der Freitag: Herr Behr, die Polizeigewerkschaften fordern mehr Stellen nach den Vorkommnissen in Köln. Ist das die richtige Reaktion?
Rafael Behr: Ich finde es naiv, jetzt einfach nur mehr Polizisten zu verlangen. Da geht es eher um Lobbyarbeit in eigener Sache. In Wirklichkeit gab es das schon immer, dass die Polizei in gewissen Einzelsituationen überfordert war. Außerdem bin ich mir sicher: Wenn in Köln irgendjemand geahnt hätte, was da passiert in dieser Nacht auf diesem Platz, wären auch mehr Polizisten vor Ort gewesen. So aber waren die Beamten überfordert. Das löst bei vielen Betroffenen Ohnmachtsgefühle und Wut aus. Menschlich ist das verständlich, aber es kann nicht der Maßstab sein für eine Analyse der Situation.
Was ist denn falsch gelaufen?
Im Nachhinein kann man natürlich viel kritisieren. Ungeklärt ist bis heute, warum die Kölner Polizei die Unterstützung der zusätzlichen Hundertschaft abgelehnt hat. Das weiß man nicht, und das muss dringend aufgeklärt werden.
Hätte sich die Polizei besser auf die Silvesternacht vorbereiten müssen?
Nein. Das hängt immer von der aktuellen Lageinformation ab, und die Polizei orientiert sich auch an Erfahrungen, zum Beispiel aus dem Vorjahr. Wenn man es daran misst, haben die Einsatzkräfte ausgereicht. Dass es dann doch anders kam, für diese Vorhersage hätte man einen Kaffeesatzleser gebraucht.
Zur Person
Rafael Behr, 57, ist Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei in Hamburg. Er leitet dort die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit
Aber was spricht gegen mehr Stellen bei der Polizei?
Sicherheit erzeugt immer das Bedürfnis nach noch mehr Sicherheit. Das ist wie eine unendliche, nach oben offene Schraube. Nur profitieren wir auch von unseren Freiheiten. Wir wollen schließlich nicht in einem Polizeistaat leben, in dem an jeder Ecke ein Schutzmann mit seiner Kamera steht und alles überwacht.
Nach Ereignissen wie in Köln hört man trotzdem immer sofort die Forderungen nach mehr Polizei.
Solange ich mich mit Polizeiforschung beschäftige, gibt es nach jedem Ereignis, das uns überfordert, einen Ruf nach mehr: mehr Rechte für die Polizei, mehr Personal, mehr Geld, mehr Kameras. Das ist immer dasselbe Mantra – und eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit als von Souveränität.
Wie meinen Sie das?
Es gibt andere Staaten, die reagieren ganz anders. Nehmen Sie doch Norwegen nach dem Breivik-Fall, da war die erste Reaktion der Gesellschaft: Wir stehen zusammen. Wir trauern zusammen. Wir lassen uns durch dieses Verbrechen unsere Zivilgesellschaft und unsere Freiheit nicht zerstören.
In Köln war ein besonnener Umgang aber ziemlich schwer, allein weil die Polizei die Vorfälle zunächst heruntergespielt hat.
In der Tat hat die Informationspolitik nicht gut funktioniert.
Das ist sehr diplomatisch formuliert. Die Pressemitteilung am folgenden Morgen trug den Titel: „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“. Wie kann so etwas passieren?
Ich glaube, dass die Polizei sehr stark fokussiert war auf eine Terrorattacke in der Silvesternacht. Insofern ist mir die Reaktion am nächsten Morgen auch nachvollziehbar: Alles, was nicht in die Nähe eines terroristischen Anschlags kommt, ist für uns ein Erfolg. Hinzu kommt, dass die sexuellen Übergriffe nicht sofort in Verbindung gebracht wurden mit diesen Männergruppen. Das war eindeutig eine Fehleinschätzung.
Wurden denn bewusst Informationen zurückgehalten?
Das ist eine Verschwörungstheorie, dafür sehe ich keine Anzeichen. Natürlich beurteilt die Polizeiführung eine solche Lage in der Nacht immer etwas anders als die eingesetzten Beamten. Mitteilungen an die Öffentlichkeit werden zudem geprüft, man versucht die Dinge diplomatisch auszudrücken, das machen die Einsatzbeamten nicht. Aber dass bewusst die Öffentlichkeit getäuscht wurde, das halte ich für Unsinn.
Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers wurde nun in den Ruhestand versetzt. War das die notwendige Konsequenz oder ist Albers ein Bauernopfer?
Es handelt sich um eine politische Entscheidung, die der SPD-Innenminister Ralf Jäger getroffen hat. Herr Albers selbst hat bereits Verständnis dafür geäußert, schließlich hatte er zuvor die Verantwortung für das Kommunikationsdesaster übernommen. Ob die Versetzung in den Ruhestand sinnvoll war, weiß ich nicht. Ich schätze Herrn Albers und seine zurückhaltende Art. Auf jeden Fall gibt es nun die Chance auf einen Neubeginn. Das ist für die Kölner Polizei nicht schlecht.
Kommentare 11
ist nicht die forderung nach mehr polizisten vor ort das ergebnis der reduzierung der polizeistellen seit jahren? und dies im sinne der verschlankung des staates als ziel der neoliberalen politik der usa?
wer einmal erlebt hat, was geschieht, wenn nachts niemand da ist, der im bahnhof oder andernorts, wo menschen zusammenkommen, die kontrolle ausübt, versteht den ruf der polizei nach mehr personal.
Herr Werdermann, ich finde, dass Ihre Umformulierung der Aussage von Herrn Behr „Ich finde es naiv, jetzt einfach nur mehr Polizisten zu verlangen.“ zur Titelunterschrift „Zusätzliche Stellen sind die falsche Reaktion auf die Ereignisse in Köln.“ manipulativ ist. Es erweckt den Eindruck, Herr Behr hat das so gesagt. Oder hat Herr Behr den Satz „Zusätzliche Stellen sind die falsche Reaktion auf die Ereignisse in Köln.“ im Laufe des Interviews gesagt, ohne dass es hier steht?
Der Behr trifft es ziemlich gut. Zu jedem grösseren Vorkommnis der Vergangenheit stellte sich der Gewerkschaftsboss Rainer Wendt vor Kameras und Mikrophone. An jeder noch so unpassenden Stelle brachte er sein "mehr Polizei, zu wenig Mittel" ein.
Das diente oft als plumper Versuch von den tatsächlichen Gründen für die jeweils außer Kontrolle geratene Situation abzulenken. In diesem Fall eben die Koordination der vorhandenen Kräfte und die anschliessende Kommunikation.
Angesichts der weiteren Ausdünnung der Polizeieinrichtungen auf dem Lande und der vorwiegend nur noch per Auto die Stadt kennenden Polizisten ist die Forderung nach mehr Präsenz vernünftig. Ob die Gesamtzahl der Beamten richtig ist, kann ich nicht burteilen. Mir scheint, sie machen das Falsche - z. B. kostenfrei hochkommerzielle Veranstaltungen wie Ligafussball zu bewachen. Wer teure Spieler bezahlt, kann auch Security bezahlen. Und die SchuPos können Doppelstreife gehen.
Anderes: Woher der Satz: (... warum die Kölner Polizei die Unterstützung der zusätzlichen Hundertschaft abgelehnt hat.) Wurde nicht geschrieben, dass das Land NRW die von Köln angeforderte Unterstützung abgelehnt hat?
Bayern ist nicht NRW. NRW ist nicht Hamburg.
Polizei ist Ländersache.
Die einzige Polizei des Bundes ist der BGS.
Die Situation der Polizeien der Bundesländer ist sehr unterschiedlich.
Der Beitrag ist nicht zu gebrauchen.
Viele Grüße
fos?
Der Bundesvorsitzende der deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt macht diese Differenzierung nicht, wenn er in jedes Mikrophon vor seiner Nase den Wunsch nach mehr mehr mehr Polizeibeamten reinsabbelt.
Tja. Was soll ich da sagen?
Personalplanung - auch langfristige - bei der Polizei ist Ländersache, da kann auch die Gewerkschaft Nichts daran ändern.
Viele Grüße
fos?
Er hat im Gespräch natürlich noch viel mehr gesagt. Ob es jetzt noch eine Aussage gab, die wörtlich mit dem Teaser übereinstimmt, weiß ich nicht. Aber ich glaube, es gibt im Text genug Stellen, die diese Aussage rechtfertigen. Zunächst die Frage nach der "richtigen Reaktion": "finde ich naiv" = offenbar nein. Dann meine Frage: "Was spricht denn gegen mehr Polizei?" -> Da nennt er Gründe, statt zu sagen: Ich bin für mehr Polizei. Offenbar ist er gegen mehr Polizei. Und dann sagt er ja noch, dass der Ruf nach mehr Polizei "eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit als von Souveränität" sei.
