„The Royal Hotel“-Regisseurin Kitty Green: „Ein ständiges Gefühl der Bedrohung“
Interview Die australische Regisseurin Kitty Green setzt sich in Dokumentar- und Spielfilmen mit dem Machtgefälle zwischen Männern und Frauen auseinander. „The Royal Hotel“ zeigt zwei junge Frauen in einem Milieu der maskulinen Verrohung im Outback
Julia Garner und Jessica Henwick spielen die Rucksacktouristinnen Hanna und Liv
Foto: Imago/Landmark Media
Als auf dem Trip quer durch Australien zwei Rucksacktouristinnen in Sydney das Geld ausgeht, beschließen die beiden jungen Frauen, eine Weile in einer Kneipe im Outback zu jobben. Dort müssen sich Hanna (Julia Garner) und Liv (Jessica Henwick) bald den enthemmten Übergriffen trinkfreudiger Männer erwehren. Am Ende hilft in Kitty Greens Thrillerdrama The Royal Hotel nur die Selbstermächtigung.
Nach Dokumentarfilmen wie Ukraine Is Not a Brothel (2013) über die provokative ukrainische Aktivistinnenenorganisation Femen sowie dem Spielfilmdebüt The Assistent (2019) über den toxischen Arbeitsalltag der Assistentin eines Harvey Weinstein nachempfundenen Filmproduzenten kehrt die 39-jährige australische Regisseurin nun in ihre Heimat zurück. Doch di
seurin nun in ihre Heimat zurück. Doch die Fragen um Machtgefälle zwischen den Geschlechtern sind universell, wie sie im Interview erzählt.der Freitag: Frau Green, wie ist die Idee zu „The Royal Hotel“ entstanden?Kitty Green: Am Anfang stand jedenfalls nicht das Thema „feministischer Rachethriller“ oder so, wenn Sie das meinen. Es begann ganz banal damit, dass meine Mutter zu mir sagte: „Kannst du nicht mehr Zeit in Australien verbringen? Wir vermissen dich.“ Und ich überlegte: „Okay, was könnte ich dort machen?“ Dann saß ich in der Jury eines Festivals und sah dort einen Dokumentarfilm über zwei skandinavische Frauen, die in einem Pub im Outback arbeiteten und versuchten, mit den männlichen Stammgästen dort umzugehen. Er heißt Hotel Coolgardie. Ich hatte diese Art von Kneipe zwar schon vorher auf der Leinwand gesehen, aber noch nie mit den Augen einer Frau. Noch dazu mit dem Blick von Ausländerinnen, durch den auch der Kulturschock deutlich wurde. Mich hat diese Dynamik interessiert und ich fing an, ein Drehbuch zu schreiben. So entwickelte es sich zu etwas, das auch einen gesellschaftspolitischen Aspekt hat.Es geht dabei unter anderem darum, wie scheinbar normal es ist, als Frau in bestimmten Situationen Angst vor Männern haben zu müssen.Ich würde es eher Unbehagen nennen. Der Film handelt davon, dass man nicht weiß, ob man Angst haben sollte oder nicht. Wann man nein sagen, wann man für sich selbst einstehen sollte. Wie viel man tolerieren sollte. Es ist eine Art Grauzone. Und im Film ist es ein sehr spezielles Umfeld, eine Kneipe mitten im Nirgendwo.Inwiefern repräsentiert es dennoch Männlichkeit im Allgemeinen?Es ist schon sehr spezifisch, auch wenn es in Australien unzählige solcher Pubs gibt. Und eine Menge davon heißen tatsächlich The Royal Pub. Sie wurden danach benannt, wenn die britische Königsfamilie zu Besuch war. Zugleich sehe ich es aber auch als Ausdruck für ein größeres kulturelles Problem. Weil es ein Verhalten zeigt, das es in Kneipen und Bierzelten auf der ganzen Welt gibt, wenn alle ein bisschen zu viel getrunken haben und man das Gefühl hat, dass die Stimmung schnell aus dem Ruder laufen kann. Die Spannung entsteht nicht durch Gewalt selbst, sondern durch das ständige Gefühl der Bedrohung.Sie spielen dabei mit Thriller- und Horrorelementen.Die Gratwanderung war, Spannung entstehen zu lassen, ohne dass es zu sehr nach Horrorfilm aussieht. Ich nutze Genres und deren Konventionen, um damit etwas Persönlicheres zu erzählen.Haben Sie in einem echten Pub gedreht?Nur die Außenszenen. Den Innenraum haben wir im Studio nachgebaut. Wir hatten nur ein kleines Budget und es wäre zu teuer gewesen, so viele Komparsen in den Outback zu bringen. Und nur so konnten wir auch in Ruhe die Krawalle zu fortgeschrittener Stunde inszenieren, die ich ganz genau geplant und choreografiert hatte. Wenn wir eine echte Kneipe für drei Wochen Dreh geschlossen hätten, wäre es womöglich auch zu echten Randalen gekommen.Eine der beiden Hauptrollen spielt Julia Garner, die Sie bereits als Protagonistin in Ihrem Spielfilmdebüt „The Assistent“ besetzt hatten.The Assistent war ganz auf ihre Figur