das kann erst einmal fürchterlich abschreckend und unseriös wirken. Seine Co-Hosts Ana Kasparian, John Iadarola, Ben Mankiewicz oder Jimmy Dore sind weitaus ruhiger und – man möchte sagen – professioneller in der Exposition eines Themas, doch auch sie sind ganz klar sie selbst, keine puppenhaften Sprecher, sie sind Charaktere. Bisweilen wirkt die Sendung wie eine Sitcom, gerade wenn es eine der Sendungen ist, in denen nicht nur Cenk Uygur und Ana Kasparian, sondern ein vierköpfiges Panel die News besprechen. Das alles ändert jedoch nichts am Umstand, dass all diese Menschen hoch gebildete, studierte Politikwissenschaftler und Journalisten sind, die sich wirklich mit den Themen beschäftigen und im Gegensatz zum Großteil der von der breiten Masse wahrgenommenen Newsshows, nicht nur erzählen was passiert ist und was wer gesagt hat, sondern auch woher das kommt, warum jemand etwas gesagt hat oder welche Lobby hinter dem gesagten steht. Und sie hinterfragen das gesagte anstelle es schlicht zu zitieren, eine Unart der aktuellen Berichterstattung vielerorts.

Ein singuläres Phänomen sind die Young Turks mitnichten, aber sie sind eine laute Stimme im großen babylonischen Chor der Online-News-Shows und ihre augenscheinliche Aufrichtigkeit und Authentizität, kombiniert mit Talent und breit aufgestelltem Programm, sprechen für sie. Man kann ihnen lange zuhören, denn ihr lebendiger Stil ist ansteckend und wird kaum langweilig. Was man davon für sich mitnimmt, steht auf einem anderen Blatt. Doch in einer Medienwelt in der die Presse professionell ihren Job nicht macht, erscheinen The Young Turks, die zwar bisweilen unprofessionell wirken, aber ihren Job sehr wohl machen, wie eine sehr erfrischende Erscheinung im Nachrichtendschungel.

Womöglich sind Shows wie The Young Turks die Zukunft der News. Bisher können sie zwar nicht ohne die regulären Nachrichten leben, da sie keine eigenen Teams weltweit zur Beschaffung von Content und Informationen haben und lediglich kommentieren können. Und doch liegt es mir näher, Menschen mit solch illustren Namen wie Uygur, Kasparian, Iadorola oder Mankiewicz dabei zuzuhören, wie sie über Nachrichten diskutieren, als perfekt gestylten Sprechapparaten dabei zuzusehen, wie sie emotionslos vorgefertigte Texte voller Phrasen und Mediensprech von einem Telepromter ablesen in einem aufgeblasenen CGI-Studio mit eingeblendetem 3D-Modell eines Flugzeugwracks. Deutschland könnte auch eine große YouTube-News-Show vertragen. (FreitagTV?)

Im Grunde genommen sind The Young Turks nichts anderes als der Kommentarbereich von Spiegel.de oder unter ihren eigenen Videos auf YouTube, nur eben mit Hand und Fuß. Und ohne Trolls. Auch wenn Cenk Uygur manchmal wie ein Troll wirkt. Wie ein „echter“, einer aus Sagen und Märchen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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