Nie in der 24-jährigen Geschichte, seit Unterzeichnung des Maastricher Vertrages, war das Konstrukt Europäische Union in einer ähnlichen Krise. So genannte Populisten haben Hochkonjunktur und so stehen wir alle als Mitschuldige kurz davor, das unfertige Haus vor Fertigstellung wieder niederzureißen.
Doch bisher tönte nichts anderes als Kritik an Galionsfiguren wie Marine Le Pen. Fakt ist: Egal wie die Stichwahl in Frankreich am 07. Mai ausgeht - schaffen es die etablierten Parteien nicht, Europa zu erklären, verschiebt man den großen Knall lediglich um ein paar Jahre und lässt damit die Abrissbirne nur noch weiter wachsen.
Kritik ist keine Lösung
Mit bloßer Kritik an teilweise korrekten Äußerungen der "Populisten" ist es nicht getan. Wer einfache Lösungen für eine scheinbar komplexere Welt kritisiert, muss vielmehr dafür sorgen, die Komplexität der Gesellschaft wieder einfacher und für jeden verständlich zu kommunizieren.
Beispiel: Behauptet man, dass die Digitalisierung die Welt komplexer macht, anstatt die positiven Auswirkungen zu verdeutlichen, muss man damit rechnen, dass sich viele Bürger und Bürgerinnen dem scheinbar komplexen Gebilde entziehen und stattdessen lieber (wieder) in einer scheinbar einfachen Welt leben möchten.
Auch der durchaus berechtigten Angst vor dem Verlust des eigenen, ohnehin oft schon unsicheren Arbeitplatzes müsste man entgegenhalten, dass durch stärkere Vernetzung auch neue Jobs entstehen und gleichzeitig Diskussionen über ein bedingungsloses Grundeinkommen und nachhaltige Schulreformen beschleunigen.
Die Lebenswirklichkeit ernst nehmen
Nicht nur vermeintlich schlecht Ausgebildete und Geringverdiener spüren die für die eigene Lebensrealität negativen Folgen Europas: So verstärken offene Grenzen und überbordende Immigration nur ein ohnehin bereits bestehenden Problem: Bezahlbarer Wohnraum, vor allem in Großstädten, ist selbst für “Gutverdiener” kaum noch zu finden. Da bringt es nichts, seitens der etablierten Politik von steigenden Löhnen zu sprechen und damit die Realität bis ins Unkenntliche zu verzerren. Dass hier eine starke Ablehnhaltung gegenüber grundlegend positiven Errungenschaften der EU wie beispielsweise der Personenfreizügigkeit entsteht, verwundert da nun wirklich nicht mehr. Die soziale Verantwortung Europas gegenüber Menschen, denen es schlecht geht, weil es uns verhältnismäßig gut geht, rückt dabei leider in den Hintergrund.
Angst vor “Werteverlust” nehmen
So zeigen auch die jüngsten Studien wie beispielsweise die “Studie Junges Europa” von der TUI Stiftung, dass Europa in erster Linie nur noch als Wirtschaftsbündnis wahrgenommen wird, in dem Wirtschaftskreise zum Teil auch von billigen, spezialisierten Arbeitskräften profitieren. Humanitäre Werte sind den Befragten wichtig, doch stünden diese nicht im Vordergrund der Europäischen Gemeinschaft.
Viele Menschen haben Angst, dass die eigenen Werte irgendwann nichts mehr zählen, weil man sich innerhalb einer großen Gemeinschaft auf einen gemeinsamen Werte-Nenner einigen muss. Doch ist das wirklich, was Europa will?
Den gemeinsamen Traum verständlich machen
Die "Bauherren" haben es schlichtweg versäumt, den Menschen die Ängste zu nehmen und für jeden klar zu kommunizieren, dass ein Europa der Zukunft aufgrund von Toleranz gegenüber Andersdenkenden keine Leitkultur braucht, sondern lediglich ein gemeinsames europäisches Grundgesetz - nicht geschafft, ein Europa zu erklären, das, statt Steuervorteilen für Großkonzerne, ein starkes soziales Netz für jeden Bürger bietet - verpasst, ein Europa verständlich zu machen, das zwar zentralisiert regiert wird, dennoch dezentrale Entscheidungen zulassen kann, ohne dabei den Frieden zu gefährden.
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