„Mehr Polizei? Das ist naiv“

Interview Zusätzliche Stellen sind die falsche Reaktion auf die Ereignisse in Köln. Es gebe immer Einzelsituationen, in denen Beamte überfordert sind, sagt Polizeiforscher Behr
Ausgabe 02/2016
Polizisten am Kölner Hauptbahnhof führen einen Mann ab
Polizisten am Kölner Hauptbahnhof führen einen Mann ab

Foto: Martin Meissner/AP

der Freitag: Herr Behr, die Polizeigewerkschaften fordern mehr Stellen nach den Vorkommnissen in Köln. Ist das die richtige Reaktion?

Rafael Behr: Ich finde es naiv, jetzt einfach nur mehr Polizisten zu verlangen. Da geht es eher um Lobbyarbeit in eigener Sache. In Wirklichkeit gab es das schon immer, dass die Polizei in gewissen Einzelsituationen überfordert war. Außerdem bin ich mir sicher: Wenn in Köln irgendjemand geahnt hätte, was da passiert in dieser Nacht auf diesem Platz, wären auch mehr Polizisten vor Ort gewesen. So aber waren die Beamten überfordert. Das löst bei vielen Betroffenen Ohnmachtsgefühle und Wut aus. Menschlich ist das verständlich, aber es kann nicht der Maßstab sein für eine Analyse der Situation.

Was ist denn falsch gelaufen?

Im Nachhinein kann man natürlich viel kritisieren. Ungeklärt ist bis heute, warum die Kölner Polizei die Unterstützung der zusätzlichen Hundertschaft abgelehnt hat. Das weiß man nicht, und das muss dringend aufgeklärt werden.

Hätte sich die Polizei besser auf die Silvesternacht vorbereiten müssen?

Nein. Das hängt immer von der aktuellen Lageinformation ab, und die Polizei orientiert sich auch an Erfahrungen, zum Beispiel aus dem Vorjahr. Wenn man es daran misst, haben die Einsatzkräfte ausgereicht. Dass es dann doch anders kam, für diese Vorhersage hätte man einen Kaffeesatzleser gebraucht.

Zur Person

Rafael Behr, 57, ist Professor für Polizeiwissenschaft an der Akademie der Polizei in Hamburg. Er leitet dort die Forschungsstelle Kultur und Sicherheit

Aber was spricht gegen mehr Stellen bei der Polizei?

Sicherheit erzeugt immer das Bedürfnis nach noch mehr Sicherheit. Das ist wie eine unendliche, nach oben offene Schraube. Nur profitieren wir auch von unseren Freiheiten. Wir wollen schließlich nicht in einem Polizeistaat leben, in dem an jeder Ecke ein Schutzmann mit seiner Kamera steht und alles überwacht.

Nach Ereignissen wie in Köln hört man trotzdem immer sofort die Forderungen nach mehr Polizei.

Solange ich mich mit Polizeiforschung beschäftige, gibt es nach jedem Ereignis, das uns überfordert, einen Ruf nach mehr: mehr Rechte für die Polizei, mehr Personal, mehr Geld, mehr Kameras. Das ist immer dasselbe Mantra – und eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit als von Souveränität.

Wie meinen Sie das?

Es gibt andere Staaten, die reagieren ganz anders. Nehmen Sie doch Norwegen nach dem Breivik-Fall, da war die erste Reaktion der Gesellschaft: Wir stehen zusammen. Wir trauern zusammen. Wir lassen uns durch dieses Verbrechen unsere Zivilgesellschaft und unsere Freiheit nicht zerstören.

In Köln war ein besonnener Umgang aber ziemlich schwer, allein weil die Polizei die Vorfälle zunächst heruntergespielt hat.

In der Tat hat die Informationspolitik nicht gut funktioniert.

Das ist sehr diplomatisch formuliert. Die Pressemitteilung am folgenden Morgen trug den Titel: „Ausgelassene Stimmung – Feiern weitgehend friedlich“. Wie kann so etwas passieren?

Ich glaube, dass die Polizei sehr stark fokussiert war auf eine Terrorattacke in der Silvesternacht. Insofern ist mir die Reaktion am nächsten Morgen auch nachvollziehbar: Alles, was nicht in die Nähe eines terroristischen Anschlags kommt, ist für uns ein Erfolg. Hinzu kommt, dass die sexuellen Übergriffe nicht sofort in Verbindung gebracht wurden mit diesen Männergruppen. Das war eindeutig eine Fehleinschätzung.

Wurden denn bewusst Informationen zurückgehalten?

Das ist eine Verschwörungstheorie, dafür sehe ich keine Anzeichen. Natürlich beurteilt die Polizeiführung eine solche Lage in der Nacht immer etwas anders als die eingesetzten Beamten. Mitteilungen an die Öffentlichkeit werden zudem geprüft, man versucht die Dinge diplomatisch auszudrücken, das machen die Einsatzbeamten nicht. Aber dass bewusst die Öffentlichkeit getäuscht wurde, das halte ich für Unsinn.

Der Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers wurde nun in den Ruhestand versetzt. War das die notwendige Konsequenz oder ist Albers ein Bauernopfer?

Es handelt sich um eine politische Entscheidung, die der SPD-Innenminister Ralf Jäger getroffen hat. Herr Albers selbst hat bereits Verständnis dafür geäußert, schließlich hatte er zuvor die Verantwortung für das Kommunikationsdesaster übernommen. Ob die Versetzung in den Ruhestand sinnvoll war, weiß ich nicht. Ich schätze Herrn Albers und seine zurückhaltende Art. Auf jeden Fall gibt es nun die Chance auf einen Neubeginn. Das ist für die Kölner Polizei nicht schlecht.

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