Im Flüsterton durch die Weiten des Alls

Film Sion Sono legt mit "The Whispering Star" einen für sein Schaffen erstaunlich schönen und ruhigen Film vor, jedoch keinen belanglosen

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Im Flüsterton durch die Weiten des Alls

Film Still: The Whispering Star von Sion Sono

Nachdem das potentielle Kinopublikum in Deutschland bereits in Doris Dörries unterhaltsamem Film "Grüße aus Fukushima" Aufnahmen der Tohoku-Region in Schwarz-Weiß betrachten konnte, so konnte es dies auch seit dem 26.05.2016 für einige Tage in ausgewählten Kinos hierzulande und mit der durch Rapid Eye Movies herausgebrachten DVD in dem ebenfalls größtenteils in Schwarz-Weiß gehaltenen Film "The Whispering Star" von Sion Sono, einem der wohl kontroversesten zeitgenössischen japanischen Filmemacher.

In beiden Filmen bewirkt das Schwarz-Weiß sowohl eine Ästhetisierung als auch eine Artifizierung des Gezeigten. Das Publikum ist dabei als Gruppe von ZuschauerInnen angesprochen, denen Genuss von Aufnahmen hoher Qualität geboten werden.

Die beiden hier angesprochenen Filme mögen also durch die Entscheidung, weitestgehend auf Farbe zu verzichten und die gleiche Region für die Drehorte zu wählen, Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Doch ist einer der gravierenden Unterschiede, dass es sich bei "The Whispering Star" um keinen offensichtlichen Fukushima-Film handelt.

Wie frühere Sion Sono-Filme bleibt "The Whispering Star" von 2015 bis zum Ende vieldeutig.

Was ihn wiederum von anderen Sion Sono-Filmen deutlich unterscheidet, ist, dass hier ganz auf Darstellung von Gewalt und expliziter Szenen verzichtet wurde. Man würde ihnen nicht gerecht werden, würde man jene Filme, in denen diese sehr drastisch dargestellt wurden, wie etwa im fast vierstündigen "Love Exposure" von 2008 oder dem Rap-Musical "Tokyo Tribe" von 2014, darauf verkürzen.

Die verstörenden Elemente, gespickt mit einer Prise schwarzen Humor, erzeugen zwar bestimmte Effekte, tun dies aber nicht zum Selbstzweck. Vielmehr sind sie Bestandteile äußerst komplexer Erzählstrukturen, die auf intelligente Weise gerade die Abgründe und die unter den Teppich gekehrten Spannungen innerhalb der japanischen Gesellschaft sowie die inneren Spannungen der ProtagonistInnen thematisieren.

Diese in perfekt beherrschte Formen filmischer Bild- und Tonsprache eingebettete als solche herauszulesende Gesellschaftskritik wird in den genannten Beispielen je nicht plakativ zum Ausdruck gebracht, sondern eben als narratives Element des cineaistischen Gesamtkunstwerks.

Das zugrunde liegende Narrativ lässt sich für "The Whispering Star" relativ kurz beschreiben:

Eine humanoide, durch die Schauspielerin gespielte Maschine namens Yoko Suzuki, muss in ferner Zukunft, in der im gesamten Weltall durch von Menschen verursachten Katastrophen nunmehr nur noch äußerst wenige Exemplare der menschlichen Spezies anzutreffen sind, Pakete ausliefern. Diese transportiert sie mit einem an ein traditionelles japanisches Haus angelehnten Raumgleiter, in dem sie während der langen Reise nur mit dem das Raumschiff steuernden Computer kommuniziert und sich alte Tonbänder anhört.

Bei ihrer Auslieferung der Pakete begegnet Yoko Suzuki immer wieder die unterschiedlichsten Menschen. Die weit voneinander entfernten Planeten, auf denen jene Menschen leben, sind alle gekennzeichnet durch den Eindruck einer verlassenen, zerstörten Umgebung, postapokalyptisch und ruhig zugleich. Die Kulisse dafür wurde nicht in einem Filmstudio angefertigt, gedreht wurde in der Präfektur Fukushima in Städten, die 2011 durch die Katastrophe zerstört wurden.

Dort,in dieser also nicht nur künstlich trostlos und vereinsamt wirkenden Umgebung, schreitet Yoko Suzuki nunmehr, vorher in einer ritualisiert anmutenden Art mit Paketlieferdienstuniform und weiterem Equipment ausgestattet, durch die Landschaft,um jene Menschen zu treffen, die schon lange auf die Lieferungen warten und zum Teil überrascht auf diese reagieren.