Im Übrigen hat sich Herr Behr auch nicht beschwert bisher. Und er hat meine Kontaktdaten.
Na gut, so kann man argumentieren. Allerdings können mehr Stellen für die Polizei Teil eines umfassenden (präventiven) Konzeptes sein, so etwas schließt Herr Behr nicht aus. Mehr Stellen zu fordern, als alleinige Reaktion, das ist naiv, das sehe ich auch so.
Ich kann euch sagen was das größte Problem der Polizei ist :Angst.
Was es auch alles gibt: Polizeiforscher.
Ob die Polizei in dieser Nacht taktisch den Geschehnissen gewachsen war, vermag ich nicht zu beurteilen und gehe mal davon aus, dass Fachkunde und Kompetenz klar bei Herrn Behr zu vermuten sind.
Immerhin gebe ich zu bedenken, dass es eben nicht allein Köln war, dass es in der Republik an sehr vielen Stellen das Gleiche gab.
Aber da dieser Jahreswechsel doch mit viel zu vielen Emontionen verbunden ist, möchte ich das mal beiseite lassen.
Im Zusammenhang mit dem Entstehen von Bürgerwehren und der zunehmenden Selbstbewaffnung von Bürgern, wurde immer wieder von Politik und Medien lautstark auf das Gewaltmonopol des Staates verweisen, darauf, dass es nicht Sache der Bürger sei, das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Dies habe man Polizei und Justiz zu überlassen.
Klingt vernünftig.
Nur, folgen wir Goethe : Ein Blick ins Buch und zwei ins Leben. Oder wenigstens einer. Zum Beispiel ist es Fakt, dass zum Beispiel Wohnungseinbruch in Deutschland heute schon straffrei ist. Nein, nicht in Einzelfällen und man kann ja nicht alles aufklären und so. Nein, er ist straffrei. Laut polizeilicher Statistik werden nur ungefähr zehn Prozent aller Einbrüche aufgeklärt. Diese Statistik, obwohl grauenvoll genug, hat mit mit den tatsächlichen Verurteilungen nichts zu tun. Nur ein Bruchteil wird angeklagt und da längst nicht alle ernsthaft, also mit mehr als den üblichen sechs Wochen Fernsehverbot auf Bewährung, bestraft.
Oder mit anderen Worten - nur außerordentlich blöde Täter oder solche mit sehr viel Pech, werden verfolgt.
Wer also von den geschätzten Mitkommentatoren nach Ablauf seiner nächsten Befristung fürchtet, HIV und den Terror der Arbeitsverwaltung erleben zu müssen, kann ja mal über eine Karriere als Einbrecher nachdenken. Die Einkommensmöglichkeiten kenne ich nicht aber ich kann mit Recht sagen, dass der Job fast so risikolos ist, wie der eines deutschen Proffesors.
Wir konnten unlängst über so eine Bügerwehr in Umkreis mehrerer sächsischer Geminden lesen, die sich nach einer Serie von wohl 50 Einbrüchen zusammentaten und auf Streife gingen. Klar, dass sofort das Gewaltmonopol reklamiert wurde, also jenes Monopol, das im Falle des Einbruchs längst inexistent geworden ist. Aber der grechte Zorn diverser Zeilenhuren traf die Bürgerwehrler, denen alles Böse unterstellt wurde und Hohn und Spott gab es gratis oben drauf. Wenn es doch diesen gerechten und strafenden Gott nur gäbe. Jedem Schreiber, Politiker oder Prof, der den Begriff "subjektives Sicherheitsgefühl" oder eines seiner Derivate verwendet, um die längst Schutzlosen zu beschwichtigen oder zu verhöhnen, wären am Jüngsten Gericht ab zweimaliger Verwendung je achtzig Jahre Fegefeuer sicher. Klar, ich bekäme da auch meinen Platz, hätte aber das Vergnügen, die neben mir brennen zu sehen.....
Ob und wie mir mehr oder einer anderen Polizei etwas zu machen wäre, vermag ich auch nicht zu beurteilen. Wir haben ja jetzt Polizeiforscher, wie ich lese. Die können sich umfassend zum staalichen Gewaltmonopol äußern. Mit Sicherheit, subjektiv gefühlt oder so....