fokussiert, wir erleben ihren Büroalltag und die Übergriffe ihres Bosses durch ihre Perspektive. Diesmal war alles größer, energiegeladener. Es war nicht ganz einfach, diese vielen Stimmen und Spannungen zwischen den Figuren einzufangen. Mit Julia hat es vom ersten Tag an funktioniert, wir müssen gar nicht viel reden, verstehen uns ohne Worte. Auf eine Art teilen wir uns die Rolle. Sie ist der Körper der Figur, ich drehe deren Sichtweise. Es ist eine seltsame Art von symbiotischer Beziehung, in der wir miteinander verbunden sind. Ich habe die Figur für Julia geschrieben, auch wenn sie am Ende immer noch hätte nein sagen können. Hat sie zum Glück nicht.Wie herausfordernd war es, die männlichen Charaktere zu schreiben?Einiges von ihrem Verhalten ist im Dokumentarfilm zu sehen. Und ich habe eng mit meinem Co-Autor Oscar Redding zusammengearbeitet, der lange in dieser Region Australiens gelebt hat und diesen Menschenschlag sehr gut kennt. Im Grunde sind viele dieser Typen einsam, wünschen sich eine Beziehung. Sie wollen Mädchen kennen lernen und scheitern daran, aber auf unterschiedliche Weise. Einige von ihnen trinken zu viel, einige sind wütend und einige sind erbärmlich.Sie machen schon seit Langem Dokumentarfilme. Was haben Sie dabei gelernt, das Ihnen jetzt als Spielfilmemacherin nützlich ist?Bei Dokumentarfilmen muss man auf Distanz bleiben, um das Geschehen als Ganzes einzufangen. Wenn man zu nah rangeht, verpasst man oft etwas anderes. An Spielfilmen liebe ich gerade die Nahaufnahme, um die kleinen Momente und Reaktionen in Julias Gesicht einzufangen, die bei einer Dokumentation oft entgehen. Deswegen fühle ich mich inzwischen mehr zur Fiktion hingezogen. Zugleich fühle ich mich einer natürlichen, authentischen Darstellung verpflichtet. Und ganz generell habe ich bei meinen dokumentarischen Arbeiten viel über das Filmemachen als Handwerk gelernt.Wie viel Raum für Improvisation haben Sie bei den Dreharbeiten?Ich plane möglichst präzise, zeichne für alles Storyboards. Aber das liegt auch einfach daran, dass ich durch das Budget gefangen bin. Ich muss wissen, was ich will, es gibt keine Zeit für Experimente. Das Filmemachen wird zu einer Art strategischen Übung, fast mathematisch.Placeholder image-1Können wir über das Ende reden, ohne zu viel zu verraten?Lassen Sie es mich versuchen. Das Ende ist provokant und spaltet die Gemüter. Bei den Screenings sind einige Leute richtig wütend geworden. Aber ich wollte keinen Wischiwaschi-Schluss. Hanna und Viv sollten deutlich nein sagen zum Verhalten dieser Männer. Manche mögen das Finale, manche gar nicht. Was soll ich sagen? Ich bin stolz darauf.Auch auf Twitter empörten sich einige.Manche finden, das Verhalten der Männer sei gar nicht so schlimm. Schließlich sei niemand vergewaltigt oder umgebracht worden. Das wird scheinbar erwartet. Aber genau das stelle ich infrage. Der Film braucht keine Vergewaltigungsszene, um klarzumachen, dass die Situation nicht okay ist. Wie schon in The Assistent geht es um Formen von Missbrauch und Gewalt, die man nicht reproduzieren muss. Warum soll man dem Publikum eine Vergewaltigung zumuten? Mich macht es wütend, wenn ich es in anderen Filmen sehe.Inwieweit hat sich die Filmbranche in den letzten Jahren verändert? Gibt es eine neue Offenheit für bestimmte Themen und weibliche Hauptfiguren, seit Sie „The Assistent“ gedreht haben?Nicht wirklich. Es ist schwer, solche Filme zu finanzieren. Für The Royal Hotel habe ich so viele Absagen bekommen. Produzenten haben mir ins Gesicht gesagt: „Oh, wir haben dieses Jahr schon drei andere Filme von Frauen gemacht.“ Der Frauenfilm ist offenbar ein Genre. Und eins, mit dem man nicht viel Geld verdient. Und es sind immer Männer, die das Geld kontrollieren, die sagen: „Wo ist die Vergewaltigungsszene? Wo ist die Gewalt? Es fehlt ein Höhepunkt.“, all diese Dinge. Keine Ahnung, ob und wann sich das Blatt wendet, wann die Leute anfangen, dir zu vertrauen und dir Geld zu geben.Was treibt Sie also an?Ich bin ein Geek. Ich mag das technische Zeug. Ich liebe das Schreiben und Welten zu erschaffen. Ich liebe es zu drehen und herauszufinden, wie man etwas dreht. Ich mag die Arbeit mit den Schauspielern. Der ganze Prozess macht mir Spaß. Ich genieße es einfach.Eingebetteter Medieninhalt
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.