In der Zeit, in der der Film spielt, gibt es ja insgesamt nicht mehr viele Menschen. So wirkt es auch logisch, dass Yoko Suzuki immer nur Einzelne und nur auf dem letzten von ihr im Film besuchten Planeten in einem Gebäude mehrere von ihnen antrifft. Es sind stets markante Persönlichkeiten. Yoko Suzuki vermag nicht die Motive zu ergründen, die jene Menschen dazu bringt, trotz der bereits etablierten Technik des Teleportierens den langwierigen Paketdienst in Anspruch zu nehmen.

Doch ist sie hin und wieder durch die Begegnung mit ihnen bewegt und wird zuweilen von ihnen inspiriert, neue Dinge auszuprobieren wie das Photographieren oder das Fahrradfahren.

Der Film, der die ganze Zeit über ruhig daherkommt und ganz auf für Sion Sono sonst typischen schockierende Elemente verzichtet, reiht sich insofern in sein vorheriges Werk ein, da es sich auch wieder um ein mehrdeutiges handelt, das auf verschiedenen Ebenen funktioniert.

Auf die besondere Auswahl der Drehorte ist bereits hingewiesen worden. Diese sind im Film nicht als sie selbst zu sehen, sondern als Gegenden, die im gesamten Weltall verteilt sind.
Genau das aber evoziert ein starkes Gefühl der Surrealität der realen Städte, die, indem sie für andere Städte stehen, im Film vorkommen. Gewissermaßen expressionistisch wird hier etwas überdeutlich, nämlich wie derartige Orte, durchaus mit einem ästhetischen Reiz behaftet, Zeugen von ungeheuren Katastrophen sind. Das gesamte Setting des Films, in dem ja von Menschen verursachte Katastrophen bereits zu einem großen Rückgang der Menschheit geführt haben zusammen mit dieser nicht expliziten Anspielung auf die Dreifachkatastrophe vom 11.03.2011, bei der neben Tsunami und Erdbeben eben ja auch die nukleare Katastrophe hinzukam, kann als Kritik verstanden werden, ohne dass diese nun den ganzen Film bestimmen würde. Diese wird dadurch unterfüttert, dass einige BewohnerInnen im Film Kurzauftritte haben.

Den ganzen Film durchzieht ein gewisser Kontrast. Er verwendet zahlreiche Elemente, die ihm eine altmodische oder wenn man so will neumodische, retro-mäßige Aura verleihen. Da haben wir das Raumschiff, mit altmodischer Innenausstattgung und dem äußeren Anschein eines traditionellen auch längst aus der Mode gekommenen Hauses. Da haben wir außer der Nutzung des Raumschiffs ansonsten die Fortbewegungsarten des Gehens und des Radfahrens. Das Schwarz-Weiß, das nur in einer kurzen Sequenz unterbrochen wird und der Raum der dem Schauspiel gegeben wird, tun ihr Übriges dazu.
Gleichzeitig spielt der Film in der Zukunft, einer Zukunft in denen Maschinen selbstständig arbeiten und wie Yoko Suzuki teilweise über humanoide Gestalt und sogar Reflexionsvermögen verfügen.

Eine Rolle auszufüllen, die derart im Fokus steht wie Yoko Suzuki, zuweilen bei ganz alltäglichen Tätigkeiten zu sehen ist und mit einigem hintergründigen Humor ausgestattet ist, stellt eine Herausforderung dar, die Megumi Kagurazaka hier makellos gemeistert hat.

Bei dem Soundtrack setzt Sono dieses Mal vor allem auf Klassik. Beruhigend wirkt außerdem, dass die Figuren lediglich im Flüsterton sprechen.

Am Ende des Films, nachdem man als Betrachter unmerklich doch hineingezogen wurde in die lange Reise durch die Weiten des Weltalls, möchte man, wie es Yoko Suzuki auch mal tut, sich gerne eine Zigarette anzünden und dem Erlebnis in den vielfältigen durch selbiges angeregten Gedanken noch ein wenig nachzuhängen.

"The Whispering Star" ist wohl einer der schönsten Sion Sono-Filme und trotzdem einer, der nicht einfach nur gefällig daherkommt.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ferdinand Liefert

Dipl.-Theologe (Studium in Greifswald / Marburg / Interreligiöses Studienprogramm in Kyoto ).

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