Soll Atomkraft noch als "nachhaltig" gelten?

Endlich. EU will Atomkraft nicht länger als nachhaltig einstufen

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Die EU will Atomkraft offenbar nicht länger als nachhaltig einstufen. Sowohl das EU Parlament als auch die von der EU-Kommission eingesetzte Technische Expertengruppe für nachhaltige Finanzierung (TEG) haben erkannt, dass wissenschaftlich überprüfte Belege für das Risiko einer erheblichen Schädigung der Umwelt und der biologischen Vielfalt, die sich aus der nuklearen Wertschöpfungskette ergeben, vorliegen. Atomfreunde rennen dagegen an und versuchen mit Protestbrief-Anleitungen* bis zum 13.9.2019 noch gegen zu halten.

Die gravierenden ökonomischen und technischen Missstände spiegeln sich in den EPR-Reaktorbauten Hinkley Point C (GB), Olkiluoto (FI), Flamanville (FR) sowie der beim WWER-Debakel in Mochovce (SK) innerhalb der EU wieder. Nur durch milliardenschwere staatliche Rettungspakete konnten die – immer noch erfolglosen - Baufortführungen bisher sichergestellt werden.

Dennoch gibt es immer wieder Versuche, diese ökonomisch nicht tragfähige Stromerzeugung durch den Griff nach öffentlichen Geldern scheinbar finanzierbar zu machen. Es geht um Gelder, die für wirkliche Klimaschutzmaßnahmen dringend erforderlich sind und daher für Scheinlösungen nicht zur Verfügung gestellt werden dürfen. Eine lückenlose Versorgung mit erneuerbaren Energien ist weltweit machbar und wesentlich kostengünstiger und kurzfristiger zu organisieren, was durch zahlreiche Studien belegt ist.

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Die rückläufige europäische Atomkraft hat bereits 2004 ihren Produktions-Zenit überschritten und wurde 2014 von den Erneuerbaren überholt. Die durch Kompetenz-Erosion gezeichnete Branche muss sich endlich darum kümmern, ihre gefährlichen Hinterlassenschaften hermetisch von der Biosphäre zu isolieren, noch bevor der Fachkräfte-Pool soweit ausdünnt, dass selbst das nicht mehr gewährleistet ist. Für weitere Neubau-Abenteuer gibt es keinen finanziellen Spielraum, keine Fachkräfte-Infrastruktur und keine Großkomponenten-Produktions-Infrastruktur, die in der für den Klimaschutz relevanten Dekade nennenswerte Beiträge zur CO2-Reduktion leisten könnte. Ganz im Gegenteil, alle Aktivitäten, die dort hingehend unternommen würden, wären mit CO2-intensiven Bautätigkeiten verbunden.

Da die Hypothese, Atomkraft könne in naher Zukunft einen relevanten Beitrag zum Klimaschutz leisten, einer Faktenprüfung nicht standhält, stellt sich die Frage, welche die treibenden Kräfte sind, die zu dem vom CEO der des Atomkonzerns EdF Jean-Bernard Levy so treffend beschriebenen Zustand führen: Wir müssen immer weiter Atomkraftwerke bauen, in Frankreich und in Europa. Wenn ich ein Bild verwenden müsste, um unsere Situation zu beschreiben, so wäre es das des Radfahrers, der nicht aufhören darf zu strampeln, damit er nicht umfällt.“

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Neben den bekannten Partikularinteressen, die sich um lukrative Aufträge (Stahl, Beton, Baumaschinen, Kühlwasser-Tunnelbohrung, Schweißarbeiten …) drehen, gelingt es einer wichtigen treibenden Kraft nach wie vor, das Licht der Öffentlichkeit zu meiden. Wer den „strampelnden Radfahrer“ bei den atombetriebenen U-Booten sucht, die in Sachen Reichweite und Unauffindbarkeit auf genau diese Technologie angewiesen sind, begreift, dass dieser „marine Radfahrer“ sofort umkippen muss, wenn der zivile Infrastruktur-Garant ihm nicht die Ausbildungs-Einrichtungen, die Zulieferindustrie und eine regelmäßige Taktung in deren Auftragsbüchern aufrechterhält. Hier findet eine Quersubventionierung zur Erhaltung der Zweitschlagfähigkeit der europäischen Atommächte statt, die unter dem Deckmantel des Klimaschutzes und unter Ausschluss der Öffentlichkeit organisiert wird.

Wissenschaftler der Universität Sussex haben in einer umfassenden Studie detailliert nachgewiesen, was von militärischer Seite offen kommuniziert wird, von der Energiepolitik jedoch vehement geleugnet wird: die Aufrechterhaltung des zivilen Atomprogramms entlastet den Verteidigungshaushalt. Was die SPRU-Wissenschaftler für Großbritannien belegt haben, gilt auch für die französische Seite. Frankreich entwickelt einen eigenen neuen Reaktor-Typ (SMR). Die Tatsache, dass an dieser Entwicklung nicht nur der Stromkonzern EDF, sondern auch der Hersteller für nukleare Schiffs-Antriebe TechnicAtome das zivil-militärische Institut CEA sowie der Kriegsschiff- und U-Boot-Bauer Naval Group beteiligt sind, spricht Bände.

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Das Narrativ vom „Atommüll-verbrennenden“ „neuen“ Reaktortyp entpuppt sich als Märchen. Seit Beginn der zivilen Atomenergienutzung ist es der Branche nicht gelungen, ihre giftigen Hinterlassenschaften sicher zu entsorgen. Das wird sich auch nicht ändern mit der Ankündigung sogenannter „Atommüll-verbrennender“, „neuer“ Reaktoren. Die Branche hat keine Lösung, wie mit langlebigen, leicht beweglichen, Atemluft- und Grundwasser-gefährdenden Radioisotopen wie z. B. Iod 129 (HWZ 15,7 Mio Jahre, Transmutation nicht möglich) umzugehen ist, deren Entstehung in "neuen" Reaktoren (Uran 233-Spaltung) unausweichlich ist. Damit ist bereits klar, noch bevor der allererste Reaktor der 4. Generation läuft, falls es überhaupt jemals dazu käme, dass die Branche das Müllproblem nicht lösen, sondern weiter verschärfen wird und damit unter gar keinen Umständen als nachhaltig eingestuft werden kann.

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*Übersetzung aus der Protestbriefanleitung:

WIE SOLL MAN ANTWORTEN:


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Der technische Bericht mit den vorgeschlagenen Inhalten des Taxonomieentwurfs ist hier zu finden.

Darüber hinaus empfehlen wir Ihnen, eine längere Antwort per E-Mail einzureichen: ec-teg-sf@ec.europa.eu

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